Wirtschaft
anders denken.

Verrottete Infrastruktur modernisieren – das rechnet sich

01.03.2017
Infrastruktur saniert,GraffittiFoto: himbeergelb / Flickr CC-BY 2.0 LizenzWelche Qualität an Infrastruktur wollen wir uns leisten?

S-Bahnen, Schulen, Straßen – die öffentliche Infrastruktur liegt seit Jahren darnieder. Woher kommt das Geld, um die immensen Investitionen zu finanzieren? Von den Milliardären? Das reicht nicht. Eine neue Studie belegt: Es gibt eine Alternative.

Seit einigen Jahren ist in Deutschland, aber auch in vielen anderen Ländern, ein dramatischer Verfall der öffentlichen Infrastruktur zu beobachten. Viele Schulen sind in einem erbärmlichen Zustand, Frostschäden der Straßen werden nicht mehr beseitigt, öffentliche Gebäude nicht mehr saniert. Besonders spektakulär ist der Fall der Autobahnbrücke bei Leverkusen. Das mittlerweile 50 Jahre alte Bauwerk ist so marode, dass es für Fahrzeuge über 3,5 Tonnen gesperrt werden musste, um einen Einsturz zu verhindern. Die Kosten für Umwege und höheren Zeitaufwand des Speditions- und Transportgewerbes bezifferte die Industrie und Handelskammer Köln auf 1.700 Euro pro Unternehmen und Tag.

Warum werden in einem der reichsten Länder der Welt Zukunftsinvestitionen wie die in die öffentliche Infrastruktur, aber auch in die Bildung, derart vernachlässigt, obwohl sie zentral wichtig sind? Hat die Politik versagt? Zu dieser Frage habe ich mit meinem Text von der Laffer-Kurve eine ausführliche Analyse vorgelegt.

Für Deutschland ist als Folge einer weltweit anhaltenden Steuersatzdumping-Politik festzuhalten: Bereits 2002 gingen die Nettoanlageinvestitionen von Bund, Ländern und Gemeinden von drei (2001) auf 1,7 Milliarden Euro zurück. Ab 2003 fielen sie ins Negative: das heißt, der Staat tätigte sechs Jahre lang nicht einmal mehr Ersatzinvestitionen, um die entstandenen Schäden an der öffentlichen Infrastruktur zu reparieren und sie wieder instand zu setzen, sondern ließ sie verfallen. Erst von 2009 an wurden die öffentlichen Nettoanlageinvestitionen wieder positiv, blieben aber in ihrem Niveau weit hinter dem eigentlich Erforderlichen zurück.

Seit Jahren sparen an der Substanz

Erst von 2009 bis 2012 wurden die öffentlichen Nettoanlageinvestitionen wieder positiv – eine Folge der Konjunkturpakete, die die große Koalition auf den Weg gebracht hatte, um die Finanzmarktkrise schnell zu überwinden. Doch bereits 2014 und 2015 wurde vom Staat erneut weniger investiert, als zum Erhalt der Infrastruktur notwendig gewesen wäre. Der Grund: Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble will unbedingt eine Schwarze Null, also einen ausgeglichenen Haushalt.

Dabei ist der Investitionsbedarf hoch, besonders in den Kommunen. Rund 60 Prozent aller öffentlichen Investitionen entfallen auf Städte und Gemeinden. Diese haben wegen ihrer prekären Haushaltssituation besonders stark bei den Investitionen gekürzt – und ihre Unternehmen privatisiert; mit der Folge, dass öffentliche Dienstleistungen anschließend meist schlechter und teurer wurden. Nach seriösen Berechnungen – unter anderem auf Basis von Befragungen des Deutschen Institut für Urbanistik (dfu) – betrug der Investitionsrückstand im Sommer 2015 rund 136 Milliarden Euro; im gleichen Jahr hatten die Gemeinden (ohne Stadtstaaten) Einnahmen von insgesamt rund 218 Milliarden Euro, wovon sie 70 Prozent für ihr Personal, soziale Leistungen und laufenden Sachaufwand aufwenden müssen. Was die Bundesregierung nun jüngst beschlossen hat: Insgesamt sollen in den nächsten 15 Jahren in ganz Deutschland Verkehrsprojekte mit einem Gesamtvolumen von rund 270 Milliarden Euro umgesetzt werden. Ein weiterer Rückstand: Wenn Deutschland nur so viel Geld in die Bildung stecken würde wie der Durchschnitt der OECD-Länder, hätte es 2015 rund 21 Milliarden Euro zusätzlich ausgeben müssen.

Hoher Investitionsbedarf. Was tun? Ab sofort anders fragen!

Was tun? Wir dürfen nicht länger die Frage stellen: Was können wir mit den gegebenen Steuereinnahmen machen? Wir müssen neu fragen: Welche Qualität an Infrastruktur wollen und müssen wir uns leisten? Welches Bildungssystem brauchen wir? Welchen Sozialstaat und wie viel davon wollen wir haben? Und dann im politischen Streit klären, wer das wie zu finanzieren hat. Höhere Steuern für die Reichen? Das reicht nicht. Beispiel: Wird der Spitzensteuersatz bei der Einkommensteuer auf 49 Prozent erhöht – beginnend bei einem zu versteuernden Jahreseinkommen ab 100.000 Euro (Singles) beziehungsweise 200.000 Euro (Verheiratete) – ergäben sich Mehreinahmen von etwa 3,5 Milliarden Euro im Jahr. Die Wiederbelebung der Vermögensteuer mit einem Steuersatz von einem Prozent auf Vermögen ab zwei Millionen Euro brächte nach Schätzungen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) 9,8 Milliarden Euro Zusatzeinnahmen; dabei sind Ausweichreaktionen der Betroffenen und Erhebungskosten der Finanzverwaltung schon berücksichtigt. Eine Reform der Erbschaftsteuer, die auch Betriebsvermögen stärker heranzieht, ohne ihre Liquidität zu gefährden, könnte das heutige Erbschaftsteueraufkommen um 4,6 Milliarden Euro verdoppeln.

Hoher Investitionsbedarf. Was tun? Ab sofort anders fragen! Welche Qualität an Infrastruktur wollen und müssen wir uns leisten?

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Wer finanziert die hohen Investitionen? Die Millionäre und Milliardäre?

Eine moderat höhere Besteuerung der Millionäre und Milliardäre würde also den öffentlichen Haushalten durchaus beachtliche Mehreinnahmen bringen. Und: Deutschland würde im internationalen Vergleich mit einem Einkommensteuerspitzensatz von 49 Prozent, einem Vermögenssteuersatz von einem Prozent und einem Erbschaftsteuersatz von 15 Prozent und den jeweiligen genannten Freibeträgen keinesfalls aus dem Rahmen fallen. Mit anderen Worten: Eine massenhafte Abwanderung von Kapital wäre aufgrund dieser Erhöhungen nicht zu befürchten.

Eine moderat höhere Besteuerung der Millionäre und Milliardäre würde öffentlichen Haushalten beachtliche Mehreinnahmen bringen.

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Trotzdem: Die Zukunftsinvestitionen erfordern mehr Geld als die Summe, die mit höheren Steuern für die oberen Schichten mehr eingenommen werden kann. Hinzu kommen noch die vom demografischen Wandel verursachten immensen Mehrkosten, die insbesondere nach 2030 auf unsere sozialen Sicherungssysteme zukommen, insbesondere auf die Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung. Auch dafür sollten die Staatskassen gut gerüstet sein.

Die oberen fünf Prozent höher besteuern – reicht nicht

Welche Alternativen gibt es? Einen wichtigen Hinweis hat dafür eine jüngst veröffentlichte Studie von zwei Ökonomen der Universitäten Mannheim und Köln geliefert. Abgeleitet aus Erfahrungswerten der Vergangenheit und basierend auf einem ökonometrischen Modell haben die Wissenschaftler die langfristigen Effekte von Zukunftsinvestitionen in den Bereichen Infrastruktur (Verkehr und digitale Infrastruktur), Kitas und Schulen sowie Hochschulen auf Wachstum und Beschäftigung ermittelt. Dabei haben sie auch errechnet, nach welchem Zeitraum sich die öffentlichen Investitionen amortisieren; das heißt, wann der Staat aufgrund von mehr Wachstum und höherer Beschäftigung so hohe Steuermehreinnahmen erzielt hat, dass die früheren Investitionsausgaben abgedeckt sind. Ergebnis: Die genannten Zukunftsinvestitionen werden langfristig zu einem rund drei Prozent höheren realen Bruttoinlandsprodukt führen und über 600.000 neue Arbeitsplätze schaffen, vor allem in Kitas und Schulen. Nach etwa elf Jahren haben sich die Kosten im Bereich Kitas und Schulen amortisiert, bei der Infrastruktur und den Hochschulen müssen dafür 18 bis 20 Jahre veranschlagt werden. Die Jahre bis zur endgültigen Amortisation könnten also auch mit einer zusätzlichen Staatsverschuldung überbrückt werden. Denn am Ende würden sich auch diese Schulden bezahlt machen.

Eine empirische Studie zeigt, wie sich alles rechnet

Diese Studie zeigt: Zukunftsinvestitionen sind kein unnütz ausgegebenes Geld. Sie zahlen sich langfristig aus, weil sie den Wohlstand eines Landes mehren. Mit diesem Argument könnte die Politik also für insgesamt drei Finanzierungswege werben: Zum einen helfen die oben genannten Steuererhöhungen für die oberen Schichten den Finanzierungsbedarf zu verringern; Maßnahmen, die zudem den Glauben, die Politik beachte unter anderem auch den Wert der sozialen Gerechtigkeit, etwas stärken könnten. Der zweite Weg: Da sich die Investitionen sogar in einem recht überschaubaren Zeitraum bereits rechnen, ist es gerechtfertigt, die Schulden des Staates, trotz des bereits bedenklich hohen Standes, noch einmal zu erhöhen. Gäbe es gegen einen der beiden oder gar gegen beide Wege unüberwindliche Widerstände, so könnte noch ein dritter Weg geprüft werden: noch einmal den allgemeinen Mehrwertsteuersatz – er liegt momentan bei 19 Prozent – zu erhöhen.

Zukunftsinvestitionen sind kein unnütz ausgegebenes Geld. Sie zahlen sich langfristig aus.

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Viele halten das für sozial ungerecht. Die Mehrwertsteuer – so das Argument – belaste vor allem die Bezieher niedriger Einkommen. Denn sie müssten (fast) alles von ihrem Einkommen für das Lebensnotwendige ausgeben und bezahlen dafür jedes Mal Mehrwertsteuer. Diejenigen mit höheren und hohen Einkommen könnten dagegen einen Großteil ihres Einkommens sparen und blieben deshalb von der Mehrwertsteuer wenigstens in großen Teilen verschont. Das ist aber nur zum Teil richtig. Seit jeher unterliegen Lebensmittel und Kulturgüter wie Zeitungen und Bücher einem ermäßigten Mehrwertsteuersatz; er liegt derzeit bei sieben Prozent. Das ausdrückliche politische Ziel dieser Festlegung: Die ärmeren Bevölkerungsschichten sollen steuerlich nicht übermäßig belastet werden, wenn sie ihren Grundbedarf decken. Dafür werden Luxusprodukte wie beispielsweise Champagner oder ein Porsche völlig zurecht mit 19 Prozent Mehrsteuer belegt.

Warum nicht die Mehrwertsteuer erhöhen? Aber das ist doch unsozial!

Diese Spreizung des Steuersatzes sowie die Tatsache, dass die wohlhabenden Haushalte trotz ihrer hohen Sparquote auch sehr viel konsumieren, führen zu folgendem Ergebnis, das in der öffentlichen Debatte oft übersehen wird: Mehr als zwei Drittel der Mehrwertsteuer werden von der oberen Hälfte der Einkommensbezieher aufgebracht, nur ein knappes Drittel entfällt auf die einkommensschwächere Bevölkerungshälfte.

Die Finanzierung der Zukunftsinvestitionen über eine höhere Mehrwertsteuer hat einen erheblichen Vorteil: Sie wird von den Unternehmen zwar im Inland auf die Preise überwälzt (und soll als Verbrauchsteuer auch überwälzt werden), sie wirkt sich aber nicht nachteilig auf die internationale Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft aus. Denn die Mehrwertsteuer gilt nicht für Verkäufe deutscher Produkte auf ausländischen Märkten. Hier greift der Mehrwertsteuersatz des Ziellandes.

Hohe Steuern auf hohe Einkommen und Vermögen – gerecht, aber problematisch

Über solche Wege muss nachgedacht werden, weil eine zu starke Erhöhung von Steuern auf hohe Einkommen, Vermögen und Erbschaften – so gerechtfertigt sie unter dem Aspekt der Gerechtigkeit auch sein mögen – demokratische Regierungen unter den Bedingungen des globalisierten Kapitalismus in die Bredouille bringen kann. Eine solche Politik ist eigentlich nur noch möglich, wenn es in den wichtigsten Wirtschaftsnationen gleichgerichtete linke Mehrheiten gibt, die sich in ihrer Steuerpolitik eng abstimmen. Nur so ist gewährleistet, dass die Wirtschaft einer links-regierten Nation nicht aufgrund einseitig erhöhter Steuersätze an Wettbewerbsfähigkeit einbüßt. Bei der Bundestagswahl 2013 hätte die deutsche Bevölkerung die Möglichkeit gehabt, eine Mehrheit aus SPD und GRÜNEN in den Bundestag zu wählen und eine linke Achse der beiden wirtschaftlich größten Länder in der EU zusammen mit der sozialistischen Regierung Frankreichs herzustellen. Diese Chance wurde vertan. Und sie kehrt nach dem gegenwärtigen Stand der Wahlumfragen weder in Frankreich noch in Deutschland auf absehbare Zeit zurück.

Der Beitrag ist eine gekürzte und überarbeitete Version des Aufsatzes von Hermann Adam über »Zukunftsinvestitionen und Steuerpolitik im globalisierten Kapitalismus«, der in der von der Hochschulinitiative Demokratischer Sozialismus herausgegebenen Zeitschrift perspektivends, Heft 2/2016, erschienen ist.

Die Studie von Tom Krebs und Martin Scheffel: »Quantifizierung der gesamtwirtschaftlichen und fiskalischen Effekte ausgewählter Infrastruktur- und Bildungsinvestitionen in Deutschland« ist auf der Website des BMWi downloadbar.

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