Wirtschaft
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Unternehmer und »Wirtschaftsweise« wollen das Arbeitszeitgesetz lockern – der OXI-Überblick

12.11.2017
Ludek, Lizenz: CC BY-SA 3.0

Die »Wirtschaftsweisen« machen Werbung für die Forderung der Unternehmer, das Arbeitszeitgesetz zu lockern. Es geht um »Wettbewerbsfähigkeit« und zur Begründung muss das Schlagwort »Digitalisierung« herhalten. Dabei arbeiten viele Beschäftigte längst länger als sie müssten.

Der Sachverständigenrat bleibt in den Schlagzeilen – diesmal mit der Forderung, das Arbeitszeitgesetz zu lockern. Zitiert wird der Chef der »Wirtschaftsweisen«, Christoph Schmidt, mit den Worten, »flexiblere Arbeitszeiten sind wichtig für die Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unternehmen«. Der Vorstoß soll wohl den Anschein wissenschaftlicher Kompetenz vermitteln, immerhin sagt das ein »Sachverständiger«. Dass angeblich zu starre Regeln das deutsche Kapital gegenüber dem an anderen Standorten benachteiligt, bleibt aber ohne jede empirischen Beleg. Die seit Monaten vermeldeten Daten über den Zustand der Wirtschaft lassen auch nicht gerade vermuten, dass hier akute Not den den Unternehmen ist. Kurzum: Ein politisches Beratergremium macht sich hier zum Bauchredner der Unternehmen.

Das Arbeitszeitgesetz ist schon länger ein Streitpunkt zwischen Gewerkschaften und Unternehmerlager. Es gilt seit 1994 und legt im wesentlichen die Umsetzung einer EU-Richtlinie fest. Demnach ist die regelmäßige werktägliche Höchstdauer der Arbeitszeit auf acht Stunden begrenzt. Die wöchentliche Höchstarbeitszeit in einer 6-Tage-Woche beträgt 48 Stunden. Zwischen zwei Arbeitstagen muss eine ununterbrochene Ruhezeit von mindestens elf Stunden liegen.

»Digitalisierung« als eine Art Naturgewalt

Beim Bundesverband der Deutschen Arbeitgeberverbände, das ist die Organisation derer, die die Arbeit von anderen »nehmen«, heißt es zum Arbeitszeitgesetz: »Diese Regelungen erweisen sich angesichts der zunehmenden Digitalisierung der Arbeitswelt als zu unflexibel und werden den Bedürfnissen von Unternehmen und Beschäftigten nicht mehr gerecht.« Das Stichwort »Digitalisierung« taucht hier wie eine Art Naturgewalt auf, der man sich anpassen müsse, um die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit zu garantieren. Die Unternehmerlobby sieht dabei vor allem die Beschäftigten am Zug.

Oder, um es mit den Worten des Vorsitzende der so genannten Wirtschaftsweisen in der »Welt am Sonntag« zu sagen: Der Arbeitsschutz habe sich zwar bewährt (das wird immer gesagt, wenn es darum geht, im nächsten Satz das Schleifen sozialpolitischer Errungenschaften zu fordern), er sei aber zum Teil »nicht mehr für unsere digitalisierte Arbeitswelt geeignet«. Illustriert wird dies von Schmidt mit den üblichen Beispielen: Die Vorstellung, »dass man morgens im Büro den Arbeitstag beginnt und mit dem Verlassen der Firma beendet«, sei »veraltet«. Firmen bräuchten Sicherheit, »dass sie nicht gesetzwidrig handeln, wenn ein Angestellter abends noch an einer Telefonkonferenz teilnimmt und dann morgens beim Frühstück seine Mails liest«. Warum er dies überhaupt tun sollte? Weil dies – Achtung! – nicht nur den Unternehmen helfen würde, sondern auch den Mitarbeitern, da sie mit der digitalen Technik flexibler arbeiten könnten.

Sachverständige warnen vor Verkürzung der Arbeitszeit

In seinem Jahresgutachten hatten die Sachverständigen bereits geschrieben, »im Zuge einer Reform des Arbeitszeitgesetzes könnte eine Anpassung von einer Tageshöchstzeit auf eine Wochenhöchstzeit helfen, die Arbeitszeit flexibler auf die Wochentage zu verteilen. Zudem dürfte es sinnvoll sein, bei kollektiven Regelungen Abweichungen von der Mindestruhezeit von elf Stunden zuzulassen, um die Flexibilität von Arbeitszeit und -ort zu fördern. Forderungen nach einer weiteren Verkürzung der Arbeitszeit erscheinen mit Blick auf den im Zuge des demografischen Wandels voraussichtlich zunehmenden Fachkräfteengpass unzeitgemäß.«

Hier wird also gleich noch eine rote Linie auf den Werksboden gemalt, falls jemand auf die Idee käme, eine andere Verteilung der Arbeit zu fordern – damit zum Beispiel mehr für kulturelle, soziale, politische Tätigkeiten oder einfach bloß private Muße übrigbleibt. Solche Forderungen gibt es ja auch, und wenn man sich anschaut, wie sich etwa die Produktivität entwickelt hat, könnte jeder Beschäftigte heute auch deutlich weniger in der Woche arbeiten, während immer noch dasselbe Volumen hergestellt wird. Aber diese Produktionsweise ist zum Wachstum verdammt.

Bis zu 48 Stunden: Wie lange arbeiten Beschäftigte wirklich?

Die durchschnittliche Arbeitszeit je Beschäftigten lag hierzulande im Jahr 2015 bei unter 1.400 Stunden. Der Rückgang von über 1.500 Stunden (1993) resultiert nicht aus einer Verkürzung der idividuellen Arbeitszeiten, sondern  aus dem Anstiegs der Teilzeitquote. Die Teilzeitbeschäftigten haben sogar ihre Arbeitszeit insgesamt betrachtet im Schnitt verlängert. Der Sachverständigenrat dazu: » Während die Anzahl der geleisteten Arbeitsstunden von Vollzeitbeschäftigten über den gesamten Zeitraum hinweg mit durchschnittlich rund 1.660 Stunden je Jahr in etwa konstant blieb, stieg diejenige von Teilzeitkräften zwischen den Jahren 2004 und 2015 sogar von gut 600 Stunden auf knapp 700 Stunden.«

Auf die Woche geblickt sind die Vollzeiterwerbstätigen bereits jetzt »durchschnittlich 41 Stunden pro Woche« im Job, wie das Statistische Bundesamt im September mitteilte. 11 Prozent der Vollzeiterwerbstätigen arbeiten »gewöhnlich sogar mehr als 48 Stunden pro Woche«. Dies ist unter anderem auf die hohe Selbstausbeutung der Selbstständigen zurückzuführen, unter angestellten Beschäftigten sind immerhin noch 6 Prozent mit überlangen Arbeitszeit belastet.

Die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin kommt in ihrem Arbeitszeitreport 2016 sogar noch zu höheren Zahlen. Demnach arbeiten abhängig Vollzeitbeschäftigte »mit durchschnittlich 43,5 Wochenstunden tatsächlich knapp 5 Stunden pro Woche länger als vertraglich vereinbart«, auf dem Papier liegt der Durchschnitt bei 38,6 Stunden. Die tatsächliche Wochenarbeitszeit variiere »im Branchenvergleich zwischen 35 und 42 Stunden«. Die im Durchschnitt »längsten Arbeitszeiten existieren in der Industrie und im Handwerk«. 43 Prozent der Beschäftigten arbeiten mindestens einmal im Monat am Wochenende. Mehr als die Hälfte dieser Beschäftigten arbeitet nicht nur an Samstagen, sondern auch an Sonn- und Feiertagen.

Die Bundesanstalt schreibt weiter: »Längere Arbeitszeiten und Überstunden gehen häufig mit Termin- oder Leistungsdruck, einer Überforderung durch die Arbeitsmenge sowie dem Ausfallen von Arbeitspausen einher.« Das führt dazu, dass mit zunehmender Länge der Arbeitszeit der Anteil der Beschäftigten sinkt, »die mit ihrer Work-Life-Balance zufrieden sind, und es steigt der Anteil der Beschäftigten, die gesundheitliche Beschwerden berichten«.

DGB warnt vor Rolle rückwärts bei den Arbeitszeiten

Auch Gewerkschaften verweisen auf erwiesene Belastungsgrenzen, die »definitiv bei acht Stunden Arbeitszeit« am Tag liegen, wie es DGB-Chef Reiner Hoffmann einmal formulierte. Er warnte auch, dass das Schlagwort Digitalisierung nun dazu missbraucht würde, »um eine Rolle rückwärts bei den Arbeitszeiten einzuleiten«.

Man kann den Vorstoß des Sachverständigenrates, das Arbeitszeitgesetz zu flexibilisieren, im Übrigen auch im Lichte einer tarifpolitischen Debatte sehen: Die IG Metall versucht gerade, einen Anspruch auf Arbeitszeitverkürzung samt Lohnausgleich durchzusetzen. Es geht darum, die wöchentliche Arbeitszeit vorübergehend auf bis zu 28 Stunden pro Woche absenken dürfen können – wobei etwa Schichtarbeiter einen finanziellen Ausgleich erhalten sollen. Das stößt im Unternehmerlager auf Widerstand: »Wir sehen in der Forderung einen totalen Systemwandel«, wird jetzt Südwestmetall-Chef Stefan Wolf zitiert.

Am kommenden Mittwoch beginnen die Tarifverhandlungen. Da passt es doch ganz gut, wenn statt einer öffentlichen Debatte über Umverteilung und Reduzierung von Arbeit eine darüber läuft, wie wichtig es ist, »für die Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unternehmen« die Axt an das Arbeitszeitgesetz zu legen. Jedenfalls für die »Arbeitgeber«.

Zum Weiterlesen

IZA: Mehr Flexibilität im Job macht nicht immer glücklich (2017)

Julia Büttner: 50, 60, 75 Wochenstunden – wer bietet mehr? (2017)

Geschrieben von:

Svenja Glaser

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