Wirtschaft
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Vegane Goldgrube: Über einen boomenden Markt, für den es nun auch ein Wirtschaftsmagazin gibt

09.05.2018
Zeetz , Lizenz: CC BY-SA 2.0

Der Markt für vegane Produkte boomt, immer mehr Hersteller steigen ein, immer mehr Investoren wollen daran verdienen. Ein neues Onlinemagazin widmet sich nun ganz der wirtschaftlichen Seite des »veganen Lifestyles«.

»Experte sagt der Sexspielzeugindustrie eine vegane Zukunft voraus.« Tatsächlich? Wenn Sie sich nun fragen, was das soll – solche Schlagzeilen findet man in einem neuen Onlinemagazin, »das sich komplett auf Wirtschaftsthemen rund um den veganen Lifestyle fokussiert«: den »vegconomist«. Angesprochen werden nicht in erster Linie Verbraucher oder Menschen, die sich für eine bestimmte Ernährungskultur entschieden haben. Es geht auch nicht vorderhand um die Frage, was veganer Konsum politisch oder ökologisch bringt. Sondern wie man damit Geld verdienen kann.

Der »vegconomist« richtet sich vor allem an »Entscheider in Unternehmen und im Handel, die bereits im veganen Bereich unterwegs sind, dies planen oder sich einen Überblick über den veganen Markt verschaffen möchten«. Der ist längst keine Nische mehr, sondern das, was die PR-Agentur hinter dem Projekt »Lifestyle« nennt: etwas, das vom engeren Sinne der Ernährung auch »Fashion, Interior Design, Beauty, Gastronomie, Gemeinschaftsverpflegung oder Events« umfasst. Vor allem aber ist es: ein Multimilliarden-Markt.

Wachstumsrate im Schnitt bei fast 17 Prozent

Im »Branchenreport Vegetarisch & Vegan« des IFH Köln aus dem Jahr 2016 wird mit Blick auf »die drei umsatzstärksten Warengruppen – vegetarische und vegane Fleisch- und Milchalternativen sowie der Bereich Frühstück mit pflanzlichen Brotaufstrichen, Müsli und Cornflakes« ein starkes Umsatzplus in den fünf Jahren davor registriert: »Die durchschnittliche jährliche Wachstumsrate lag bei fast 17 Prozent. Damit lag das Marktvolumen für diese drei Warengruppen 2015 bei 454 Millionen Euro.«

Das ist bei einem Anteil der »echten« Vegetarier oder Veganer von »rund vier Prozent der deutschen Bevölkerung« erstaunlich, aber erklärbar: Für immer mehr Menschen – 24 Prozent der Bevölkerung werden als Flexitarier bezeichnet, die nur sehr wenig Fleisch essen – werden immer mehr Produkte in den Markt gebracht, vor allem so genannte Fleischalternativen. Bei der PR-Agentur, die hinter dem »vegconomist« steht, wird der Anteil heute sogar noch größer geschätzt: »In Deutschland leben laut Experten bereits zehn Millionen Menschen fleischfrei, hinzu kommen circa 30 bis 40 Millionen Flexitarier, die immer häufiger auf Fleisch zugunsten einer pflanzlichen Ernährung verzichten.«

Noch mehr Zahlen: 2016 warf eine Studie des Marktforschungsinstituts Mintel ein bisschen Licht auf den Boom pflanzlicher Alternativprodukte: »2015 kamen 42 Prozent aller Nahrungsmittel mit pflanzlichem Protein in Europa auf den Markt. Zum Vergleich: In Nordamerika waren es 13 Prozent. Deutschland sticht bei den Produkteinführungen besonders heraus: Knapp 8 Prozent aller weltweit neu eingeführten Fleischalternativen kamen 2015 hierzulande in den Handel. Im Jahr zuvor waren es erst 3 Prozent«, berichtete seinerzeit die Albert Schweitzer Stiftung. Ein Jahr später wurde erneut von der »rapiden Entwicklung im Bereich der veganen Lebensmittel- und Getränkeherstellung« berichtet: »Im Jahr 2012 entsprach der Anteil der veganen Neueinführungen gerade einmal einem Prozent. Dieser liege mittlerweile schon bei 13 Prozent«, so die »Bäckerzeitung«.

Attraktive Zielgruppe und kapitale Aussichten

In den Zielgruppen lässt sich meist ganz gut verdienen, sie gilt als jung, gut gebildet, die ethische Grundierung der Esskultur sorgt für eine zielgerichtete Konsumauswahl, die man sich auch einiges kosten lässt. Hinzu kommt eine politische Aufwertung, eine vegane Lebensweise gilt als Beitrag zur »Lösung gegen Umweltzerstörung und Zivilisationskrankheiten, die die globale Volkswirtschaft Billionen-Beträge kosten«, wie es beim »vegconomist« heißt.

Interessant könnte sein, auch Fragen zu thematisieren, bei denen es um mögliche neue Umweltprobleme geht, die durch den Vegan-Boom befördert werden. Immerhin hat allein Brasilien die Anbauflächen für Soja in den vergangenen 15 Jahren verdoppelt und produziert nun jährlich fast 90 Millionen Tonnen davon, vor allem für den Export, auch den in die Bundesrepublik. 80 Prozent des importierten Rohstoffs geht in die Tiermast, aber auch die restlichen 20 Prozent sind noch eine Menge. Auch das ließe sich in Grünland und Regenwald umrechnen, die nun zu Ackerwüsten transformiert wurden.

Der wachsende Markt für vegane Produkte verschafft jedoch vor allem erst einmal kapitale Aussichten im wahrsten Sinne des Wortes – und es geht im »vegconomist« darum, diese zu befördern: »Immer mehr Venture Capitalists und bekannte Gesichter investieren in den Markt für pflanzenbasierte sowie vegane Produkte«, schreibt das Onlinemagazin. Vegane Produkte sind auch längst nicht mehr nur etwas für Reformhäuser. Mittlerweile seien »viele multinationale Konzerne und Handelsunternehmen im veganen beziehungsweise rein pflanzenbasierten Sektor vertreten – sei es mit Eigenentwicklungen, Gründungen von Tochterunternehmen oder durch Zukäufe.« Auch der »vegconomist« will am Trend mitverdienen, gesucht werden Lizenznehmer für Österreich und die Schweiz.

Und was hat es nun mit der eingangs erwähnten Schlagzeile auf sich? In dem dazugehörigen Text geht es um die Prognose einer als »Unternehmensexpertin« vorgestellten Jess Wilde, die »behauptet, dass Tierprodukte in der Sexspielzeug-Industrie bald der Vergangenheit angehören könnten«. Dies habe mit gewachsener Sensibilität in Gesundheitsfragen zu tun, aber auch mit den sich wandelnden Ernährungsgewohnheiten. »Wenn Sie es nicht essen«, so Wilde über die Kunden, »benutzen sie es auch nicht in oder auf ihrem Körper«.

Geschrieben von:

OXI Redaktion

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