Wirtschaft
anders denken.

Umverteilung – eine Forderung der Mehrheit

17.05.2016
An einem Treppengeländer zeigt ein Pfeil nach oben.Foto: Hackebeilchen / photocase.deDie soziale Ungleichheit ist zu hoch. Das Gegenmittel: Steuererhöhungen.

Über 80 Prozent der BundesbürgerInnen halten laut einer FES-Studie die soziale Ungleichheit für zu groß – sogar FDP-AnhängerInnen wollen zu über zwei Dritteln höhere Steuern für Reiche.

Da jetzt der Wahlkampf auf Touren kommt und sich Parteien jenseits rhetorischer Dehnübungen für diese oder jene Forderung entscheiden müssen, wird man vermutlich wieder viel über die angeblichen Lehren des Parteienrennens vom Herbst 2013 lesen: Die Grünen hatten ziemlich stark eingebüßt, was zu einem überwiegenden Teil auf ihre angeblich zu hohen Steuerforderungen zurückgeführt wurde. Die SPD hatte gleich gar keinen umverteilungspolitischen Schwerpunkt – und die Linkspartei konnte mit ihren Evergreens Vermögenssteuer, Millionärsabgabe und höherer Spitzensteuersatz auch nicht gerade ein Traumergebnis einfahren.

Wollen die Leute vielleicht gar nicht, was UngleichheitsforscherInnen, linke Intellektuelle, kritische ÖkonomInnen und Sozialverbände seit Jahren fordern: mehr steuerliche Umverteilung, damit weniger soziale Ungleichheit herrscht? Kann man behaupten – sollte man im Lichte einer aktuellen Studie der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) aber nicht als Argument hinstellen. Es ist nämlich keines.

Über 80 Prozent der BundesbürgerInnen finden, es gebe mittlerweile zu große soziale Ungleichheit hierzulande. Egal, ob die Befragen gut verdienen oder von mickrigen Sozialtransfers leben müssen, egal ob sie 2013 für die Linke votiert haben oder AnhängerInnen der CDU sind (na gut: die FDP-WählerInnen sind »nur« zu knapp zwei Dritteln der Meinung, die soziale Schere klaffe zu weit auseinander). Die BundesbürgerInnen sind in der deutlichen Mehrheit überdies der Auffassung, es sei möglich, der sozialen Spaltung entgegenzutreten – und sie haben eine Meinung, welche Instrumente dafür geeignet sein können.

Zum Beispiel höhere Steuern für Privatpersonen mit hohem Einkommen oder großem Vermögen – dafür sind in der zugrundeliegenden Umfrage unter 2000 Bundesbürger insgesamt 76 Prozent. Es zeigten sich »überraschend hohe Zustimmungsraten für eine Vermögenssteuer (68 Prozent) sowie für höhere Erbschaftsteuern (47 Prozent)«, schreiben die FES-ExpertInnen in ihrer Kurzstudie. Für eine steuerliche Entlastung der mittleren und unteren Einkommen sprechen sich 83 Prozent aus. Im Osten ein bisschen weniger als im Westen, dafür sind in den fünf »neuen« Ländern die Zustimmungsraten für die Besteuerung der Vermögenden und Besserverdiener höher.

Was man noch gegen Umverteilung tun kann

Nun sind steuerpolitische Maßnahmen nicht das einzige, was man tun kann, um die soziale Ungleichheit – die im übrigen, im Wind entsprechender Expertenmeinungen, mehr und mehr als Risikofaktor für die wirtschaftliche Entwicklung angesehen wird – zu verringern. Man kann auch die Löhne und Gehälter stärker erhöhen: Dafür sprechen sich insgesamt 72 Prozent aus, darunter 65 Prozent der UnionsanhängerInnen, 70 Prozent der FDP-WählerInnen von 2013. Und ja: auch 71 Prozent derer sind dafür, die sich selbst zu den oberen Schichten zählen.

Es gibt einige interessante Details in diesem kurzen FES-Zahlenwerk, das jetzt im Rahmen des Projekts „Gute Gesellschaft – Soziale Demokratie 2017plus« veröffentlicht wurde. Zum Beispiel: Es gibt hohe Zustimmungsraten zu der Aussage (76 Prozent), dass das Ausmaß der sozialen Ungleichheit der wirtschaftlichen Entwicklung in Deutschland schadet. Das sehen inzwischen auch immer mehr Experten so. Allerdings, so auch die FES-Experten, wurde »in der Öffentlichkeit über lange Zeit ein umgekehrter Zusammenhang hergestellt«: Verbreitete neoliberale Ansicht war lange Zeit, dass »ein hoher Umverteilungsgrad durch negative Leistungs- und Investitionsanreize zu geringem Wirtschaftswachstum« führe, Ungleichheit mithin »als Wachstumstreiber« wirke, »da sie positive Leistungs- und Investitionsanreize setze«. Das aber scheint sich im Licht der Studie der FES kaum noch jemand so zu sehen.

Ein weiteres Beispiel: Nur eine knappe Mehrheit von 60 Prozent vertraut noch darauf, »dass sozialstaatliche Leistungen zur Bekämpfung sozialer Ungleichheit beitragen«. Im Vergleich zu den Zustimmungsraten für Umverteilungselemente ist das – nun ja: wenig. Und: »Besonders auffällig ist, dass insbesondere diejenigen Gruppen, die von einer staatlichen Reduzierung von Ungleichheit am meisten profitieren würden, dem Sozialstaat ein eher schlechtes Zeugnis ausstellen.« Man kann das als Urteil über die Regierungspolitik der vergangenen Jahrzehnte lesen. Anders formuliert: »Generell wird dem Sozialstaat ein umso besseres Zeugnis für seine ungleichheitsreduzierende Wirkung ausgestellt, je weniger man auf diese Wirkung angewiesen ist.«

Um noch einmal zu der Anfangsbemerkung zurückzukommen – die FES-ExpertInnen stellen fest: »Bemerkenswert ist darüber hinaus, dass unter denjenigen, die Bündnis 90/Die Grünen gewählt haben, die Zustimmung mit 90 Prozent ebenfalls sehr hoch ist, obwohl sich diese Personengruppe häufiger höheren sozialen Schichten zuordnet und über höhere Einkommen verfügt.« Ein Argument für Wahlkampf-Strategien? Es wäre zu wünschen. Aber, auch das muss gesagt werden, die Befunde über das Meinungsbild sind teils auch nicht neu: »Eine kritische Bewertung des Ausmaßes sozialer Ungleichheit in der Bevölkerung« decke »sich mit den Ergebnissen ähnlicher Befragungen aus den 1990er und 2000er Jahren«. Die Politik der vergangenen Jahrzehnte fiel anders aus – gegen das Interesse einer Mehrheit, deren Vorstellungen nun abermals in einer Studie belegt sind.

Geschrieben von:

Tom Strohschneider

Journalist

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