Wirtschaft
anders denken.

Von solidarischen Orangen, glücklichen Hühnern und dem Weltraum

14.06.2018

Die OXI-Serie zum solidarischen Handel. Sizilianische Kooperativen arbeiten gegen die mafiösen Strukturen auf der Insel. Sie bezahlen die Erntehelfer_innen fair und versorgen mittlerweile Menschen auf Sizilien und Kooperativen in ganz Europa.

Es gibt ein großes Spektrum alternativer Wirtschaftsformen, die alle eint, dass sie menschliche Bedürfnisse ins Zentrum ihres Handelns stellen. Sie leisten einen Beitrag zum Lebensunterhalt, sind selbstverwaltet und verfügen über kollektives Eigentum, bauen auf Kooperation und solidarische Beziehung zur Gesellschaft. Manche sind eingebettet in den kapitalistischen Markt, andere grenzen sich von ihm ab und suchen eigene Wege, Produktion, Distribution und Verbrauch zu gestalten. Anderswo hat diese Art zu wirtschaften eine längere Tradition, als hierzulande, in Brasilien zum Beispiel gibt es seit 2003 ein Staatssekretariat, in Griechenland, aus der Krise geboren, ein Gesetz für Solidarische Ökonomie. oxiblog widmet eine ganze Serie einem wichtigen Bereich der solidarischen Wirtschaftsformen: dem solidarischen Handel.

Große Teile des Handels mit landwirtschaftlichen Produkten in Italien, vor allem im Süden des Landes, sind fest in der Hand der Mafia. Die Ausbeutung meist migrantischer Erntehelfer_innen, niedrigste Preise für die Landwirt_innen und Schutzgelderpressungen sind an der Tagesordnung. Im kalabrischen Rosarno müssen zum Beispiel afrikanische Saisonarbeiter_innen in überfüllten Zeltlagern oder Slums unter sklavereiähnlichen Bedingungen leben. Sie hoffen, wenigstens an ein paar Tagen im Monat Arbeit auf den Orangenplantagen zu bekommen, auch wenn sie schlecht bezahlt, mitunter sogar um ihre Lohn betrogen werden. Der Begriff Blutorangen bekam dort 2010 eine neue, schmerzliche Bedeutung. Nachdem ein Arbeiter mit Schussverletzungen ins Krankenhaus kam, demonstrierten im Januar 2010 hunderte wütende Migrant_innen, und wurden daraufhin von der Bevölkerung gejagt und brutal angegriffen.

Jedoch gibt es auch Alternativen. So verkaufen viele Netzwerke von Biolandwirt_innen in Sizilien ihre Produkte an Gruppen für solidarischen Einkauf, die GAS (Gruppi di Acquisto Solidale), und umgehen damit den mafiösen Zwischenhandel. Dadurch können die Landwirt_innen mindestens doppelt so hohe Preise erzielen, und die Kund_innen zahlen trotzdem oft weniger, als sie am Markt für vergleichbar qualitativ hochwertige Produkte zahlen müssten. Wenn es finanziell eng wird, zahlen einige Mitglieder der Food Coops auch schon im Voraus. Durch den persönlichen Austausch, und weil immer mehr Konsument_innen auch die Produzent_innen besuchen und auf den Höfen Urlaub machen, entstehen im Laufe der Zeit vertrauensvolle Beziehungen und oft auch Freundschaften.

Die Glücklichen Hühner

Für viele Landwirt_innen ist dieser Direkthandel die einzige Möglichkeit, wirtschaftlich bestehen zu können. Einer von ihnen ist Roberto in der Region Catania an der Ostküste Siziliens. Er stand kurz davor, seinen Betrieb aufgeben zu müssen, als er 2002 das italienische Netzwerk von Food Coops kennen lernte. Roberto begann, seine Orangen direkt an die Endkund_innen zu verkaufen, und als er den steigenden Bedarf nicht mehr decken konnte, lud er nach und nach befreundete Landwirt_innen ein, mitzumachen. Anfangs wurden Pakete mit der Post verschickt, heute werden die Bestellungen palettenweise ausgeliefert. Neben den Zitrusfrüchten werden auch Honig und Marmeladen, Mandelprodukte, Öl und andere Lebensmittel verkauft.

Den Namen Le Galline Felici (Die Glücklichen Hühner) gab sich der Zusammenschluss im Krisenjahr 2008, inspiriert durch ausgemusterte Legehennen, die Roberto aufnahm. Diese veränderten sich in der neuen Freiheit, legten ihre anfängliche Scheu ab und spazierten stolz und schön über den Hof. So möchten sich auch die Landwirt_innen vom unmenschlichen Markt emanzipieren und selbstbewusst ihre eigenen wirtschaftlichen Strukturen aufbauen. Untereinander stellen sie sich damit der Herausforderung, sich kollektiv zu organisieren statt zu versuchen, allein über die Runden zu kommen.

Das Konsortium hat seit 2014 ein eigenes gemeinsames Lager. Immer mehr Landwirt_innen schließen sich an. So können nach und nach Arbeitsplätze geschaffen werden, um deren faire Ausgestaltung sich alle sehr bemühen. Den Erntehelfer_innen bezahlt Le Galline Felici 50 Euro am Tag. Das ist nicht viel Geld, aber gemessen an der lokalen Lohnstruktur doch recht anständig. Dieser Betrag wird netto ausbezahlt ohne irgendwelche Abzüge, dazu gibt es oft noch Obst oder Gemüse.

Le Galline Felici beliefert auch Food Coops in Frankreich, Belgien, Holland und Österreich. Im Februar 2018 machten sie erstmals eine Auslieferungstour durch Süddeutschland. Bei der Gelegenheit lernte Klaus von der SoliOli-Kampagne sie kennen, besuchte sie kurz darauf und berichtet: »Die Kooperative verbindet Höfe auf einem großen Gebiet und mit beträchtlichen Unterschieden. Gemeinsam ist ihnen die Liebe zu einer regionalen, traditionellen und biologischen Landwirtschaft. Beeindruckend ist die Arbeit der Produzenten und die Freude und Freundlichkeit, die sie ausstrahlen. Roberto ist ständig mit neuen Ideen unterwegs. Im Moment bildet er nach Italien gekommene Migranten aus und hofft, mit ihnen eine neue Kooperative aufzubauen.«

Abholung im Weltraum

Für die sizilianische Genossenschaft Albero del Paradiso (Baum des Paradieses) brachte Salvatore im Winter 2015 eine erste Lieferung nach Berlin. Ebenso wie bei der Initiative SoliOli war der Kontakt durch den Solikon-Kongress für Solidarische Ökonomie im Herbst 2015 in Berlin zustande gekommen. Über solidarökonomische Mailverteiler wurde eine Bestellliste verschickt, auf der Orangen, Olivenöl, Nudeln, eingelegte Tomaten, Marmeladen, Honig und Wein angeboten wurden. Darüber hinaus hatte die Kooperative Stände auf zwei Ökomärkten, wo auch die Bestellungen abgeholt werden konnten.

Die Orangen wurden in Gebinden von neun Kilo angeboten – und verkauften sich nicht so, wie erhofft. Es war kurz vor Weihnachten, Salvatore musste zurück nach Italien, aber es war noch eine Tonne Orangen übrig. In dieser Notsituation sprangen einige Aktivist_innen ein. Sie holten die Früchte über Nacht vom Markt und brachten sie in den Weltraum. Dafür war kein Raumschiff erforderlich, sondern nur ein Auto zum Transport nach Kreuzberg in die Ratiborstraße in einen kleinen Nachbarschaftsladen. Innerhalb von drei Tagen hatten sie die Orangen unter die Leute gebracht. Seitdem ist der Weltraum die Abholstation für die Berliner Orangen-Initiative. Wenn die Paletten mit den Zitrusfrüchten zur Abholung vor der Tür auf dem Gehweg stehen, interessieren sich auch Nachbar_innen dafür und bestellen beim nächsten Mal selbst etwas.

In der Erntesaison wird von Dezember bis Mai vier- bis fünfmal geliefert, hinzu gekommen sind Pistazien und Pistazienprodukte von der ebenfalls sizilianischen Kooperative Pistacia Etna Bio. Im Vulkangebiet von Bronte werden seit vielen Hundert Jahren Pistazien kultiviert. Die Bäume tragen nur alle zwei Jahre Früchte, die dann in der Sonne getrocknet werden.

Darüber hinaus liefert Albero del Paradiso an Food Coops, Hausprojekte und Solidarische Landwirtschafts-Initiativen (SoLaWis) in Berlin, Leipzig und Eberswalde. Ulrike von der Berliner Orangen-Initiative berichtet, wie sich die Mitglieder der SoLaWis freuen, wenn sie im Winter neben Möhren, Kohl und Rote Beete die frisch gepflückten Orangen bekommen. Sie wünscht sich eine selbstorganisierte Vollversorgung: »Wenn wir es schaffen, uns über das ganze Jahr aus ökologischem Landbau nach den Prinzipien solidarischen Wirtschaftens zu versorgen, dann wäre Ernährungssouveränität gelebte Realität. Dabei sollten wir Berlin und Brandenburg zusammen denken.«

Die Mitglieder von Albero del Paradiso sind Familienbetriebe, die ihr Land biologisch bewirtschaften. Die meisten Produkte haben ein EU-Bio-Siegel. Die Genossenschaft wurde 2012 mit Unterstützung durch den Verein Ailantos gegründet, der sich seit mehr als 20 Jahren für eine kleinbäuerliche Landwirtschaft und für Biodiversität einsetzt. Die Genoss_innen sagen von sich: »Unser Traum ist es, eine andere Wirtschaft zu schaffen und aufzubauen. Eine Welt, in der man mit Würde auf dem Land arbeiten kann …«

Geschrieben von:

Elisabeth Voss

Publizistin

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