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Ungarn, Arbeitskräfte, deutsche Industrie: Das »Sklavengesetz« und Orbáns Anti-Migrationskurs

18.12.2018
Horsee ,Lizenz: CC BY-SA 4.0Mercedes-Benz-Werk in Kecskemét

In Ungarn halten die Proteste gegen ein Gesetz, das noch mehr Überstunden ermöglicht, an. Ein Grund für das viel kritisierte Arbeitszeitgesetz ist die Anti-Migrations-Politik von Viktor Orbán, wegen der es an Arbeitskräften fehlt – die nicht zuletzt von deutschen Unternehmen an der verlängerten Werkbank Ungarn gebraucht werden.

In Ungarn gehen Gewerkschaften, Zivilgesellschaft und Opposition erstmals gemeinsam gegen die Rechtsregierung auf die Straße. Auslöser der Proteste ist ein Arbeitszeitgesetz, das Unternehmen erlaubt, noch mehr Überstunden von den Beschäftigten zu verlangen. Ein Grund: Die Anti-Migrations-Politik von Viktor Orbán, wegen der es an Arbeitskräften fehlt. Die braucht nicht zuletzt die deutsche Automobilindustrie, die Ungarn als verlängerte Werkbank nutzt – mit niedrigen Löhne, Steuererleichterungen und Subventionen. Kritik daran, dass sich die Branche von der Rechtsregierung missbrauchen lässt, scheint die Konzerne nicht zu interessieren.

Im »Standard« hat jetzt der Journalist András Stumpf, der lange Zeit selbst für ein lange Zeit der Budapester Rechtsregierung gewogenes Blatt gearbeitet hat, auf den Zusammenhang zwischen Abschottungspolitik und neuem Überstundengesetz hingewiesen: Dass letzteres »notwendig wurde, liegt daran, dass in Ungarn Arbeitskräfte fehlen. Die Regierung sagt seit Jahren: Wir wollen keine Migranten. Was sie nicht dazugesagt hat, war, dass wir ohne Einwanderer die Arbeitszeit erhöhen und mehr Überstunden machen müssen. Genau das geschieht jetzt: Die 400-Überstunden-Regel bedeutet de facto die Einführung einer Sechs-Tage-Woche.« Was Stumpf auch sagt: »Die deutschen Konzerne in Ungarn und vor allem aber die ungarischen Unternehmen selbst haben das neue Arbeitszeitgesetz gewünscht und bekommen.« In Ungarn wird die Neuregelung »Sklavengesetz« genannt.

Vor allem die deutsche Autoindustrie ist in Ungarn aktiv. Zuletzt kündigte im Sommer der Hersteller BMW an, eine Milliarde Euro in ein Werk in der ostungarischen Stadt Debrecen zu investieren. Opel, Audi und Mercedes-Benz haben bereits Fabriken in dem Land. Die »Wiener Zeitung« beschreibt es so: »Ungarn ist ein Standort mit niedrigen Lohnkosten, gut ausgebildeten Arbeitskräften und schwachen Gewerkschaften. Bei der Entscheidung für die Donaurepublik spielen diese Aspekte ebenso eine Rolle wie Subventionen, Steuerermäßigungen und ein dichtes Zulieferer-Netz.«

Laut dem Sender MDR hat sich der ungarische Außenminister Péter Szijjartó davon überzeugt gezeigt, dass unter anderem »die niedrigen Steuern« und »das flexible Arbeitsrecht« für die Entscheidung von BMW den Ausschlag gaben. Die Rechtsregierung hatte 2017 die Körperschaftssteuer auf neun Prozent gesenkt. Außerdem liegen laut dem Generalsekretär des ungarischen Verbandes der Automobilindustrie, Csaba Kilian, die Löhne in Ungarn »nur bei einem Drittel der Löhne in Westeuropa«.

Wachsende Abhängigkeit von der Autoproduktion

Der Autobau macht Berichten zufolge fast ein Drittel aller ungarischen Exporte aus. Als BMW seine Ansiedlung bekannt gab, hieß es in Medien, »in den Regionen, wo sich die großen Autobauer angesiedelt haben, herrsche bereits Arbeitskräftemangel«. Die Geschichte der Autobranche und ihrer verlängerten Werkbank Ungarn begann 1991, als Opel ein Werk mit 660 Mitarbeitern in Szentgotthard eröffnete. 2012 kam für das Unternehmen noch ein Motorenwerk mit 800 Arbeitsplätzen dazu. Audi Hungaria Györ gibt es sei 1993 als Tochtergesellschaft der Audi AG, hier werden Motoren für Marken des VW-Konzerns gebaut. 2013 eröffnete ein neues Werk. Der ungarische Ableger gilt inzwischen als einer der größten Motorenproduzenten weltweit mit rund 12.300 Beschäftigten. 2012 baute Mercedes-Benz ein 800-Millionen-Euro-Investment nahe der Stadt Kecskemet, hier schrauben rund 4.000 Beschäftigte Autos zusammen. Hinzu kommt ein Werk des japanischen Autoherstellers Suzuki in Esztergom, das seit 1991 arbeitet. Auch Unternehmen anderer Branchen sind vertreten: etwa Continental, Bosch, ThyssenKrupp oder Knorr-Bremse.

Vor nicht allzu langer Zeit wies die »Neue Zürcher Zeitung« auf die Probleme hin, die damit einhergehen: Dazu zählt die wachsende Abhängigkeit der Volkswirtschaft in Ungarn von der Autoproduktion, die bei Krisen der Branche besonders getroffen würde, etwa durch hohe US-Zölle auf Autos aus der EU oder durch eine strukturelle Krise wegen des Umbaus der Antriebstechnologie und neuer Anbieter auf dem Markt. Hohe Subventionen für die »alten« Großstrukturen gehen zu Lasten der Förderung des ungarischen KMU-Sektors und einer Diversifizierung der Wirtschaft. Von den ökologischen Aspekten einer auf Autoindustrie gebauten Wirtschaft ganz zu schweigen.

Ein zweites Problem ist aber der zunehmende Mangel an Beschäftigten, vor allem an Fachkräften.  »Die einst hohe Arbeitslosigkeit ist in den vergangenen Jahren so stark zurückgegangen, dass viele Unternehmen händeringend nach qualifiziertem Personal suchen«, so die »Neue Zürcher Zeitung«. Sie meldete im August auch, dass wegen des Fachkräftemangels »die führenden Autohersteller in Ungarn jüngst Lohnerhöhungen von 10 Prozent pro Jahr bieten« mussten.

»Hauptsache, die Kasse stimmt«

Doch das Arbeitskräfteproblem hat sich dadurch offenbar nicht verringert. Eine Umfrage der Deutsch-Ungarischen Industrie- und Handelskammer hat vor geraumer Zeit ergeben, dass drei von vier Unternehmen mit dem Angebot an Fachkräften »unzufrieden« seien. Der MDR dazu: »Gleichzeitig ist die ungarische Regierung, deren politisches Hauptthema der letzten Jahre die Bekämpfung von Migration war, eher zurückhaltend, qualifizierte Arbeitskräfte aus Ländern außerhalb der EU ins Land zu lassen.« Das ist noch zurückhaltend formuliert.

Der Politikforscher Thorsten Benner vom Thinktank Global Public Policy Institute hat bereits im Frühjahr in der »Süddeutschen Zeitung« beklagt, dass sich die deutsche Autoindustrie »von Orbán missbrauchen« lässt. Sie tut das, wie es der MDR formuliert, freilich nicht uneigennützig, sondern nach dem Motto: »Hauptsache, die Kasse stimmt.« Welche Regierung in Budapest am Ruder ist, macht für die Ansiedlungsentscheidungen keinen Unterschied. Die »Wirtschaftswoche« zitierte Gabriel A. Brennauer von der Deutsch-Ungarischen Industrie- und Handelskammer einmal mit den Worten, die Konzerne würden »keine ideologischen Kriterien anlegen, wo ihre Investitionen stattfinden«.

Der Experte Benner verweist darauf, wie sich Regierungschef Orbán mit den deutschen Ansiedlungen brüstet: »Wir Ungarn sind so erfolgreich, die deutschen Konzerne investieren hier und zeigen sich auch gerne mit mir«, habe der Rechtsaußen-Politiker immer wieder erklärt, Investitionen würden »zur Legitimierung genutzt«. Laut Benner nenne Orbán den ehemaligen CDU-Staatsminister Eckart von Klaeden öffentlich »meinen Freund«, der Mann ist inzwischen Daimler-Cheflobbyist.

Foto: Mercedes-Benz-Werk in Kecskemét, Horsee / CC BY-SA 4.0

Geschrieben von:

Vincent Körner

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