Wirtschaft
anders denken.

Voraus oder nicht – egal

12.07.2016

Jürgen Trittin sträubt sich in der FAZ im voreiligen Gehorsam dem Steuerwahlkampf eine Absage zu erteilen. Die Notwendigkeit, über Steuern und Gerechtigkeit zu sprechen, hätte er auch anders formulieren können.

»Bevor nun Grüne der Lobby der Unternehmensverbände in vorauseilendem Gehorsam versichern, ›mit uns wird es keinen Steuerwahlkampf geben‹, sei auf einen einfachen Umstand verwiesen: Das herrschende Steuersystem befördert Umverteilung – zu Lasten der Lohneinkommen und zugunsten der Kapitaleinkommen. Von unten nach oben!«

Vieles von dem, was Jürgen Trittin am 6. Juli in einem Gastbeitrag in der FAZ zum Thema Umverteilung schrieb, ist lesens- und bedenkenswert. Verkörperte Trittin die Partei Die Grünen wäre sogar Hoffnung angebracht. Tut er aber nicht, das steht jedoch auf einem anderen Blatt. Die Süddeutsche goutierte den Text des einstigen Fraktionsvorsitzenden im Bundestag mit der Überschrift »Die Grünen emanzipieren sich«. Trittin geißele einen »vorauseilenden Gehorsam der Grünen gegenüber der Wirtschaft«, so steht es auch hier.

Gehorsam und vorauseilend

Gehorsam und vorauseilend, das ist ein wahrlich hübsches Wortpaar, das fest in sich ruht und keiner Frage mehr bedarf. Gehorsam an sich ist schon schlimm, vorauseilend ist er besonders schlimm. Fragt sich nur, warum?

Die Sonnentempler, eine apokalyptische Sekte der Neuzeit, gelangten in den Jahren 1994, 1995 und 1997 zu trauriger Berühmtheit, als sich zahlreiche ihrer Mitglieder kollektiv das Leben nahmen. Deren Wunsch war, mit dem Gruppen-Suizid zu beschleunigen, was sie seit jeher prophezeiten. Sie wollten einfach, dass es schneller geht mit der Zerstörung der verdorbenen Welt oder – je nach Sichtweise – dass sie schneller davonkommen. Das ist nachvollziehbar, lässt man mal den der Sache immanenten Irrsinn außer Acht.

Das Wort vorauseilend ändert an der eigentlichen Tatsache, bzw. an dem eigentlichen Vorhaben nichts, nur dass etwas eben vorweggenommen, vorgezogen, schneller vollzogen oder eher umgesetzt wird.

Wenn also jemand von vorauseilendem Gehorsam spricht – die Autorin ist sich fast sicher, dass Trittin es nicht so meint – dann nimmt er oder sie den Gehorsam in jedem Fall als gegeben an. Nur eben besser platziert, also zum rechten Zeitpunkt. Er oder sie sagt, jetzt sei es dafür noch zu früh. Was die Frage nach sich zieht, ob es nicht völlig legitim ist, hat man sich nun schon auf Gehorsam geeinigt – irgendwann, demnächst, dann mal, wenn es nötig ist – ihn bereits jetzt und somit vorauseilend an den Tag zu legen, um die Dinge ins Rollen zu bringen und die Sache zu beschleunigen? Was änderte das an der Sache?

Über Gehorsam – taktisch begründet, machtpolitisch unterlegt, vorauseilend oder zum rechten Zeitpunkt – bei den Grünen ließe sich eine Menge schreiben. Und es wird interessant sein, ob die Partei sich an Trittins Wunsch, man möge nicht schon jetzt sagen, es werde keinen Steuerwahlkampf geben, erinnern wird, wenn es an der Zeit ist, das Wahlprogramm zu schreiben.

Geschrieben von:

Kathrin Gerlof

OXI-Redakteurin

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