Wirtschaft
anders denken.

Daten für die solidarische Stadt: Was wir gegen die neoliberale Smart-City-Agenda tun sollten

04.12.2017
Ausriss aus dem Cover der Studie / Tithi Luadthong / Shutterstock.com

Die digitale Transformation entscheidet auch über die Zukunft unserer Städte und der urbanen Daten. Alternativen zum Überwachungskapitalismus sind möglich, fallen aber nicht vom Himmel. Ein Plädoyer für vergesellschaftete Informationen und neue kollektive Ansätze – von Francesca Bria und Evgeny Morozov. 

Was wir für einen wirksamen Kampf gegen die Smart-City-Agenda in ihrer pseudodemokratischen und neoliberalen Prägung unbedingt brauchen, sind progressive Bündnisse zwischen Städten, sozialen Bewegungen und politischen Organisationen.

Darüber hinaus bedarf es eines wohl überlegten langfristigen und praxisorientierten Ansatzes in der Technologiepolitik, der mit umfangreichen öffentlichen Investitionen den Ausbau der für die Zukunft benötigten datengestützten Infrastrukturen und innovative Wohlfahrtsprogramme mit einer klaren Gemeinwohlorientierung verbindet.

In den meisten Regierungen und öffentlichen Verwaltungen ist die Einsicht noch nicht richtig angekommen, dass heutzutage die Frage des Zugangs zu und des Umgangs mit Daten im Zentrum gesellschaftlicher Machtverhältnisse liegt, also über die Verteilung von Einfluss und Macht mitbestimmt. Wie in den vorangegangenen Ausführungen deutlich geworden sein sollte, kann ein robustes Datenregime Städten zur Kontrolle über entscheidende urbane Infrastrukturen verhelfen und sie in den Stand versetzen, auf der Grundlage von ausreichenden Informationen der lokalen Bevölkerung wirksame und hochwertige öffentliche Dienste anzubieten.

Digitale Plattformen als Meta-Utilities

In letzter Zeit hat eine öffentliche Debatte begonnen, die wahrscheinlich an Bedeutung gewinnen wird. Darin werden digitale Plattformen als Meta-Utilities verstanden, insofern als in physikalische urbane Infrastrukturen integrierte Daten und Informationsschichten alle anderen vertikalen Dienste wie öffentlicher Nahverkehr, Energieversorgung, Bautätigkeiten, Gesundheitsversorgung, Bildung etc. durchdringen.

Dies verändert rapide die Rahmenbedingungen dafür, wie öffentliche Dienste und Infrastrukturen finanziert, verwaltet und erbracht werden, und beeinträchtigt die Tragfähigkeit des ihnen zugrunde liegenden ökonomischen Modells dramatisch. Daten, Identitäten und Reputation sind wichtige Infrastrukturen der Plattformökonomie, die von uns Bürger*innen zurückerobert werden müssen.

Die Silicon-Valley-Konzerne verfolgen ein Geschäftsmodell, das Daten in eine neue Art von Vermögenswerten verwandelt hat – in eine Ware, die jederzeit verkauft und mit der auf Finanzmärkten gehandelt werden kann. Wir beobachten gerade die Herausbildung eines neuen Eigentumsregimes, das die allgegenwärtige und schier grenzenlose Vermarktung von Daten absichern soll. Nur eine Handvoll von in den USA angesiedelten Unternehmen ( Google, Apple, Facebook und Amazon, abgekürzt GAFA) verfügt über die Kapazitäten, riesige Massen von Daten zu erfassen, auszuwerten und zu interpretieren. Sie können das nur, weil sie in der Lage sind, hochkomplexe Programme maschinellen Lernens zu entwickeln sowie Vorhersagemodelle, mit denen auf Grundlage künstlicher Intelligenz personalisierte Dienstleistungen angeboten werden und Mehrwertproduktion stattfindet. Dieses Modell gesellschaftlicher Verkehrsformen wurde zutreffend als «Überwachungskapitalismus» bezeichnet.

Städtische Daten behalten – und selbst nutzen

Vor diesem Hintergrund ist es zentral, dass Stadtverwaltungen das Eigentum an ihren eigenen und den im urbanen Umfeld von den Bewohner*innen generierten Daten nicht leichtfertig abtreten, sondern diese Daten behalten und selbst nutzen. Sie sollten darüber hinaus die maßgeblichen Infrastrukturen (Soft- und Hardware, Datenzentren etc.) kontrollieren und sich mit anderen zusammenschließen, um im Bereich künstliche Intelligenz und maschinelles Lernen nicht völlig von großen Technologiekonzernen abhängig zu sein. Solche Schritte würden die Kommunen und ihre Bevölkerung dem Ziel der Technologie-Souveränität beträchtlich näherbringen.

Die derzeit stattfindende digitale Transformation wird über die Zukunft unserer Wirtschaft und darüber bestimmen, wie städtische Dienstleistungen demnächst aussehen werden. Fahrerlose Autos und Busse werden derzeit bereits erprobt genauso wie maschinelles Lernen und automatisierte Pflege im Gesundheitssektor, während On-demand-Plattformen im Tourismusbereich und smarte Energienetze schon zu unserem Alltag gehören.

Die Herausforderung besteht darin, vom Überwachungskapitalismus wegzukommen und Schritt für Schritt ein System aufzubauen, mit dem Daten vergesellschaftet werden können und das es erlaubt, neue Formen des Genossenschaftswesens und andere kollektive Ansätze auszuprobieren sowie demokratische und gesellschaftliche Innovationen voranzutreiben, die wir brauchen werden, um tragfähige und zukunftsträchtige Sozial- und Wirtschaftsmodelle für unsere Städte und Kommunen zu entwickeln.

Zu Beginn dieses Umwälzungsprozesses können kleinere Pilotprojekte und Experimente auf der lokalen Ebene, etwa in einzelnen Stadtvierteln, stehen. Danach käme es darauf an, erfolgreiche Ansätze und Projekte, die tatsächlich von spürbarem Wert für die Bewohner*innen sind, auf ganze Städte und Regionen zu übertragen und andere, die diese Anforderung nicht erfüllen, einzustellen. Dienste, die auf Daten-Commons beruhen, Initiativen für  ein  garantiertes Grundeinkommen, komplementäre Währungssysteme  und  dezentrale  Energie-  und  Versorgungsstrukturen in öffentlicher Hand liefern eine ungefähre Vorstellung davon, in welche Richtung es  gehen könnte.

Betreibt dezentralisierte Dateninfrastrukturen!

Kommunale Regierungen können diesen Kampf jedoch nicht allein gewinnen. Es braucht solidarische  Bündnisse und  Netzwerke zwischen Städten, Bewegungen, Gewerkschaften sowie progressiven politischen Parteien und Regierungen auf allen möglichen Ebenen. Nur so ist zu gewährleisten, dass die  von Plattformen, Apparaten, Sensoren und Software produzierten Daten nicht sämtlich in den Datensilos  der Großunternehmen landen und unter Verschluss gehalten werden,  sondern für öffentliche und gesellschaftlich wichtige Zwecke genutzt  werden können.

Stadtverwaltungen sollten zum Beispiel über das Knowhow und die Ressourcen verfügen,  um selbst dezentralisierte Dateninfrastrukturen zu betreiben,  mit Systemen, für die Datenschutzvorkehrungen und die Akzeptanz der Datensouveränität der Nutzer*innen selbstverständlich sind. In einem  weiteren  Schritt  sollten  kommunale Stellen lokale Firmen, Genossenschaften, zivilgesellschaftliche Organisationen und Technologieexpert*innen mit ins Boot holen, um zusammen zusätzliche zukunftsweisende Dienste zu entwickeln und anzubieten – orientiert an gemeinnützigen und solidarischen Prinzipien sowie an bestimmten ökologischen und sozialen Standards wie  Geschlechtergerechtigkeit und Arbeitnehmerrechten.

Das gegenwärtig gültige Paradigma der Gier und Rücksichtslosigkeit ist nicht die einzige mögliche Option für die Weiterentwicklung unserer Gesellschaften. Wir wollten mit der  vorliegenden Veröffentlichung aufzeigen, dass etliche Städte bereits  äußerst klug und gleichzeitig pragmatisch vorgehen, um mit gezielten  Interventionen die technologiegetriebene Umbruchsituation für eine Verbesserung der Gesellschaft und der gegenwärtigen Wohlfahrtssysteme zu nutzen.

Oder in anderen Worten: um das Gemeinwohl zu stärken. Alternative öffentliche und gemeinnützige Formen des Eigentums und der Kontrolle über datenintensive algorithmische Plattformen und Dienste sind ein wichtiger  Schritt hin zu einer demokratischeren und kooperativeren Wirtschaftsweise, die mit neuen Bürger- und  Arbeitnehmerrechten einhergehen und die Logik des kurzfristigen Unternehmerdenkens, der Spekulation  und des Profitmachens überwinden wird.

Der Beitrag ist der Studie »Die Smarte Stadt neu denken« entnommen, die soeben von der Rosa-Luxemburg-Stiftung herausgegeben wurde und hier zum Download bereitsteht

Francesca Bria ist Chief Technology and Digital Innovation Officer in der Stadtregierung von Barcelona. Zuvor war sie Koordinatorin des Projekts D-Cent zu direkter Demokratie und sozialen digitalen Währungen; sie war Beraterin der Europäischen Kommission zur Zukunft des Internets und zu Smart-City-Politiken. Sie ist seit vielen Jahren in sozialen Bewegungen aktiv und publiziert in unterschiedlichen Medien. 

Evgeny Morozov ist einer der profiliertesten Kritiker des digitalen Kapitalismus und beschäftigt sich mit der Frage, wie große Technologiefirmen unsere Gesellschaft und Demokratie umbauen. Er schreibt unter anderem für »The New York Times«, »The Economist«, »The Guardian« und ist Autor mehrerer Bücher.

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