Wirtschaft
anders denken.

Ökonomische Spaltung? Ach was!

16.01.2018
Jollymama / Pixabay

Die Vermögenden werden vermögender. Ungleichheit wird zwar durch Umverteilung gedämpft, aber auch das deutlich weniger als früher. Dennoch wird die Diagnose immer wieder infrage gestellt. Die private Aneignung gesellschaftlich produzierter Werte durch einige Wenige soll möglichst reibungslos verlaufen. Über die interessengeleitete Begleitmusik der Regierungsbildung. 

Es wird niemandem entgangen sein, dass nicht nur linke SPD-Leute und die anderen Parteien der sozialdemokratischen Matrix, also Grüne und Linke, das Sondierungsergebnis und eine mögliche neue Große Koalition als fatal kritisieren. Da spielt eine Portion Parteienkonkurrenz mit rein, aber auch kritische inhaltliche Abwägung. So weit so erwartbar. Wichtiger an dieser Stelle ist, wie das Echo auf Seiten der Kapitallobby und bei deren Bauchrednern ausfällt: Sie regen sich ebenso über das Sondierungsergebnis auf. Nur eben mit umgekehrter sozialer, ökonomischer und politischer Polung.

Es sei »auf dem Rücken der Arbeitgeber verhandelt« worden, heißt es da allen Ernstes bei den Familienunternehmern. Der Bundesverband der deutschen Industrie gibt sich noch am konziliantesten, beklagt aber auch, es sei bei der Sondierung »zu wenig über Wettbewerbsfähigkeit« gesprochen worden – üblicherweise eine Umschreibung für die Forderung nach besseren Profitbedingungen für die Unternehmen und ihre Eigentümer. Beim BDA sieht man eine »klare Schlagseite zur Umverteilung« in der vorläufigen Einigung – natürlich in die falsche Richtung. Und der Lobbyverein »Bund der Steuerzahler«, der vor allem die Interessen von Firmen und einigen Freiberuflern vertritt, rief bereits danach, in den Koalitionsverhandlungen zu definieren, »wo genau Einsparpotenzial besteht« – ja, es geht ihm darum, Haushaltskürzungen einzuleiten.

Sondierungskritik von Unternehmerseite

Aufmunitioniert wird diese Art der Sondierungskritik durch ein neues kleines Zwischenhoch der Debatte über die Ungleichheit, ihre Ausmaße, Dimensionen und die Frage, was dagegen getan werden könnte. »Doch stimmt die Diagnose von der auseinanderdriftenden Gesellschaft überhaupt?«, fragt die »Welt« – und weiß ihre Antwort: »Mitnichten. Eine aktuelle Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft zeigt auf, dass der soziale Aufstieg nicht die Ausnahme, sondern die Regel ist.« Gemeint ist ein Papier des unternehmensnahen Instituts der deutschen Wirtschaft, in dem dieses die These, »in Deutschland sei es vor allem eine Frage des Elternhauses, wie weit es Kinder im Leben bringen«, widerlegt haben will.

Ein Ergebnis der Studie: »Rund 63 Prozent der Söhne in Deutschland haben ein höheres Arbeitseinkommen als ihre Väter.« Das ist eine Menge, man fragt sich aber natürlich: Was ist mit den anderen 37 Prozent? Auch bei den »rund 90 Prozent« jener »Söhne von Vätern aus dem niedrigsten Einkommensviertel«, die ein höheres Einkommen als ihre Väter erreichen, steht immerhin in Rede, dass zehn Prozent vom »Kernversprechen der sozialen Marktwirtschaft« nichts haben. Marcel Fratzscher vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung verwies noch auf einen weiteren Aspekt: »Diese Studie hier sagt etwas über die Vergangenheit aus, nicht über die Gegenwart«, denn sie untersucht die Lage bei zwischen 1955 und 1975 geborenen Bundesbürgern. Diese, so Fratzscher, seien nicht heute mehr Kinder. Es wird sich also erst noch zeigen, ob auch sie einkommensmäßig über das Niveau ihrer Väter aufsteigen. Und er ergänzte: »Soziale Mobilität, Chancengleichheit in Deutschland sind gering im internationalen Vergleich.«

Auseinanderdriftende Gesellschaft – ja, durchaus

Kurzum: Es wird aus den Daten immer und gern das betont, was die eigene Position oder Forderung untermauert. Das ist auch auf der anderen politischen Seite so: Nicht jede Aufregung über gewachsene Armut gibt zum Beispiel transparent darüber Auskunft, inwieweit es sich um absolute oder relative Effekte handelt, wo es Verbesserungen gab – und wo eben nicht. Das würde dem Gesamturteil, dass es sich in einer reichen Gesellschaft es verbieten müsste, dass Menschen sich nicht jeden Tag ein warmes Essen leisten können, nichts ändern. Aber manche Position glaubwürdiger machen. Und im Übrigen sind linke, gewerkschaftsnahe Positionen in der ökonomischen Debatte gesamt betrachtet eher unterrepräsentiert.

Um noch einmal die Frage der »Welt« aufzugreifen, die keineswegs eine rhetorische ist: »Doch stimmt die Diagnose von der auseinanderdriftenden Gesellschaft überhaupt?« Ja, sie stimmt. Und das auf eine drastische Weise, selbst wenn man konzediert, dass es auch schon einmal schlimmer war. Am Dienstag werden in Berlin noch einmal die Daten vorgestellt, die bereits vor einigen Tagen im Zuge des Bekanntwerdens des World Inequality Reports Schlagzeilen machten.

Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung hat für die Bundesrepublik die Ergebnisse auf Basis von Einkommensteuerdaten analysiert. Ein Ergebnis – und eine mögliche Antwort auf die »Welt«-Frage: Seit 1995 hat das oberste 1 Prozent der Einkommensbezieher seinen Anteil am gesamten Volkseinkommen von acht auf 13 Prozent gesteigert. »Dagegen hat sich der Anteil, den die Hälfte mit den geringsten Bruttoeinkommen erwirtschaftet, seitdem deutlich reduziert«, so die DIW-Ökonomin Charlotte Bartels. Sie hält die Zahlen sogar noch für unterschätzt, sie würden noch höher ausfallen, »würde man die einbehaltenen Gewinne der Unternehmen dazurechnen, das heißt die Gewinne, die die Unternehmen seit Anfang der 2000er Jahre zunehmend im Unternehmen behalten statt sie auszuschütten«.

Wer sind die Profiteure der deutschen Exportweltmeisterschaft?

Es geht hier um die Aneignung gesellschaftlicher produzierter Werte durch einige Wenige – und um eine dadurch immer stärker deutliche Schieflage. »Parallel zu dem Anstieg des obersten Ein-Prozents ist auch die gesamtwirtschaftliche Bedeutung von Unternehmens- und Vermögenseinkommen gegenüber Lohneinkommen gewachsen.« Im Ergebnis werden die Vermögenden vermögender. Interessanter Aspekt hierbei: »Die Entwicklung Deutschlands zum Exportweltmeister läuft ebenfalls parallel zur Entwicklung des Einkommensanteils des obersten Perzentils seit den 1990er Jahren. Dies legt nahe, dass die SpitzenverdienerInnen in Deutschland, die ihre Einkommen zum großen Teil aus Unternehmensbesitz beziehen, deutlich mehr vom wachsenden Außenhandel profitiert haben als die Angestellten.«

Das DIW weiß durchaus, dass die Ungleichheit heute vom »Steuer- und Transfersystem deutlich stärker reduziert« wird als vor hundert Jahren – dieser Vergleich hatte nach Veröffentlichung des World Inequality Reports Schlagzeilen gemacht, war aber sofort auch kritisiert worden. Bartels weist aber auf einen anderen Fakt hin: Die Steuerreformen der letzten 20 Jahre hätten »die Umverteilungswirkung des Steuersystems gedämpft«. Es war also schon einmal besser. Damit es aber schlechter bleibt, wird nun auch gern die Regierungsbildung begleitend behauptet, die Lage wäre doch gar nicht so schlecht.

Zum Weiterlesen

Eine umfangreiche Sammlung mit Analysen zu wirtschaftlichen und sozialen Ungleichheiten in der Bundesrepublik gibt es hier bei der gewerkschaftsnahen Böckler-Stiftung.

Geschrieben von:

Vincent Körner

Hinweis

Guter Journalismus ist nicht umsonst…

Die Inhalte auf oxiblog.de sind grundsätzlich kostenlos. Aber auch wir brauchen finanzielle Ressourcen, um oxiblog.de mit journalistischen Inhalten zu füllen. Unterstützen Sie OXI und machen Sie unabhängigen, linken Wirtschaftsjournalismus möglich.

Zahlungsmethode

Betrag