Wirtschaft
anders denken.

Um die Ausrichtung der Wirtschaft: Der Novemberstreik 1948

12.11.2018
Bundesarchiv, Bild 183-2005-1017-513 / ,Lizenz: CC BY-SA 3.0 DEWährungsreform Juni 1948 in Essen

Heute vor 70 Jahren streikten in der Bizone über neun Millionen Menschen – fast 80 Prozent aller Beschäftigten: vor allem gegen zu hohe Preise und zu niedrige Löhne nach der Währungsreform vom Sommer, aber auch für wirtschaftsdemokratische Forderungen. Der Novemberstreik ist heute weithin vergessen.

Der Historiker Jörg Roesler hatte bereits vor einigen Jahren an den »Generalstreik, der keiner sein durfte« erinnert und sich damit auf die Debatten in der Geschichtswissenschaft und das ausweichende öffentliche Erinnern bezogen: Die Ereignisse des 12. November 1948 ins historische Gedächtnis des Bundesvolkes dringen zu lassen, schrieb er im »Freitag«, sei »nie versucht worden«.

Der Ausstand der Millionen gehöre »zu den verdrängten Komplexen der Sozialgeschichte der Bundesrepublik«, lautet auch das Urteil des Historikers Gerhard Beier. Er befand 1975, »die einen haben es vergessen, weil es kein strahlender Sieg war. Die anderen mochten es nicht in Erinnerung behalten, weil es jenes Unrecht deutlich macht, das am Beginn des wirtschaftlichen Aufschwungs und der gesellschaftspolitischen Restauration stand«.

Jörg Nowak über den Novemberstreik: Der Generalstreik »für eine Demokratisierung der Wirtschaft mobilisierte mehr als neun Millionen Arbeiter. Seine Wirkung verpuffte jedoch, da es noch keine neue zentrale Regierung gab, die mit den Forderungen hätte adressiert werden können«. 

Eine sehr detailreiche Zusammenstellung der Ereignisse und Vorgeschichte des Novemberstreiks gibt es beim DGB-Bezirk Niedersachsen-Bremen-Sachsen-Anhalt. »Auf einer Kontrollfahrt des DGB zeigte sich überall das gleiche Bild: Gitter vor den Fenstern und Türen der Geschäfte und Gaststätten. In den Fabriken Skat-spielende Pförtner und vereinzelt Streikposten.« Aber auch um die politischen Debatten vor und nach dem Streik geht es in dieser Chronik.

Wenn auch die Folgen der Wirtschafts- und Währungsreform im Vordergrund stand, hatte der Streik doch auch eine viel weitergehende Stoßrichtung. Der Historiker Uwe Fuhrmann hat dazu dieser Tage im »nd« daran erinnert: »Es ging letztlich um das ab 1949 als ›soziale Marktwirtschaft‹ bezeichnete Wirtschafts- und Gesellschaftsmodell der (späteren) Bundesrepublik.« Und weiter: »Über den konkreten Auseinandersetzungen lag eine ganz grundsätzliche Diskussionen um die Ausrichtung der Wirtschaft im entstehenden Weststaat. Die Gewerkschaften sahen sich selbst als Akteur, der die neue Gesellschaft mit aufbaut. Dazu gehörte für sie Mitbestimmung, Sozialisierung von Schlüsselindustrien und das Ganze war verknüpft mit einem diffusen Wirtschaftsdemokratiebegriff.«

Auf Flugblättern wurde damals unter anderem für die Planung und Lenkung im gewerblich-industriellen Sektor, insbesondere für Rohstoffe, Energie und Kredite so­wie für den Außenhandel und den Großverkehr sowie die Überführung der Grundstoffindu­strie und Kreditinstitute in Gemein­wirtschaft und eine weitgehende Demokratisierung der Wirtschaft und gleichberechtigte Mitwirkung von Gewerkschaften in allen Organen der wirtschaftlichen Selbstverwaltung geworben.

Auf Zeit online hieß es vor ein paar Jahren über den Novemberstreik einmal: »Die französischen Besatzer hatten den Streik verboten, deshalb arbeiteten an diesem Tag Rheinland-Pfalz, das Saarland sowie der südliche Teil des späteren Bundeslandes Baden-Württemberg weiter, während der Rest Deutschlands in ›feiertäglicher Stille versank‹, wie sich Historiker erinnern.« Die Streikenden »demonstrierten gegen die enormen Preissteigerungen, die damals die Währungsreform und die Aufhebung von Preiskontrollen ausgelöst hatten. Extrem niedrige Löhne kamen noch hinzu. Es war der erste Nachkriegsstreik, in dem die Bürger nach Lohnerhöhungen und sozialer Marktwirtschaft verlangten.«

Foto: Bundesarchiv, Bild 183-2005-1017-513 / CC BY-SA 3.0 de

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OXI Redaktion

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