Gebundendes Vermögen vs. Marcora-Gesetz
Wieso so viele Konferenzen das Eigentum hinterfragen und was agile Teamorganisation, »Verantwortungseigentum« und Montan-Mitbestimmung verbindet. Ein Gastbeitrag zu möglichen Formen der Wirtschaftsdemokratie.
Dieses Wochenende findet an der TU Berlin eine dreitägige Konferenz zum Thema Vergesellschaftung statt. Seit Jahrzehnten wurde das Privateigentum an Produktionsmitteln, Infrastruktur und Wohnraum nicht mehr so stark hinterfragt wie aktuell. Im Mai dieses Jahres fand bereits die Enteignungskonferenz der Initiative deutsche wohnen enteignen statt, Anfang September eine Konferenz der Purpose-Stiftung zum »Verantwortungseigentum« und nun die Vergesellschaftungskonferenz. Während in allen drei Konferenzen herkömmliche Eigentumsformen hinterfragt und alternative Ansätze diskutiert werden, stehen andernorts »New Work« und agile Arbeitsorganisation hoch im Kurs, spätestens seitdem viele Mitarbeiter*innen im Lockdown die Sinnfrage in ihrer Arbeit gestellt haben. An wiederum anderer Stelle, etwa auf dem Betriebsrätekongress des Linksfraktion letztes Wochenende, werden weitere Reformen des Betriebsverfassungsgesetzes diskutiert, während im Bundeswirtschaftsministerium am Referentenentwurf für eine neue Rechtsform »mit gebundenem Vermögen« geschrieben wird. Trotz dieses neu aufgeflammten Interesses an Wirtschaftsdemokratie, werden die unterschiedlichen, aktuell diskutierten Ansätze selten verknüpft. Dabei müssten sie unbedingt zusammen gedacht werden: »New Work«-Konzepte selbstorganisierter Teams, Mitbestimmung in Aufsichtsräten, Vorständen und durch Betriebsräte, die nachhaltige Gestaltung von Eigentum und die Ermöglichung von Mitarbeitergenossen.
Unternehmen langfristig vor Spekulation schützen
Der Vorschlag der »ve:22 Konferenz für Verantwortungseigentum« ist eine neuen Rechtsform für Unternehmen mit »gebundenem Vermögen«. Der Vorschlag wurde bereits medienwirksam diskutiert. Die Idee: Unternehmen sollen keine frei handelbare Ware sein, die von Investor*innen beliebig gekauft und verkauft und dabei nicht selten ausgeschlachtet werden. Gerade die erfolgreichen unter den innovativen Unternehmen wurden häufig von der Konkurrenz aufgekauft und verloren damit ihren innovativen Charakter. Die Inhaber*innen etwa der Suchmaschine Ecosia, dem Biohändler Alnatura oder des Kondomherstellers Einhorn wollen dies vermeiden und die Nachhaltigkeit ihrer Unternehmen nachhaltig sichern. Mit Hilfe der Stiftung Verantwortungseigentum, die eine Sperrminorität der Anteile hält, sollen die Unternehmen nicht nur vor feindlicher Übernahme geschützt werden, sondern auch davor, dass Gewinne aus dem Unternehmen abfließen. Statt die Renditeinteressen von Investor*innen zu bedienen, sollen Gewinne im Unternehmen bleiben. Laut Robert Habeck gebe das Konzept der Gründerszene Sicherheit, »nicht wegspekuliert zu werden«. Neu ist die Idee nicht: im Bereich der Wohnungswirtschaft verhindern etwa die Stiftung Trias oder das Mietshäuser Syndikat den Verkauf von Wohnhäusern, die nicht mehr als Spekulationsobjekte dienen sollen, und garantieren dadurch bezahlbare Mieten.
Was das »Verantwortungseigentum« (neuerdings weniger hochtrabend als »gebundenes Vermögen« bezeichnet) nicht garantiert, sind gute Arbeitsbedingungen. Wenn der vielfach kritisierte Fleischriese Tönnies oder amazon die zukünftige Rechtsform mit gebundenem Vermögen annehmen würden, würden Gewinne zwar im Unternehmen bleiben. Nach Robert Habeck könnte das zu höheren Löhnen und mehr Nachhaltigkeit führen. Garantiert ist das jedoch keineswegs. Tönnies ist auch jetzt ein Unternehmen in Familienbesitz, kein börsennotiertes Aktienunternehmen. Vermutlich bleiben die Gewinne also auch jetzt schon im Unternehmen. In vertauschten Rollen kritisierte ausgerechnet Friedrich Merz, die neue Rechtsform diene vor allem der Vermeidung von Erbschaftssteuer. In Habecks Wirtschaftsministerium wird indessen auf Hochtouren am Gesetz zur Einführung der neuen Rechtsform gearbeitet.
»New Work«-Konzepte propagieren demokratische Teamarbeit
Werfen wir den Blick auf einen anderen Trend, die »New Work«-Konzepte. »Agile« Arbeitsorganisation ist gefühlt in aller Munde. Damit sind selbstorganisierte Teams gemeint. Zu den bekanntesten Ansätzen gehören Soziokratie, Holocracy und Scrum. Die ersten beiden Ansätze beschreiben einen demokratischen Organisationsaufbau bottom-up mittels Kreisen (Arbeitsgruppen), die unter anderem eine demokratische Team-Vertreter*in wählen. Im Scrum entscheiden interdisziplinäre Teams selbst, wie sie ihre Arbeit aufteilen und sich intern organisieren. Sie planen kurze Intervalle von etwa zwei Wochen (»sprints«) und werten diese gemeinsam aus. Die Scrum-Teams entscheiden selbst, wie viel sie im »sprint« schaffen. Niemand kann ihnen vorschreiben, mehr zu arbeiten. (Diesen Teil lassen Arbeitgeber:innen gerne weg.) Eine sogenannte Scrum Master*in sorgt dafür, dass alle im Team gut arbeiten können. Weisungen kann sie nicht erteilen: Die Scrum Master*in ist eine Mischung aus Mini-Betriebsrat und Feelgood-Manager*in. So, »gebundenes Vermögen« die Mitarbeiter*innen dadurch inspirieren und motivieren soll, dass sie nicht mehr nur für die Rendite der Inhaber*innen arbeiten, soll agile Teamorganisation die Eigeninitiative und Selbstwirksamkeit der Teammitglieder stärken. Befindet sich das Unternehmen nicht in Belegschaftshand, soll die agile Selbstorganisation aber auch den Gewinn der Eigentümer*innen steigern. Tut sie das nicht mehr, kann sie sofort wieder abgeschafft werden. Sozusagen Mitbestimmung light von Chefs Gnaden.
Klassische Mitbestimmung auf Augenhöhe mit der Geschäftsführung
Eine ganz andere Form demokratischer Mitbestimmung stellen Betriebsräte dar: Ihre Aufgabe ist es, Arbeitsbedingungen zu verbessern und gerechte Regeln zu schaffen. Im Gegensatz zur agilen Teamselbstorganisation können sie von einer Geschäftsführung auch nicht einfach wieder abgeschafft werden, weil sie Probleme zu offen ansprechen. Betriebsräte haben jedoch zwei Schwachpunkte, nämlich auf der höchsten und der niedrigsten Entscheidungsebene: Bei wirklich wichtigen wirtschaftlichen Entscheidungen haben sie auf oberster Ebene keinerlei Mitsprache, etwa bei neuen Produktionsmethoden, Outsourcing, Entlassungen oder Betriebsschließungen. Hier können sie höchstens abfedernde Sozialpläne aushandeln, nicht jedoch mitentscheiden, ob die Maßnahme überhaupt durchgeführt wird.
Wirkliche Mitsprache in wirtschaftlichen Fragen gibt es in Deutschland jedoch an anderer Stelle: der Montan-Mitbestimmung. Hier sitzen Vertreter*innen von Belegschaft und Gewerkschaften im Aufsichtsrat und im Vorstand. Der Gedanke des Montanmitbestimmungsgesetzes von 1951 war gar nicht so anders als jener der Purpose-Stiftung: Der verantwortungsvolle Umgang mit der Montanindustrie sollte weitere Kriege verhindern. Den Unternehmen der Stahlbranche hat die Wirtschaftsdemokratie nicht im geschadet, im Gegenteil.
Der Nachteil hier wiederum ist, dass weder die Montan-Mitbestimmung noch ein guter Betriebsrat der einzelnen Mitarbeiterin mehr Mitsprache im Arbeitsalltag garantieren. Die einzelnen Arbeitsplätze und Teams werden durch Betriebsräte nicht partizipativer. Ziel des Betriebsverfassungsgesetzes ist nicht eine selbstorganisierte Belegschaft. Außerhalb der Betriebsratswahlen alle vier Jahre bekommen Mitarbeiter*innen also keine ernsthafte Mitsprache. Hier haben sowohl der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) als auch die Linkspartei Gesetzesentwürfe erarbeitet, die mehr direkte Demokratie ins Betriebsverfassungsrecht bringen würden.
Demokratische Unternehmen: Mitarbeitergenossenschaften
Mit etwas Befremden wurde hierzulande die Krönung von Charles III verfolgt und auch in Großbritannien hat manche stimme gefragt, ob eine Erbmonarchie noch zeitgemäß ist. Familienunternehmen sind vom Prinzip her jedoch nichts anderes: Geschäftsführer*in wird nicht, wer am besten dafür geeignet ist, sondern wer das Unternehmen erbt. Das betriebliche Äquivalent zur Demokratie sind dagegen Mitarbeitergenossenschaften oder andere mitarbeitergeführte Unternehmen, wie etwa das Krankenhaus Spremberg, von Patient*innen mit besonders guten Google-Bewertungen versehen. In Spanien ist sogar das siebtgrößte Unternehmen ein belegschaftseigener Genossenschaftsverbund. Die Genossenschaften wählen die Geschäftsführung und können diese auch wieder abwählen. Der Schwachpunkt: basisdemokratische Mitsprache im Arbeitsalltag ist auch in Genossenschaften keinesfalls garantiert. Auch diese können hierarchisch geführt werden. Im schlimmsten Fall können auch Genossenschaften verkauft und reprivatisiert ist, wenn es keine Sicherungsmechanismen, wie Stiftungen mit Vetorechten gibt.
Wirtschaftsdemokratie neu denken: die Ebenen verknüpfen
Wirtschaftsdemokratie besteht also aus drei Ebenen, die zusammen gedacht werden müssen: den wirtschaftlichen Entscheidungen auf oberster Führungsebene, die heutzutage in Mitarbeitergenossenschaften und Montanunternehmen gelebt wird; der demokratischen Selbstorganisation auf Teamebene im Alltag, wie es in den diversen agilen Ansätzen versucht wird; und schließlich der demokratischen und nachhaltigen Gestaltung von Eigentum, ohne die die ersten beiden Demokratieformen jederzeit wieder abgeschafft werden können, spätestens durch eine Schließung des Betriebs oder Verlagerung in Billiglohnländer. Diese drei Ebenen würden sich hervorragend ergänzen.
Das »gebundene Vermögen« führt allein noch nicht zu besseren Arbeitsbedingungen oder mehr Demokratie im Unternehmen. Auch Lidl gehört einer Stiftung und kann nicht verkauft werden. Und der Bio-Riese Altnatura, dessen Firmengründer Götz Rehn im Kuratorium der Stiftung Verantwortungseigentum sitzt, stand vor wenigen Jahren in der Kritik, die Bildung von Betriebsräten zu bekämpfen: in deutlich über 100 Filialen hatte es 2019 nur ein einziger Betriebsrat geschafft. Was der Mitbestimmung in der Führungsetage (Montanmitbestimmung und Betriebsräte) wiederum fehlt, ist die Mitsprache der Mitarbeitenden am täglichen Arbeitsplatz. Dies erfüllen soziokratische oder agile Ansätze der Selbstorganisation. Demokratisch selbstorganisierte Teams hingegen können jederzeit abgeschafft werden, wenn die demokratische Teilhabe nicht nachhaltig in den Besitzverhältnisses des Unternehmens verankert und vor feindlichen Übernahmen geschützt wird, zum Beispiel durch »gebundenes Vermögen« oder Stiftungskonstruktionen.
Vorbild Italien: das Marcora-Gesetz für Betriebsübernahmen
Wenn heute viel über eine nachhaltige Transformation der Wirtschaft diskutiert wird, kann das italienische »Marcora-Gesetz« als Vorbild dienen: dies regelt ein Vorkaufsrecht der Belegschaft bei Betriebsschließungen. Die Übernahme von Betrieben durch die Mitarbeiter:innen wird von einer halb staatlich, halb genossenschaftlichen Dachorganisation auf Herz und Nieren geprüft, beraten und mitfinanziert. Ein Teil der Förderung kommt aus der Arbeitslosenversicherung, die ausbezahlt werden müsste, wenn die Belegschaft arbeitslos würde. Zwar wurde das Krankenhaus Spremberg auch ohne Marcora-Gesetz durch eine Belegschaftsübernahme vor der Schließung bewahrt. Ein Marcora-Gesetz in Deutschland wäre aber ein enormer Beitrag, um Mitarbeitergenossenschaften aus der alternativen Nische zu holen. Derjenige, der als Experte zum Marcora-Gesetz am meisten dazu veröffentlicht hat, heißt Sven Giegold und sitzt nun als Staatssekretär im Wirtschaftsministerium. Trotzdem ist ein solches Gesetz nicht geplant.
Rupay Dahm berät Kollektivbetriebe und Genossenschaften im Gründungsprozess, bei der Rechtsform- und Organisationsgestaltung. Als Fachanwalt für Arbeitsrecht vertritt und schult er Betriebsräte.
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