Wirtschaft
anders denken.

Inakzeptabel, fatal, enttäuschend: Was wichtige Verbände zum Sondierungsergebnis sagen

17.01.2018
Tim Tregenza , Lizenz: CC BY-SA 3.0

Wie groß die Skepsis vieler Verbände ist, was das Ergebnis der Sondierung von CDU, CSU und SPD angeht? Wir haben ein Auswahl von Medico bis zu den Pflegedirektoren, vom NABU bis zum Juristinnenbund zusammengetragen.

Zugegeben, es ist kaum möglich, einen kompletten Überblick über die vorliegenden Stellungnahmen der wichtigen Fachverbände zum Sondierungsergebnis vorzulegen. Das liegt daran, dass es von Medico bis zu den Pflegedirektoren, vom NABU bis zum Juristinnenbund einfach so viele Interessenvertretungen für Berufsgruppen, politische Themen und gesellschaftliche Anliegen gibt. Wir tragen hier aber eine Auswahl zusammen, die immerhin zu illustrieren vermag, wie groß die Skepsis ganz unterschiedlicher Verbände ist, was die vorläufigen Verabredungen von CDU, CSU und SPD angeht. Wobei Skepsis teilweise noch sehr zurückhaltend formuliert ist.

Der Paritätische Wohlfahrtsverband hat die Sondierungsergebinsse »sozialpolitisch unambitioniert und flüchtlingspolitisch inakzeptabel« genannt. Viele wichtige Themen würden »zwar angesprochen, sind aber genau wie im letzten Koalitionsvertrag der Großen Koalition entweder nur unter Finanzierungsvorbehalt oder von vorneherein unterfinanziert. Das Versprechen der Verhandlungspartner, den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu stärken, kann so nicht eingelöst werden. Vielmehr ist zu erwarten, dass sich die Spaltung durch die skizzierten Maßnahmen noch verschärft.« Eine ausführlichere Kritik zu einzelnen Themenfeldern findet sich hier.

Medico International bewertet die Ergebnisse der Sondierungsgespräche als »fatales Signal« – ein notwendiger Politikwechsel »für mehr Humanität und globale Gerechtigkeit sei nicht zu erkennen«. Die Entwicklungspolitik würde weiter den Sicherheits- und Handelsinteressen untergeordnet werden. Bekenntnisse zu den Menschenrechten seien bestenfalls in leeren Floskeln zu finden, die den konkret vereinbarten Maßnahmen widersprechen. „Die GroKo setzt klar auf Abschottung statt Ausgleich. Echte Fluchtursachenbekämpfung sieht anders aus“, so Ramona Lenz von Medico.

Der Verband der Pflegedirektorinnen und Pflegedirektoren der Universitätskliniken und Medizinischen Hochschulen Deutschlands reagierte »enttäuscht« auf die Vereinbarungen von Union und SPD. Es werde darin zwar bessere Arbeitsbedingungen und die Entlastung von Pflegenden erwähnt. Das Ergebnis bewertet der Verband »jedoch kritisch«, vor allem wegen der starken Zweifel, »dass die von CDU, CSU und SPD angekündigten Maßnahmen die Situation der beruflich Pflegenden verbessern«, wie es Verbandschef Torsten Rantzsch formuliert. Der angekündigte Stellenaufbau um 8.000 neue Fachkraftstellen sei »Lichtjahre davon entfernt, den tatsächlichen – und allseits bekannten – Bedarf an zusätzlichen Pflegefachkräften in den Pflegeheimen und Krankenhäusern zu decken«. Gebraucht würden derzeit 50.000 bis 70.000 Fachkräfte. »Die Diskrepanz zwischen Problem und Lösungsansatz ist erschreckend.«

Die Organisation Lobbycontrol sieht »eine große Leerstelle« in dem Sondierungspapier beim Thema Lobbyregulierung klaffen – dies komme »darin überhaupt nicht vor«. Dies sei schon deshalb fragwürdig, da die Union der Einführung eines verpflichtenden Lobbyregisters während der Jamaika-Gespräche bereits zugestimmt hatte, auch die SPD fordert ein solches Register. »Moment mal: Alle wollen ein Lobbyregister – beschließen es aber nicht?« Die neue Große Koalition drohe nun hinter den Verhandlungsstand von Jamaika zurückzufallen. Ohne ein verpflichtendes Lobbyregister könne man auch nicht »das Vertrauen in die Demokratie und unsere staatlichen Institutionen stärken«, wie es im Sondierungspapier heißt.

Die Organisation Pro Asyl kritisierte, »die sich anbahnende Große Koalition geht zu Lasten von Flüchtlingen«. Das Sondierungsergebnis enthalte »etliche neuerliche Verschärfungen im Asylbereich« – von der Obergrenze über die Isolierung von Schutzsuchenden in zentralen Lagern bis zur weitgehenden Aussetzung des Familiennachzugs. »Das dahinterstehende Bild ist unsäglich und als Ergebnis einer hochrangigen Verhandlungsdelegation zynisch und beschämend«, heißt es bei Pro Asyl.

Der Juristinnenbund kommentierte die Sondierungsergebnisse als »enttäuschend«. Präsidentin Maria Wersig erklärte, »wenn es in etwaigen Koalitionsverhandlungen bei den angerissenen Themen der Sondierung bleibt, bedeutet das gleichstellungspolitischen Stillstand in Deutschland. Frauen- und Gleichstellungspolitik wird offenkundig nicht als Querschnittsaufgabe verstanden, sondern in einem kurzen, wenig innovativen Abschnitt ausgerechnet unter der Überschrift ›Familie, Frauen und Kinder‹ abgehandelt.« Deutschland bleibe ohne weitere legislative Maßnahmen im europäischen Vergleich weiterhin »allenfalls im Mittelfeld, was die Gleichstellung von Frauen und Männern angeht«.

Der Verband NABU kritisierte die vorläufigen Vereinbarungen in der Naturschutz- und Umweltpolitik und verlangte »erhebliche« Nachbesserungen. So sei »unklar, wo es in der EU-Agrarpolitik hingehen soll und wie das Klimaziel 2020 erreicht werden soll«. Ein Kohleausstieg müsse festgeschrieben werden. Auch angesichts des dramatischen Insektensterbens, des alarmierenden Artenschwundes und der hohen Nitratbelastung von Böden und Trinkwasser durch die intensive Landwirtschaft brauche es endlich einen echten Kurswechsel. Das Bekenntnis der GroKo-Unterhändler zu einem Aktionsprogramm Insektenschutz sei für den Naturschutz zwar ein gutes Signal – dieses gehe aber zulasten wichtiger anderer Themen, die in dem Sondierungspapier fehlten, etwa »Impulse und Bekenntnisse zu einer besseren und nachhaltigeren Meeres- und Fischereipolitik«.

Der Studentischer Dachverband fzs sieht in den Sondierungsergebnissen weder einen Fortschritt für den Bildungsbereich noch für die Gesellschaft. »Insgesamt ist das Sondierungspapier, insbesondere im Bildungsbereich, zu unkonkret. An vielen Stellen werden nur scheinbar Kompromisse gefunden, in Wirklichkeit wird die tatsächliche Kontroverse nur vertagt, verschleppt oder ausgelagert.« So bleibe unklar, wann und wie die Erhöhung des BAföGs kommen solle. Auch die Einrichtung eines nationalen Bildungsrat wirke wie eine Aufschiebestrategie von Problemen. Hinzu komme: »Die verkündeten Fortschritte für das Kooperationsverbot sind in den Sondierungsergebnissen nicht zu finden.«

Der Sozialverband VdK begrüßte die Rückkehr zur paritätischen Finanzierung der Krankenkassenbeiträge. »Endlich wird die einseitige Belastung der Versicherten beendet und die gesetzliche Krankenversicherung wieder solidarisch finanziert«, so Präsidentin Ulrike Mascher. Auch die Festschreibung des Rentenniveaus bei 48 Prozent bis 2025 sei eine gute Nachricht. Ausreichen werde ein solcher Schritt aber keineswegs: »Die Rentenversicherung muss nach langjähriger Erwerbstätigkeit ein angemessenes Leistungsniveau sicherstellen. Dafür müssen die Dämpfungsfaktoren in der Rentenanpassungsformel dauerhaft gestrichen und das Rentenniveau mittelfristig wieder auf 50 Prozent erhöht werden«, so die VdK-Chefin. Sie äußerte sich grundsätzlich auch positiv zur Mütterrente. Doch auch hier folgt das Aber sogleich: »Nicht nachvollziehbar ist jedoch, dass diese Neuregelung nur für Mütter gelten soll, die drei oder mehr Kinder zur Welt gebracht haben.« Zudem dürfe die Mütterrente »nicht wie bisher vollständig auf die Grundsicherung angerechnet werden«. Die geplante Einführung der Grundrente stößt in dieser Form beim VdK auf Kritik. »Die Zugangsvoraussetzungen sind aus unserer Sicht fern der Lebenswirklichkeit. 35 Jahre Versicherungszeit sind von vielen Menschen, vor allem Frauen, nicht erreichbar. Auch dürfen Langzeitarbeitslose und Erwerbsminderungsrentner nicht ausgeschlossen sein.«

Der Frauenrat erklärte, die Sondierungsergebnisse gehen in Sachen Gleichstellungspolitik »in die richtige Richtung«. »Aber beispielsweise beim Ehegattensplitting, Familiennachzug sowie beim Gewaltschutz besteht ein erheblicher Verbesserungsbedarf«, so die Vorsitzende Mona Küppers. Der Frauenrat forderte von einer zukünftigen Bundesregierung zudem »ein klares Bekenntnis zu Gewaltfreiheit und Antisexismus in Deutschland. Deshalb sollten die Verhandlungsführenden die vollständige Umsetzung der Istanbul-Konvention vereinbaren«, hierbei gehe es vor allem um die Einrichtung einer Koordinierungs- und unabhängigen Monitoringstelle.

Der Umweltverband BUND sprach von einem »mutlosen Auftakt«: Zu schwach und zu unkonkret, so könne man zusammenfassen, was die Verhandler von Union und SPD in Sachen Umweltpolitik beschlossen haben, sagte BUND-Vorsitzende Hubert Weiger. Er hofft auf die SPD, die bei ihrem Parteitag am Sonntag »die Beschlüsse zum Klimaschutz, zur Vertagung des Kohleausstieges, zum Umgang mit dem Dieselskandal und mit dem Unkrautvernichter Glyphosat sowie zur Tierhaltung wesentlich nachzubessern« müssten. Werde der Sondierungsbeschluss jedoch »so durchgewinkt, dann wird die SPD kaum für mehr Gerechtigkeit sorgen, deren Fundament eben auch eine gesunde, lebenswerte Umwelt ist. Es droht umweltpolitischer Stillstand«.

Hier geht es zum großen OXI-Überblick zur Regierungsbildung.

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