Wirtschaft
anders denken.

Unser täglich Brot

06.11.2017

Anders landwirtschaften? Wer besser essen will, muss die Logik der herrschenden Produktionsweise zum Thema machen. / Ein Text aus dem Schwerpunkt »Unser täglich Brot« der OXI-Printausgabe vom November 2017.

Es gibt in Deutschland praktisch für alles ein Gesetz und deshalb ist seit 1955 festgelegt, was die Landwirtschaft erbringen soll: »bestmögliche Versorgung mit Ernährungsgütern«. Der Politik wird außerdem ein Auftrag erteilt, nämlich der, alles dafür zu tun, die »naturbedingten und wirtschaftlichen Nachteile« der Agrarbranche »gegenüber anderen Wirtschaftsbereichen auszugleichen und ihre Produktivität zu steigern«. Und den Bauern soll es sozial auch besser gehen.

Es hat sich einiges getan seither. Damals ernährte ein Landwirt im Schnitt zehn Personen, Anfang des 21. Jahrhunderts sind es über 140. Was die Produktivität angeht, ist der Fortschritt also unverkennbar – ob dabei die »bestmögliche Versorgung mit Ernährungsgütern« herauskommt, steht auf einem anderen Blatt.

Heute spricht man von nachhaltiger Entwicklung, es wird auf die Folgen für Gesundheit und Ökologie hingewiesen, Themen wie Tierschutz und Verbraucherinteressen oszillieren in der Debatte um »gutes Essen« und »faire Landwirtschaft« umeinander.

Das ist gut so, aber in aller Regel wird ein Punkt ausgeblendet: Landwirtschaft findet unter den Bedingungen einer gesellschaftlichen Produktionsweise statt, die dem Agrarsektor Regeln aufzwingt, mit denen man all die wohlklingenden Ziele kaum erreichen kann. Und da haben wir über das Problem einer imperialen Lebensweise, die es geschafft hat, die ganze Welt in einen Markt zu verwandeln, der trotz immenser Reichtumproduktion auch heute nicht in der Lage ist, massenhaften Hungertod zu verhindern, noch gar nicht gesprochen.

Hierzulande sorgt man sich derweil meist um andere Sachen, das illustriert die Debatte über die Zulassung des Unkrautvernichters Glyphosat seit Jahren. Doch wer über Bienensterben und Krebsgefährdung reden möchte, kann über die Ökonomie der Ernährung nicht schweigen. Es ist keine Boshaftigkeit, wenn Landwirte darauf hinweisen, dass eine glyphosatfreie Bestellung des Bodens für sie teurer wird. Selbst wenn viele darin eine Ausrede sehen wollen: Dass der Bauernverband auf die Wettbewerbsbedingungen verweist, kommt ja nicht von ungefähr.

Der Punkt ist ein anderer. Es ist der Widerspruch zwischen der gesellschaftlichen Befriedigung von Grundbedürfnissen, wie hier der Nahrung, und der kapitalistischen Funktionsweise der dazu nötigen Produktion.

Ein Lobbyist der Agrarbranche hat dieser Tage in der Glyphosat-Debatte erklärt, bei einem Verbot »werden wir unsere Produktionssysteme dann eben etwas umstellen müssen«. Also ginge es doch, hört man da schon die Chemiegegner frohlocken. Dies könnte auch dazu führen, dass Landwirtschaft ökologischer wird – aber das ist nicht einmal so sicher, weil zur konkurrenzfähigen Herstellung von zum Beispiel Brotgetreide dann Methoden angewandt werden müssen, die auf ihre Weise der Natur Narben zufügen. Und der Druck, profitabel zu sein, geht davon auch nicht weg.

In den Gesprächen über eine mögliche Jamaika-Regierung galt die Landwirtschaft als einer der größeren Knackpunkte – auch wenn das Thema nicht so viele Schlagzeilen macht wie andere. Die Grünen haben davor gewarnt, weiter auf eine »industrialisierte Agrarwirtschaft« zu setzen, die eine »kurzsichtige Ausbeutung unserer Ökosysteme und Massenproduktion« mit sich bringt. Die Union möchte gern, dass es so weitergeht wie bisher – immerhin hat zuletzt die CSU das Fachministerium geleitet. Und die Freidemokraten wollen sich mit Rufen nach weniger Regeln als »starke Stimme« der Landwirte in Szene setzen. Das alte schiefe Lied der Deregulierung.

Dass im Kapitalismus auch der Landwirt Geld verdienen muss, selbst wenn das heute zum Teil Konzerne sind, die in Renditen denken, kann nicht durch Empörung verstanden werden. Wer wirklich über eine »bestmögliche Versorgung mit Ernährungsgütern« reden möchte, muss die Logik der Rentabilität auf die Tagesordnung setzen, die eine Produktion und Distribution von Nahrungsmitteln erzwingt, die eben nicht »grün« oder »tiergerecht« oder gar im globalen Maßstab solidarisch ist.

It’s the economy, stupid. Die Frage nach dem »täglich Brot« ist sogar mehr als andere eine nach dem großen Ganzen. In der Produktion von Nahrungsmitteln bündeln sich praktisch alle Fragen, die mit der Wirtschaftsweise zusammenhängen – also auch mit deren Vernunftlosigkeit, die nicht das Problem subjektiven Versagens ist, sondern ein systemisches. Und mit deren Widersprüchen.

Denn eine Welt, in der Technologie und Wissen dazu beigetragen haben, dass alle Menschen ausreichend ernährt werden könnten, und das sogar ohne schlimmen Raubbau an der Natur, ist nur solange eine schlechte, wie man die darin liegenden Potenziale des Fortschritts nicht politisch entfesselt hat. Dies geschieht im Kleinen bereits – in Bewegungen zur Ernährungssouveränität, oder in ökologischen Genossenschaften. Es müsste aber zum Großen werden, nicht nur räumlich gedacht.

Die Pointe läuft auf die Tatsache hinaus, dass jeder Laib die Grenzen des Gebrauchswertes schon in sich trägt, solange es bei der Herstellung dann doch um den Tauschwert geht. Wie viel wir wegwerfen, was wir uns leisten können, wie viel daran verdient wird, trotz absurder Ladenpreise, und von wem, wie groß der moralische Skandal ist, der darin besteht, dass in einer reichen Welt viele dennoch keinen Krümel abbekommen, wie sehr sich das alles auf die Umwelt auswirkt, steckt im sprichwörtlichen »Brot«. Und im echten natürlich auch.

Geschrieben von:

Tom Strohschneider

Journalist

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