Wirtschaft
anders denken.

Ver.di kämpft für Streikrecht unterm Kreuz

07.10.2017
Mstp77 / CC0Ottweiler

In kirchlichen Einrichtungen gilt ein Sonderarbeitsrecht, das den Beschäftigten ein demokratisches Grundrecht vorenthält: das Recht zu streiken. Die Gewerkschaft ver.di will diese vordemokratische Praxis nicht mehr hinnehmen. Im Saarland wird zur Arbeitsniederlegung aufgerufen.

Auf diesen Tarifkonflikt wird wohl bald die ganze Republik schauen – es geht um mehr als um einen Streit für bessere Arbeitsbedingungen in saarländischen Krankenhäusern, mehr als um gewerkschaftlichen Druck für Verhandlungen. Es geht um einen politischen Tabubruch, so formuliert es der Gewerkschaftssekretär Michael Quetting in der »Saarbrücker Zeitung«: Ver.di will im Saarland erstmals ein katholisches Krankenhaus bestreiken, die Marienhausklinik.

Der springende Punkt: Kirchliche Arbeitgeber pochen auf ein besonderes Arbeitsrecht, den »Dritten Weg« – der in der Regel weder Tarifverhandlungen noch das Streikrecht kennt. Arbeitsbedingungen werden in Kommissionen beschlossen, das Bundesarbeitsgericht hat 2012 dazu »kooperative« Konfliktlösungsverfahren verlangt, das Streikrecht soll aber weiterhin nicht gelten. Das Bundesverfassungsgericht hatte eine Beschwerde der Gewerkschaft dagegen als unzulässig abgewiesen (Az.: 2 BvR 2292/13).

ver.di: Streikrecht ist ein Menschenrecht

Schon damals hatte es einen Streikaufruf von ver.di mit nachfolgenden Arbeitsniederlegungen in mehreren diakonischen Einrichtungen in Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen gegeben, die zu dem Rechtsstreit führten. Es geht hierbei aber nicht um einzelne Tarifkonflikte, sondern um ein grundlegendes Prinzip: das Streikrecht. Beschäftigte und Gewerkschaft wollen die »vordemokratische Praxis nicht hinnehmen: Streikrecht ist ein Menschenrecht«, hieß es damals.

»Nach aktuellen Schätzungen arbeiten heute 1,5 Millionen Mitarbeiter bei den Kirchen in Deutschland«, heißt es bei der Gewerkschaft ver.di. Für sie ist damit praktisch ein Grundrecht aufgehoben, die Begründung der Kirchen kann man wackelig und an den Haaren herbeigezogen nennen: Arbeitgeber und Arbeitnehmer werden als eine Dienstgemeinschaft verstanden.

Vor einigen Jahren begründete der Beauftragter der Deutschen Bischofskonferenz beim Bund, Karl Jüsten, diese Sonderregeln: »In dem Verfahren müssen sich die Arbeitgeber mit den Arbeitnehmern zusammensetzen und so lange zusammenbleiben, bis sie eine Gehaltsordnung gefunden haben. Das ist ein sehr starkes System. Ich behaupte sogar, dass es dem anderen in bestimmter Weise überlegen ist. Also, das Verfahren kommt schon zu sehr gerechten Ergebnissen.« Was man angesichts von Fällen der Lohndrückerei auch deutlich anders sehen kann.

Streikaufruf vom Bundesvorstand beschlossen

Ver.di hält dagegen: Der Großteil der Mitarbeiter in der Diakonie und Caritas sehe in ihrem »kirchlichen Dienstgeber« einen normalen Arbeitgeber wie jeden anderen auch. Besonders in Großstädten seien viele Beschäftigte in den Krankenhäusern konfessionslos. Und weiter: »Ohnehin unterscheiden sich die Arbeitsbedingungen und die äußeren Rahmenbedingungen zur Finanzierung in den konfessionellen Krankenhäusern, Altenheimen, Einrichtungen der Kinder-, Jugend- und Behindertenhilfe nicht vom öffentlichen Bereich. Die früher in konfessionellen Einrichtungen möglicherweise vorhandenen Begründungen für den Sonderweg des Dritten Wegs treffen heute in den allermeisten Einrichtungen nicht mehr zu.«

Am kommenden Mittwoch soll deshalb die Marienhausklinik Ottweiler bestreikt werden – in dem Konflikt um Tarifverhandlungen und im übergeordneten Streit um das Streikrecht. »Die Beschäftigten wollen Wert geschätzt werden und brauchen Entlastung. Deswegen rufen wir zum Streik. Nach unserem Kenntnisstand ist das der erste Streik in Deutschland an einem Betrieb, wo das katholische Arbeitsrecht angewendet wird.«

Die Klinik drohte den Mitarbeitern bereits arbeitsrechtliche Konsequenzen an, eine Arbeitsniederlegung sei »unzulässig«. Die Gewerkschaft will aber ihren Aufruf nicht zurückziehen: »Dieser Schritt ist sehr gut überlegt«, wird ver.di-Sekretär Michael Quetting in der Zeitung zitiert. Der Streikaufruf sei sogar vom Bundesvorstand der Gewerkschaft beschlossen worden.

»In immer mehr Krankenhäusern in Deutschland stehen die Beschäftigten auf und fordern Entlastung. Die Ottweiler schreiben jetzt Geschichte und beweisen, dass Pflegekräfte auch in einem katholischen Krankenhaus streiken können«, so Quetting. »Nur wenn sich auch die Beschäftigten aus den konfessionellen Häusern für mehr Personal und Entlastung einsetzen, können wir grundlegende Verbesserungen in der gesamten Krankenhauslandschaft durchsetzen.«

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