Wirtschaft
anders denken.

Exklusiv und teuer

29.06.2023
Wenn Urlaub zum Erlebniszwang wird, kann er auslaugender werden, als der Alltag.Foto: pxfuel

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Urlaub dient in einer zunehmend ökonomisierten Gesellschaft oft auch dem demonstrativen Konsum.

Urlaub ist eine Errungenschaft der jüngeren Zeit, die aber aristokratische Wurzeln hat. Darauf machten Bertrand Réau und Christophe Guibert 2020 in einem Beitrag für »Le Monde diplomatique« aufmerksam: Im späten 17. Jahrhundert sollten sich die britischen Adelssprösslinge auf eine »grand tour« ins Ausland – vorzugsweise Italien – begeben, um sich »zu bilden und außerdem fern der heimischen Blicke über die Stränge« schlagen zu dürfen. Reisen war damit exklusiv diesen aristokratischen Schichten vorbehalten und diente auch dazu, sich spezifische, für diese Schicht relevante Sozialkapitalien anzueignen (sprachliche und kulturelle Fertigkeiten). Später sorgten die Schulgesetzgebung und Arbeitszeitverkürzungen für erwerbsarbeitsfreie Zeiten und auf diese Weise wurden »Urlaub« und Reisen auch breiteren Schichten zugänglich. Damit wäre die Exklusivität für die Wohlhabenden eigentlich dahin gewesen. »Eigentlich« deshalb, weil die Logik des marktwirtschaftlichen Systems – so Réau und Guibert in ihrem Beitrag – zur Diversifizierung der »Reiseformate« anregte. Die ursprüngliche Exklusivität blieb deshalb erhalten, weil Reiseformate entstanden, die sich Menschen mit geringem Einkommen nicht leisten konnten. Entsprechend schrieben Réau und Guibert: »Ebenso wie bei ihrem Kulturkonsum heben die reichen Touristen sich durch ein Verhalten ab, das den Kindern und Heranwachsenden – ganz in der Tradition der grand tour – wertvolle Lernprozesse bietet.«

In diesem Zusammenhang passt der Hinweis von Sighard Neckel auf den demonstrativen Überkonsum der sogenannten Verschmutzungselite in »Blätter für deutsche und internationale Politik«, Ausgabe 4/2023. Anknüpfend an den alt-institutionalistischen Ökonomen Thorstein Veblen (1857-1929) schrieb Neckel, dass es gerade der hohe Preis von Luxusgütern sei, der den Wohlhaben einen Anreiz bieten würde, diese Güter zu erwerben. Je teurer das Gut, desto exklusiver ist es. Auf die Zurschaustellung genau dieser Exklusivität zielt der demonstrative Konsum.

Vertreter:innen der Mainstreamökonomik und Wirtschaftsliberale mögen darin auch heute kein Problem sehen. Offenbar existiert eine Zahlungsbereitschaft, die durch exklusive (teure) Reiseformate abgeschöpft wird. In einer freien Marktwirtschaft gibt es keine Institution, die dazu zwingt, Geld für diese Reiseformate auszugeben. Klar, die Einkommenssituation ist natürlich bestimmend dafür, sich teure Reisen auch leisten zu können. Aber erstens ändert das nichts daran, dass grundsätzlich jeder Mensch eine teure Reise kaufen könnte. Zweitens wäre es ebenso grundsätzlich denkbar, durch Leistung und Verzicht (Sparen) an den Geldbetrag für solche teuren Reisen zu gelangen. Und drittens wäre das dann auch eine individuelle Nutzen-Überlegung: Wer viel Geld für eine Reise ausgibt, tut dies überlegt und hat einen spezifischen – individuellen – Nutzen davon. Teure Reisen sind demnach prinzipiell allen zugänglich, entscheidend sind lediglich Preis und Nutzenkalkül, und wer sich ein teures Reiseformat leistet, tut dies freiwillig. Wo kämen »wir« in unserer wirtschaftsliberalen freien Welt hin, wenn »wir« anderen vorschreiben würden, ob, wie und wo sie ihren Urlaub verbringen?

Dies ist natürlich etwas polemisch zugespitzt. Aber in der Tendenz läuft die marktwirtschaftliche, wirtschaftsliberale und mainstreamökonomische Argumentation darauf hinaus, die Freiheit im wirtschaftlichen Entscheiden, das Nutzenkalkül und den Preismechanismus in den Vordergrund zu rücken und zu verteidigen.

Tatsächlich scheint sich mit dem »Reisen« – oder allgemeiner: »Urlaub« – dann doch ein sehr komplizierter Problemkomplex zu verbinden: Es werden mehrere Fragen auf ganz verschiedenen Ebenen adressiert. Dazu lässt sich bereits der oben von Neckel erwähnte demonstrative Konsum anführen. Zwar mögen sich – wie Réau und Guibert betonten – mit den teuren Reiseformaten auch spezifische Lernprozesse verbinden, aber im Grunde werden sie hauptsächlich wegen des hohen Preises – der Exklusivität verspricht – konsumiert. Auch das mag sich mainstreamökonomisch erklären und rechtfertigen lassen: Der hohe Preis bildet dann (institutionenökonomisch gesprochen) eine Barriere, für die mensch gerne bereit ist, zu zahlen. Mensch möchte gerne unter seinesgleichen bleiben. Zunächst fällt auf, dass der Konsumzweck nicht allein im Reisen liegt, sondern Reisen der Distinktion, Demonstration und Anerkennung dient. Der »Gebrauchswert« ist schlicht ein anderer als beim bloßen Reisen. Was bezahlt wird, ist der Effekt des demonstrativen Konsums usw. Doch dieser demonstrative Konsum wirkt auch in der Breite als Anreiz. Es ist nicht nur die Abgrenzung der Wohlhabenden von jenen, die sich eine »grand tour« nicht leisten können, sondern ebenso der Anreiz für genau diese Habenichtse, an diesem Spiel teilzunehmen, in der Hoffnung, auch endlich einmal in den erlauchten Kreisen auf der Sonnenseite sitzen zu können und dort spezifische Sozialkapitalien zu erwerben. Ob und in welchem Umfang Letzteres möglich ist, sei dahingestellt. Was aber bei diesem Wettbewerbsspiel verdrängt zu werden scheint, sind die Effekte auf Umwelt und Gesellschaft, die damit im Zusammenhang stehen mögen. Neckel bezeichnete die Reichen und Superreichen nicht ohne Grund als »Verschmutzungselite«. Zum Beispiel zeigt der World Inequality Report 2022 für Deutschland, dass die wohlhabendsten 10 Prozent der deutschen Haushalte jährlich etwa 34 Tonnen CO2-Äquivalente ausstoßen, während die unteren 50 Prozent der Haushalte bei etwa 6 Tonnen iegen, was heißt, dass die oberen (d. h. einkommensstärksten) 10 Prozent der Haushalte etwas weniger als das Sechsfache der unteren 50 Prozent emittieren. Wer den demonstrativen Konsum dieser »Verschmutzungseliten« als erstrebenswert ansieht, handelt sich somit also auch deren »Verschmutzung« mit ein. In diesem Sinne problematisch ist sicherlich auch, dass das marktwirtschaftliche Kalkül nicht nur für eine Ausdifferenzierung von Reiseformaten sorgt, sondern diese in einer sich ökonomisierenden Gesellschaft auch für das Ausdifferenzieren des demonstrativen Konsums steht. Aus Sicht einkommensschwacher Haushalte mag der lange Weg zum demonstrativen Konsum der »Verschmutzungselite« durch viele Etappen demonstrativen Konsums – entlang aufsteigender Preisniveaus – führen, die aber in der Sogwirkung des Konsums der »Verschmutzungselite« stehen. Wo die Diversifizierung von Reiseformaten im Besonderen das schlechte Gewissen der Wohlstandseliten mit einem sehr exklusiven »Ökotourismus« adressiert, mag dann zwar der Exklusivität der Wohlhabenden im Sinne einer »grand tour« Genüge getan sein. Indes wirkt der Preis aber auch weiterhin für andere Reiseformate als Signal für demonstrativen Konsum, mit allen damit verbundenen Begleiterscheinungen: CO2-schädliche Mobilität und Erschließung bisher nicht touristisch genutzter Natur zum Beispiel.

Vor diesem Hintergrund erschließt sich vielleicht besser, warum Helge Peukert kürzlich die sofortige Einstellung des Verkehrs von Kreuzfahrtschiffen und Niedrigpreis-Fluglinien sowie ein Recht auf einen personengebundenen Hin- und Rückflug pro Jahr forderte (OXI 05/23). Im Grunde handelt es sich dabei um einen ordoliberalen Versuch einer Rahmensetzungen des Wirtschaftens, die notwendig wäre, um die globalen Umweltprobleme vor dem Hintergrund der Unwuchten, die sich aus der Einkommens- und Vermögensungleichheit ergeben, in den Griff zu bekommen. Und diese hätte dann selbstredend auch Auswirkungen darauf, wie Menschen ihren Urlaub verbringen.

Neben diesen Umweltfragen führt das Reisen als demonstrativer Konsum aber noch zu einem anderen, plural-ökonomischen und wirtschaftsethischen Grundkonflikt: Der bezahlte Urlaub, der einst von den Gewerkschaften erstritten wurde, sollte eigentlich der Erholung dienen. Selbst aus einer marktradikalen Sicht ließe sich diese Erholung rechtfertigen damit, dass die Arbeitskraft reproduziert werden muss. Urlaub als bewusstes Ausklinken aus der marktwirtschaftlichen Verwertungslogik und deren Prinzipien als praktisch »marktwirtschaftliche« Pflichtübung, um nach dem Aufladen der Batterien »dem Markt« wieder zur Verfügung stehen zu können. Gleichwohl dient Urlaub in einer zunehmend ökonomisierten Gesellschaft auch dem demonstrativen Konsum: Urlaub ist nicht zwangsläufig Erholung, sondern muss individuell, besonders und ›exklusiv‹ sein, um danach etwas zum Erzählen zu haben, wodurch mensch sich von anderen abhebt. Der marktwirtschaftliche Wettbewerb aus dem Erwerbsleben geht so fließend in den Wettbewerb des demonstrativen Konsums in der Freizeit über. Erholung? Eher Fehlanzeige. Was bleibt, ist das Gefühl, sich auch vom Urlaub erholen zu müssen, allerdings immer mit dem schlechten Gewissen, sich dann dem Müßiggang hinzugeben. Die marktwirtschaftliche Diversifizierung der Reiseformate nährt dieses Konsumverhalten: Im ständigen Vergleich mit anderen geht es um die Suche nach möglichst individuellen, besonderen Reiseformaten, mit denen mensch sich von anderen abgrenzt. Man mag das mit »Neid« in Zusammenhang bringen, schließlich würde neidisch darauf geblickt, wie andere oder die »Verschmutzungselite« ihren Urlaub verbringen. Ethisch gesehen wären es natürlich verwerflich, aus »Neid« Kapital schlagen zu wollen. »Neid« und »Habsucht« – zwei Todsünden – in trauter Zweisamkeit. Allerdings würde dies zu kurz greifen, weil es den marktwirtschaftlichen Systemzwang ignoriert, der a) die Menschen im marktwirtschaftlichen System in die Wettbewerbsarena des demonstrativen Konsums drängt und b) Unternehmen dazu bringt, die Menschen für ihren Kampf in dieser Wettbewerbsarena zu wappnen. Problematisch ist dies, weil das »marktwirtschaftliche System« auf diese Weise unbeabsichtigt, aber sehenden Auges den Ast absägt, auf dem es sitzt.

Wer das ändern möchte, wird zwangsläufig nicht um ›die‹ Systemfrage herumkommen. Darauf laufen Konzepte wie »De-Growth« oder die Postwachstumsökonomie hinaus. Wirtschaftsethisch wäre an die Integrative Wirtschaftsethik von Peter Ulrich zu denken, der im Rahmen seines Konzepts von einer »Ökonomie der Lebensfülle« sprach, die auf einer »ganzheitlichen Lebenskunst des Genug-haben-Könnens« basiere. Zweifelsohne hätte das auch Auswirkungen auf »Urlaub« und »Reisen«. Viel grundsätzlicher: Es würde um Freizeitgestaltung gehen, die unter dem Einfluss der Verkürzung der Erwerbsarbeitszeit auch ganz andere Formen annehmen kann und nicht mehr zwangsläufig der Regeneration der (Lohn-)Arbeitskraft dienen muss. »Markt« und Lohnarbeit wären damit nicht notwendigerweise verdammt. Aber die Menschen hätten sich »vom Markt« insoweit emanzipiert, als die »Nicht-Erwerbsarbeitszeit« dann einen anderen Stellenwert und Zweck hätte als heute. Das, was heute »Freizeit« genannt wird, stünde nicht im Dienst »des Marktes«, sondern könnte dann davon so unbeeindruckt wie selbstverständlich selbstzwecksetzend der Muße, der eigenen Persönlichkeitsentwicklung und der Pflege sozialer Beziehungen dienen. Das, was in der »Nicht-Erwerbsarbeitszeit« getan wird, muss dann auch nicht mehr im demonstrativen Konsum von Urlaub bestehen. Damit wäre übrigens eine Voraussetzung erfüllt dafür, sich in der Zeit, in der keinem Lohnerwerb nachgegangen wird, auch tatsächlich erholen zu können.

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