Wirtschaft
anders denken.

Sahra Wagenknechts fragwürdiger Klassenbegriff

15.06.2021

Wenn es Linke gibt, die sich von den Wurzeln der Arbeiterbewegung entfernt haben, dann solche wie Sahra Wagenknecht. Kolumne aus OXI 6/21.

Sahra Wagenknecht hat mit ihrem Buch »Die Selbstgerechten« jüngst viel Kontroverse innerhalb der Linken (groß und klein geschrieben) erregt. Ihre These: Junge Lifestyle-Linke aus Großstädten betreiben lieber Identitätspolitik, als sich mit den Abgehängten in der Gesellschaft zu befassen. Sie ist dabei mit ihrer Intervention keineswegs neu oder originell. Der Diskurs um Identitätspolitik versus Klassenpolitik ist bereits seit Jahren eine Kontroverse in der deutschen und internationalen Linken. Die deutsche Übersetzung von Didier Eribons Buch »Rückkehr nach Reims«, in dem er die These vertritt, die Linke habe die Arbeiterklasse vernachlässigt, sodass diese sich an die neue Rechte wendet, stieß vor einigen Jahren diese Debatte auch hierzulande an.

Einige dieser Kritiken an der Linken und dem Verschwinden einer Klassenpolitik greifen einen wahren Aspekt auf, um dann allerdings falsche Antworten und Analysen zu bieten. Wie bei jeder Ideologie, auch bei rechten, gibt es immer einen wahren Kern, der in der Darstellung verzerrt wird. Es gibt tatsächlich einen sogenannten »progressiven Neoliberalismus«, der sich, beispielsweise mit der Forderung nach Frauenquoten in Dax-Unternehmen, positiv auf feministische und antirassistische Forderungen bezieht, solange sie den Kapitalismus nicht grundlegend in Frage stellen. Doch statt diese berechtigte Kritik als Anlass zu nutzen, antirassistische oder feministische Forderungen transformativ zuzuspitzen, werden diese generell als Identitätspolitik verworfen. Interessanterweise wird dabei der Begriff der Klassenpolitik implizit und explizit verengt auf Arbeitskampf im Betrieb, zum Beispiel um höhere Löhne. Dabei sollten gerade Kämpfe um höhere Löhne als Ausdruck der Integrationskraft des Kapitalismus verstanden werden, der durch die Sozialpartnerschaft auch diese Art des Klassenkampfs choreografiert und zahnlos gemacht hat.

Wagenknechts unmarxistischer Klassenbegriff zeigt sich insbesondere in ihren zahlreichen Wortmeldungen zu Fragen von Rassismus und Migration in den letzten Jahren: In der Vergangenheit hatte sie sich klar gegen offene Grenzen positioniert und dies mit Bedenken gegenüber einem sogenannten Brain-Drain aus Ländern des Globalen Südens begründet. Während sie korrekt auf Gefälle auf dem Weltmarkt und ein Gefälle zwischen imperialistischen Kernländern, in die Menschen migrieren, und ehemaligen Kolonien des Globalen Südens, aus denen die Menschen emigrieren, aufmerksam macht, ist ihre Antwort falsch, diese Menschen ihrem Schicksal dort einfach zu überlassen. Vor allem weil sie das stets mit einer Befürchtung begründet, deutsche Arbeiter:innen hätten dadurch Konkurrenz und Nachteile. In diesem Zusammenhang ist es wenig überraschend, dass sie viel Zustimmung von rechts erhält. Von wem man Beifall bekommt, kann man nicht immer kontrollieren, allerdings muss man sich die Frage stellen, wieso man eine Kritik so formuliert, dass sie für Rechte überhaupt anschlussfähig ist. Während es für eine klassenbewusste Linke essenziell ist, den progressiven Neoliberalismus als reaktionär abzulehnen, weist Wagenknecht vieles von dem zurück, was durchaus klassenpolitische Aspekte sind. Im letzten Jahr hat es Hunderttausende Menschen auf die Straße getrieben, um unter dem Label Black Lives Matter gegen rassistische Polizeigewalt zu protestieren. Die Opfer rassistischer Polizeigewalt sind auch in Deutschland häufig junge Schwarze Menschen: Zum Beispiel Christy Schwundeck, die in einem Jobcenter von der Polizei erschossen wurde, weil sie eine Vorauszahlung brauchte, oder die zahlreichen Afrikaner:innen, die flüchten mussten, weil der lokale Markt mit subventionierten Produkten aus Europa geschwemmt wird, sie damit nicht konkurrieren können und nun illegalisiert in Deutschland sind. Die Kämpfe gegen Polizeigewalt können in diesem Zusammenhang als Klassenkämpfe verstanden werden, weil Menschen über Migration und Rassismus ihre Besitzlosigkeit und damit ihre Klasse erfahren.

Wagenknecht kann das von ihrem theoretischen Standpunkt aus nicht erkennen, weil sie von einer nationalen Arbeiterklasse ausgeht, deren Interessen sie vermeintlich vertritt. Von diesem Standpunkt aus forderten deutsche Gewerkschaften zu Beginn der Gastarbeiteranwerbung das Inländerprimat, aus Angst vor Konkurrenznachteilen für die eigenen Belegschaften. Das ist unsolidarisch. Die Losung der sozialistischen Arbeiterbewegung war stets »Proletarier aller Länder, vereinigt euch«, nicht nur aus einem moralischen Standpunkt heraus, sondern weil der Kapitalismus sich so verallgemeinert, dass er eine Weltarbeiterklasse schafft. Von diesem Standpunkt aus formulierten Marx und Engels das »Manifest der Kommunistischen Partei«. Das heißt: Wenn es Linke gibt, die sich von den Wurzeln der Arbeiterbewegung entfernt haben, dann solche wie Sahra Wagenknecht.

Geschrieben von:

Bafta Sarbo

Sozialwissenschaftlerin

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