Unbeantwortete Anrufe und das Eldorado
In Griechenland wird seit Jahren gegen umweltschädlichen Gold-Abbau protestiert. Nun steht ein hoch umstrittener Prozess gegen Bewohner an. Aus der Mai 2019-Ausgabe von OXI.
In Thessaloniki steht ein hoch umstrittener Prozess gegen 20 Bewohner*innen der nordgriechischen Halbinsel Chalkidiki bevor (bei Redaktionsschluss war er noch nicht eröffnet). Wegen Widerstands gegen den potenziell größten Gold-Tagebau Europas sind sie des versuchten Mordes und des Besitzes von Waffen und Sprengstoffen angeklagt. Alle sind Teil der Anti-Gold-Bewegung, die sich seit Jahren gegen die weitreichenden Umweltschäden durch den Bergbau einsetzt – und gegen die eine ganze Welle von Prozessen in Gang gesetzt wurde.
Was ist passiert? In der Nacht auf den 17. April 2013 stürmen Maskierte auf das Gelände der Firma Hellas Gold in Skouries und überwältigen die beiden Wachposten. Fahrzeuge, Container und Bohrinstrumente gehen in Flammen auf, die Wachen werden nach eigener Aussage mit Benzin übergossen, bleiben aber unversehrt. Nach kurzer Zeit ist alles vorbei. Die Maskierten verschwinden im Dunkel der Wälder, zurück bleibt ausgebranntes Gerät und die Eskalation eines Konflikts, der die Region Chalkidiki bis heute in Atem hält.
Die genauen Hintergründe und Verantwortlichen für den Brandanschlag sind bislang nicht geklärt. Klar ist, dass dieser vorläufige Höhepunkt der Eskalation den Beginn der systematischen Kriminalisierung der gesamten Anti-Gold-Bewegung darstellt, die sich seit vielen Jahren gegen die drastische Ausweitung des Bergbaus in der Region einsetzt.
Die Staatsanwaltschaft leitete nach dem Anschlag die flächendeckende Überwachung von Telefongesprächen in der Region ein, und die Polizei begann mit der Sicherstellung von Beweisen in den Wäldern von Skouries, in denen der umstrittene Gold-Tagebau errichtet wird. Umfangreiche Fahndungen nach Mitgliedern einer vermeintlich kriminellen Organisation und Festnahmen folgten.
Iannis, ein Käsefabrikant und offener Gegner des Bergbaus in der Region, befindet sich am Tag nach dem Anschlag mit seiner Frau in der Kirche. Sein Handy lässt er im Auto liegen, weshalb er die Anrufe seiner Tochter unbeantwortet lässt. Wenig später steht die Polizei vor seiner Tür und nimmt ihn in Untersuchungshaft. Mit drei anderen bleibt er dort für mehr als hundert Tage, weil die Justiz das Dutzend unbeantworteter Anrufe als ausreichendes Indiz für seine Teilhabe am Brandanschlag auslegte.
Einige Monate später mussten alle wegen fehlender Beweise vorläufig entlassen werden. Solche Ereignisse stehen symptomatisch für die Art und Weise, mit der die damalige Pasok-Regierung und Justiz auf die wachsende Opposition gegen die von ihr unterstützte Investition in Chalkidiki reagierten.
Der eskalierende Konflikt hat seinen Ursprung in dem Reichtum der Region an Mineralien, vor allem Gold, Kupfer und Zink. Für manche ein Segen, für andere ein Fluch, rückte der Rohstoffhunger der globalisierten Welt Chalkidiki zunehmend in den Blick ausländischer Investoren und von Teilen der politischen Elite Griechenlands.
Anfang 2012, inmitten der sozialen und politischen Unruhen des zweiten Memorandums, nutzte das kanadische Unternehmen Eldorado Gold die Gunst der Stunde. Als Folge der drastischen Kürzungen von Renten, Sozialleistungen und Löhnen, der Privatisierung öffentlicher Güter und einbrechender Nachfrage im Inland stürzte die Produktion der griechischen Wirtschaft in den Keller. Innerhalb des von der Troika ins Recht gesetzten Imperativs von Investitionen um jeden Preis konnte sich die Firma als Retter in der Not profilieren. Für 2,4 Milliarden Euro übernahm sie die Mehrheit am Tochter-Unternehmen Hellas Gold. Der geschätzte Wert der Mineralien im Nordosten Chalkidikis liegt bei 20 Milliarden. Eldorado Gold legte Ziele für eine beträchtliche Ausweitung des Bergbaus vor. Kernstück dieser Strategie wurde der geplante Bau einer der größten Tagebau-Goldminen im Herzen des jahrhundertealten Mischwaldes von Skouries.
In der Region um Skouries fließen die zwei größten Flüsse der Region, Lotsaniko und Karatsas, die für die Versorgung mit Trinkwasser zentral sind. Die Firma begann mit der Rodung des Waldes und staute die beiden Flüsse, um in dem von Erdbeben bedrohten Gebiet Dämme für die anfallenden Bergbauabfälle zu errichten. Sie will das Grundwasser aus dem Berg abpumpen, wobei technische Unstimmigkeiten bis heute die Genehmigungen verzögern. Einerseits muss der Berg also ausgetrocknet werden, um den Rohstoffabbau zu ermöglichen, andererseits steht der Firma das Recht auf gewaltige Mengen Wasser zur Auswaschung der Mineralien zu. Anwohner*innen wurden zum Verkauf ihrer Grundstücke gedrängt, wobei die meisten sich bis heute weigern. Die Mineralien der Region wurden vom Staat zum nationalen Interesse erklärt, womit die Firma im Zweifel das Recht hat, die Anwohner zu enteignen.
Neben der Freisetzung von Chemikalien im Boden und im Wasserkreislauf wird der Tagebau von Skouries erhebliche Mengen an Feinstaub aus Blei, Asbest und Arsen produzieren. 2.000 Tonnen pro Stunde nach Angaben der Firmen. Die Folgen sind in ihrer räumlichen Reichweite schwerlich zu begrenzen. Der Feinstaub kann über Winde bis nach Thessaloniki, der zweitgrößten Stadt Griechenlands, wandern, und die im Boden oder Wasser freigesetzten Schwermetalle gelangen über die Nahrungskette in den organischen Kreislauf.
Während Eldorado Gold mit der Schaffung notwendiger Arbeitsplätze wirbt – wir sprechen von geplanten 4.000 bis 5.000 Stellen –, arbeitet der Großteil der 40.000 Einwohner*innen Chalkidikis in Landwirtschaft und Tourismus, zwei Bereichen, die durch den Bergbau unmittelbar gefährdet sind.
Firma und Bergbaubefürworter*innen werben zudem mit der Schaffung von Einnahmen für den Staat. Auch dieses Argument hält einer näheren Betrachtung kaum stand. Hellas Gold wurde 2003 von allen direkten Förderabgaben freigestellt. 2015 brachte dann die Nichtregierungsorganisation Somo ans Licht, dass Eldorado Gold durch ein verstricktes Netz von Briefkastenfirmen in Amsterdam und Barbados seine Gewinne in Steueroasen verlagert.
Laut Maria Kadoglou von Hellenic Mining Watch gilt der Erfolg der Investition in Skouries in den Augen möglicher Investoren als Prüfstein dafür, ob sich der Einstieg in das Bergbaugeschäft Nordgriechenlands künftig lohnen wird. Daher rührt der symbolische Charakter der heftigen Auseinandersetzung um Skouries.
Aus Sicht der gesamten Anti-Gold-Bewegung ist das Recht auf saubere Luft, Wässer und Böden die nicht verhandelbare Grundlage für eine wünschenswerte Zukunft. Schließlich sind die Bodenschätze Chalkidikis nicht unendlich, ausgebeutet nach voraussichtlich 20 Jahren intensiven Bergbaus. Was dann bleibt sind Tausende Tonnen verseuchter Schlacke sowie ein stark erhöhtes Risiko für Atemwegs-, Organ- und Krebserkrankungen.
Nicht überraschend also mehrten sich die Stimmen, die die Versprechungen der Firmen und Regierung über das Entwicklungsmodell Bergbau in Zweifel zogen. Konfrontiert mit den beschriebenen Folgen reagierten große Teile der lokalen Bevölkerung mit Demonstrationen, Protestmärschen und Straßenblockaden. Von Anfang an gab es ein riesiges Aufgebot an Polizei, um die Bergbauarbeiten zu schützen. In den Wäldern rund um die Baustelle kam es immer häufiger zu handfesten Auseinandersetzungen zwischen einer wachsenden Anti-Gold-Bewegung auf der einen Seite, Minenarbeitern, Polizei und Sicherheitskräften auf der anderen. Der Ausnahmezustand wurde zur Tagesordnung im Nordosten Chalkidikis. Im März 2013 wurden (in Anwesenheit einer Hunderschaft von Polizisten) in der Kleinstadt Ierissos Hausdurchsuchungen durchgeführt, um Beweise für die angenommene kriminelle Organisation zu finden.
Die Heftigkeit der staatlichen Willkür rief auch Amnesty International auf den Plan, welche die Regierung im März 2013 zur unverzüglichen Aufklärung der willkürlichen Maßnahmen der Polizei aufrief. Trotz der massiven Einschüchterungen kamen die Proteste nicht zur Ruhe.
In den darauf folgenden Monaten begann die Staatsanwaltschaft offiziell mit der Strafverfolgung gegen über 40 Personen, die in zwei getrennten Verfahren als Mitglieder einer kriminellen Organisation angeklagt wurden. Vor dem Hintergrund einer Beweislage, die mehr auf Vermutungen als auf bewiesenen Tatsachen beruhte, stellte sich für die Staatsanwaltschaft diese Anklage als besonders nützlich heraus: Unter Anwendung des Anti-Terrorismus-Gesetzes muss allein die Komplizenschaft mit der unterstellten kriminellen Organisation nachgewiesen werden, nicht die individuelle Tat. Weitere 500 Personen gerieten wegen geringerer Vergehen unter strafrechtliche Verfolgung, am häufigsten wegen Störung des öffentlichen Friedens und Widerstands gegen die Staatsgewalt.
Im letzten Oktober begann der erste Prozess gegen eine vermeintliche kriminelle Organisation, bestehend aus Iannis und 19 weiteren Personen, angeklagt wegen des Brandanschlags in Skouries. Der nun beginnende Prozess bezieht sich auf die Zusammenstöße in der Gegend um Karatsas. Auch in diesem Karatsas-Prozess wurde ursprünglich das Anti-Terrorismus-Gesetz angewandt, allerdings konnte die Anklage als kriminelle Organisation nicht aufrechterhalten werden. Weiterhin wird den 20 Angeklagten neben dem illegalen Besitz von Waffen und Sprengstoffen auch versuchter Mord vorgeworfen. Die Anklage beruht auf den Zeugenaussagen von Polizisten, sowie den umstrittenen Beweisen von DNA-Proben und überwachten Telefongesprächen.
Im November 2018 fiel das Urteil für Iannis und es lässt erahnen, auf welch wackligen Beinen die Beweislage steht: Alle 20 Angeklagten wurden ausnahmslos freigesprochen, da die vorgebrachten Beweise weder die Existenz einer kriminellen Organisation bestätigten, noch eine individuelle Verbindung mit dem Anschlag nachgewiesen werden konnte.
Mehr zum Film gibt es hier.
Dieser Beitrag erschien zuerst in der Mai 2019-Ausgabe von OXI.
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