Wirtschaft
anders denken.

Die Wahlen und Top-Personalien der Wirtschaftspolitik

12.09.2017
Bild: Public domainVorgeschriebenen Fahrtrichtung für Linksabbieger.

Die nächste Bundesregierung wird einige der wirtschaftspolitischen Topjobs neu besetzen. Es geht um die »wirtschaftspolitischen Grundkoordinaten der Republik, ja sogar Europas«. Eine Personalie ist für die Gewerkschaften besonders wichtig.

Worum es bei dieser Wahl auch geht? Die nächste Bundesregierung wird einige der wirtschaftspolitischen Topjobs neu besetzen. Damit werden nicht nur personelle Weichen gestellt, sondern auch politische Wegmarken gesetzt. Wie entscheidend das ist, formulierte die Zeit einmal so: Es werde »praktisch die komplette ökonomische Führungselite des Landes« in der kommenden Legislaturperiode ausgetauscht, wer da über die Namen entscheide, werde »in beispielloser Weise die wirtschaftspolitischen Grundkoordinaten der Republik, ja sogar Europas mitbestimmen«.

Worum geht es: Auf Europäischer Bühne wird nicht nur ein Nachfolger von Werner Hoyer bei der Europäischen Investitionsbank, sondern auch einer für Mario Draghi an der Spitze der Europäischen Zentralbank gesucht. Hinter den deutschen Kulissen wird bereits jetzt ordentlich für Bundesbank-Chef Jens Weidmann getrommelt – der geldpolitisch als Gegenspieler von Draghi gilt. Dessen Amtszeit läuft Ende Oktober 2019 aus. In der Frankfurter Allgemeinen heißt es, »nach Ansicht der Bundesregierung ist es an der Zeit, dass ein Deutscher an die Spitze der EZB rückt. Die größte Volkswirtschaft im Euroraum ist bisher bei der wichtigsten Position in der gemeinsamen Notenbank nicht berücksichtigt worden.«

Weidmann als Anti-Draghi

Weidmann würde wohl, wie der Spiegel berichtet. Im Gespräch ist aber auch der Chef der französischen Notenbank, François Villeroy de Galhau. An den Namen machen sich bereits unterschiedliche Geldpolitiken fest. Weidmann hat gegen Draghis Staatsanleihekaufprogramme öffenltich Front gemacht. In den südlichen Krisenländer wird er kaum Beifall finden.

Einmal von der damit zusammenhängenden Frage abgesehen, dass es hier nicht nur um »Berücksichtigung« der Berliner Vorlieben geht, sondern auch um für die europäische Ökonomie grundlegende Entscheidungen, wird die EZB-Personalie auch Einfluss auf andere EU-Posten haben – denn in Europa müssen die Begehrlichkeiten vielerlei Hauptstädte beachtet werden. Zugegeben: Mancher eher weniger, mancher mehr. Ende Mai 2018 wird bereits die Stelle des EZB-Vizepräsidenten Vítor Constâncio frei.

Zudem muss ein Nachfolger an der Spitze der Eurogruppe für Jereon Dijsselbloem gefunden werden – spätestens im Januar 2018. Hier steht Spaniens Regierung in den Startlöchern: der Name des konservativen Wirtschaftsministers Luis de Guindos wurde schon als Dijsselbloem-Nachfolger gehandelt, auch will Madrid den Posten des EZB-Vize wieder besetzen. Aber auch die nächste Bundesregierung wird hier mitreden.

Neue Spitzen für KfW und Bundesbank

Als Alternative zu Weidmann werden Hans-Helmut Kotz und Jörg Asmussen gehandelt. Kotz war Mitglied im Bundesbank-Vorstand und ist heute an der Universität. Asmussen amtierte schon im EZB-Direktorium, ging dann als Staatssekretär ins Arbeitsministerium unter Andrea Nahles und arbeitet derzeit bei der Investmentbank Lazard.

Weidmann ist auch deshalb im Gespräch, weil seine normalerweise achtjährige Amtszeit als Chef der Bundesbank im Frühjahr 2010 ausläuft. Ernannt wird der Bundesbankchef formal vom Bundespräsidenten, die Entscheidung über diese Personalie ist aber natürlich eine der engsten Regierungsspitze.

Weitere wirtschaftspolitisch wichtige Posten die von der kommenden Bundesregierung neu zu besetzen sind: Bei der Staatsbank KfW läuft der Vertrag von Vorstandschef Ulrich Schröder bis Ende 2020, der des für Kapitalmarkt, Recht und Personal verantwortlichen Vorstandes Günter Bräunig bis Ende Juni 2021 – beide werden also noch vor der nächsten regulären Bundestagswahl neu zu besetzen oder gegebenenfalls zu verlängern sein.

Wirtschaftspolitik und Sachverständigenrat

Für die öffentliche ökonomische Debatte bedeutsam dürfte die Nachbesetzung von so genannten »Wirtschaftsweisen« sein – da laufen in der kommenden Legislaturperiode gleich mehrere Amtszeiten von Sachverständigen aus. Das Gremium hat auf die allgemeine wirtschaftspolitische Stimmung Einfluss, weil die Gutachten in den Medien eine gewisse Rolle spielen und der ökonomische Tenor des Gremium ein Abbild der zumindest in der Politik gerade vorherrschenden theoretischen Zugänge ist.

Die Mitglieder werden auf Vorschlag der Bundesregierung jeweils für die Dauer von fünf Jahren berufen, Wiederberufungen sind möglich. Informell gilt, ein Posten wird von der Unternehmerlobby bestimmt, einer vom Gewerkschaftslager. Stets endet die Amtszeit von einem Mitglied im März eines Jahres. Christoph M. Schmidt, der Vorsitzende der »Weisen«, ist bereits seit 2009 dabei – seine derzeitige Amtsperiode läuft bis Februar 2020.  Peter Bofinger, der aktuelle »Gewerkschaftsmann« im Rat, ist schon seit 2004 dabei und bis Februar 2019 engagiert. Volker Wieland, seit 2013 im Sachverständigenrat, wurde zunächst bis Februar 2018 berufen.

Um den Sachverständigenrat hat es immer wieder Debatten gegeben – auch Vorschläge zur Reform des Gremiums. Der Wirtschaftsjournalist Norbert Häring stieß zum Beispiel Ende 2014 eine Debatte über die wissenschaftliche Kompetenz und die wirtschaftspolitische Schlagseite der »Weisen« an, Schlagzeilen wie »Wer braucht die Wirtschaftsweisen?« machten die Runde, in Fachpublikationen wurde ausführlich das Wohl und Wehe des Rates beäugt. Kritiker wiesen darauf hin, dass einer in der Gesellschaft herrschenden marktliberalen Mehrheit nichts entgegenzusetzen ist, wenn in so wichtigen Gremien der Politikberatung ein angebotsorientieres Deutungsmonopol herrscht. Und durch Neubesetzungen immer wieder reproduziert wird.

Bofingers Nachfolge als »Weiser«

Die Debatte ist durch die Kontrovers zwischen Peter Bofinger und den anderen vier aktuellen Ratsmitgliedern nun höchst aktuell. Der Würzburger Ökonom hatte sich für mehr staatliche Regulierung und Steuerung ausgesprochen, die Vier antworteten mit einem umstrittenen Bekenntnis zur »Liebe von Ökonomen zum Markt«.

Der Streit verweist auf kommende wirtschaftspolitisch relevante Entscheidungen: Wer folgt zum Beispiel auf Bofinger? Der Schweizer Ökonom Gebhard Kirchgässner meinte 2015 mit Blick auf die Zusammensetzung des Rates, »es wäre wünschenswert, wenn manche Auffassungen« der seit Jahren marktliberalen Mehrheit »etwas kritischer hinterfragt würden«. Dazu »könnte möglicherweise auch helfen, wenn die Ratsmehrheit ideologisch etwas weniger homogen zusammengesetzt wäre«.

Eine Beschäftigtenkonferenz?

Auf diesen Punkt verweist nun auch Häring: Er nennt die Nachfolge von Bofinger Anfang 2019 »das nächste Schlachtfeld« im »Kampf um die alleinige Deutungshoheit in der Wirtschaftspolitik«. Und er fordert den DGB, der bei der Bestellung »seiner« oder »seines« Kandidatin oder Kandidaten besser vorbereitet in die Nachfolgesuche gehen solle. Die Personalie dürfe angesichts ihrer Bedeutung »nicht aus der Lamäng« entschieden werden.

Härings Idee: ein Verfahren, das es der Gewerkschaftsspitze und den Mitgliedern ermögliche, »alle in Frage kommenden Kandidaten in den Blick zu nehmen und abzuklopfen«. Häring, der fürchtet, das Gewerkschaftslager könne einen Ökonomen nominieren, der zwar als nachfrageorientiert gilt, dies in Wahrheit aber nicht ist. Eine »wissenschaftliche Konferenz zur Wirtschaftspolitik aus Arbeitnehmersicht« könne verhindern, dass sich so etwas wie die Nominierung von Wolfgang Franz 1994 wiederhole. Damals, so Häring, sei der »DGB-Spitze der neoliberale Arbeitsmarktforscher Wolfgang Franz als Kandidat untergeschoben« worden.

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