Wirtschaft
anders denken.

Verschenkt mehr Bücher an VWL-Studis!

14.08.2021
Aufgeschlagene BücherFoto: Free-Photos auf Pixabay

Das Buch-Geschenk ist nicht langweilig, sondern bildet kritisches Bewusstsein. Ein Erfahrungsbericht aus OXI 8/21.

Zwischen 15 und 20 Prozent des Jahresumsatzes verdient der deutsche Buchhandel im Weihnachtsgeschäft, gibt die Interessenvertretung der Verleger:innen und Buchhandlungen, der Börsenverein, an. Damit ist das Verschenken von Lesestoff wohl der relevanteste Markt für die sonst durch die Digitalisierung und auch die Pandemie vor Herausforderungen gestellte Branche. Das als lieb- und kreativlos verschriene Buchgeschenk hat daher zumindest einen relevanten wirtschaftlichen Einfluss. Doch was sagt das Buch unter dem Weihnachtsbaum über die Beziehung zwischen Schenker:in und Beschenktem wirklich aus?

Es mag die Situation geben: Man hat kein passendes Präsent im Kopf, geht in die nächste Buchhandlung – wenigstens nicht mit leeren Händen auftauchen. Das vollgedruckte Papier zwischen zwei dickeren Kartons wird noch in der Filiale von den in der Welt der Literatur ausgebildeten Buchhändler:innen in knallbuntes Papier eingepackt, das nur dafür bestimmt ist, vom weiteren bedruckten Papier abgerissen und entsorgt zu werden. Was bezahlt wird, ist durch die Buchpreisbindung festgelegt. Doch zuvor steht der oder die Schenker:in vor einer großen Auswahl und muss eine Entscheidung treffen – und diese sagt viel aus.

Des Anderen Interessen werden abgewogen, politische Diskussionen evaluiert oder man lässt gemeinsam Erlebtes Revue passieren. So wird aus dem Überfluss an Informationen auf dem Buchcover eine einzelne Entscheidung getroffen. Offen bleibt nur, auf welchen Präferenzen diese basiert – den eigenen oder denen der oder des Beschenkten.

Noch intensiver ergibt sich das Problem auf der Familienebene. Was unter dem Weihnachtsbaum liegt oder am Geburtstag quer durch die Republik geschickt wird, kann schnell in Streit ausarten oder ein erhellendes Gespräch einläuten – dazwischen liegt nur der Staub auf Büchern, die im Regal verblieben sind.

Auch ich kann mich nicht über zu wenige geschenkte Bücher beklagen, die um den Jahreswechsel und genau ein halbes Jahr später zum Geburtstag im Sommer eintrudeln. Meist füllt der Lesestoff perfekt die dazwischen liegenden sechs Monate. Geschenkte Bücher füllen einen Großteil meines Regals. Meine bürgerliche Mittelstandsfamilie ist fleißig dabei, mein ohnehin überfülltes Bücherregal weiter zu bestücken. Das kommt mir gut gelegen: Als Student der Volkswirtschaftslehre bin ich tagein, tagaus von Mainstreamliteratur umgeben. In der Vorlesung sind kuratierte Lehrbücher zu lesen, die Theorien verkürzen und vor Ideologie nur so strotzen; Mankiw ist Pflichtlektüre. Wenn mit Kommiliton:innen über Bücher diskutiert werden kann, dann sind es die neuesten Mindset-Bibeln von Frank Thelen oder ähnlichen Gurus. Betrauert wird nur, dass es noch keinen deutschen Elon Musk gibt. Meine Klagen darüber kennt meine Familie nur allzu gut.

Zum nächsten Anlass schenkte mir die ambitionierte »taz«-Leserin der Familie das Buch »Kein Kapitalismus ist auch keine Lösung« von »taz«-Autorin Ulrike Herrmann. Darin erklärt sie die Krise der heutigen Ökonomie und »was wir von Smith, Keynes und Marx lernen können«, wie es im Untertitel heißt. Diese Namen und die dahinterstehenden Theorien kennt man nach der Lektüre definitiv. Mit viel biografischen Einwürfen und einem chronologischen Aufbau erklärt die ausgebildete Bankkauffrau, warum die heutige Volkswirtschaftslehre mehr einer Ideologie gleicht, als dass sie wirtschaftliche Probleme erklären und behandeln kann. Ich kann das aus meinem Studium nur bestätigen.

In der Schrift, die eher einen Überblick vermittelt, als dass sie viele unbekannte Details aufarbeitet, hangelt sich Herrmann an den verschiedenen ideengeschichtlichen Epochen seit der Erfindung der modernen Volkswirtschaftslehre von Adam Smith entlang. Die Quintessenz lässt sich jedoch mit einer ihrer Zwischenüberschriften zusammenfassen: »Die Neoklassik versteht ihre eigene Theorie nicht«.

Beispiel John Maynard Keynes: Während die Neoklassik das Massenelend der großen Rezession nicht erklären kann, schreibt er sein Hauptwerk, die »Allgemeine Theorie der Beschäftigung, des Zinses und des Geldes«. Herrmann unterstellt der Neoklassik, dass ihr Verständnis auf den Kartoffelmarkt beschränkt ist. Sinkt der Preis der Knolle, liegt das an einem zu großen Angebot, steigt er, verkleinert es sich wohl. Ähnlich solle es sich in der Neoklassik mit der Arbeit und dem Lohn darstellen: Wenn man den Preis der Arbeit, also den Lohn, senkt, sollten eigentlich alle wieder Arbeit finden. Das Problem der Arbeitslosigkeit ist gelöst.

Real beobachtete Keynes etwas anderes: Die Löhne fielen dramatisch ab 1929, trotzdem gab es Massen an Arbeitslosen. Der Begründer der nach ihm benannten Wirtschaftstheorie schaut auf andere Kennzahlen: die Aggregate. Wenn alle Firmen den Lohn senken, fällt auch der Preis ihrer Produkte und die nominale, aber nicht die reale Situation verändert sich. An der Arbeitslosigkeit ändern die fallenden Löhne nichts. Damit begründet Keynes die Makroökonomie und zeigt die Defizite der einzelnen Betrachtung der Unternehmen auf. Diesen Zusammenhang führt Herrmann in ihrem Buch detailliert und verständlich aus. Zu Recht ist es den Studierenden der Ökonomie gewidmet. Für diese beinhaltet es viele Aha-Momente – die ansonsten in diesen Studiengängen wahrscheinlich oft ausbleiben

Doch nicht alle drängenden Probleme unserer Zeit können mit Theorien aus dem 19. oder 20. Jahrhundert gelöst werden. Für die Klimakrise braucht es neue Ansätze, die sicherlich auch auf alten Gedanken basieren können, sich jedoch der aktuellen Situation stellen müssen. Das tut Maja Göpel in ihrem Bestseller »Unsere Welt neu denken«, welches mir meine Mutter kurz nach ihrer ersten großen Demonstration von Fridays for Future in die Hand drückte – wahrscheinlich hat sie das Buch im Greenpeace-Newsletter entdeckt.

Mit Bezug zu historischen oder aktuellen wirtschaftstheoretischen Konzepten beschreibt Maja Göpel die Folgen unseres Wirtschaftens auf Klima und Umwelt. Sie lädt ein, sich selbst und Ökonomie neu zu denken. Die Parole im Titel des Buches ist allerdings platter als der Inhalt des Buches. Es geht nicht nur um banale Denkanstöße und Konsumveränderung im Einzelnen, sondern um eine umfassende Kritik der politischen Ökonomie. So verwirft sie im Beziehungs-Dreieck Staat, Markt und Gemeinwohl zwar nicht den Markt, betont aber die Verantwortung des Staates, Gemeinwohl herzustellen. Der Staat beschneide nicht immer grundsätzlich Freiheiten, sondern schaffe sie oft erst.

Das klingt nicht nur sehr staatsgläubig, sondern ist es auch. Dennoch schafft ihre Analyse tiefgehende, aber trotzdem einfache Ansatzpunkte für eine Diskussion hin zur klimagerechten Wirtschaft. Und diese muss in Zukunft aufgebaut werden. Für die Studierenden der Ökonomie ist das eine große Aufgabe.

Was sagen diese beiden Bücher als Geschenke aus? Ein kritisches Bewusstsein wird vorausgesetzt und gefördert, Impulse für eine Zukunft der Ökonomik werden geben. Beides sehr schmeichelnde und gute Geschenke. Das sind Bücher oft, denn meist stecken da doch mehr Gedanken drin, als die Beschenkten denken. Für Studierende der Ökonomie sind die Werke abseits des Lehrplans elementar. Ohne sie gelingt kein Blick über den Tellerrand. Also: Verschenkt mehr Bücher an VWL-Studis!

Geschrieben von:

Philip Blees

OXI-Redakteur

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