Wirtschaft
anders denken.

Wahlkampfthema Rente? Ja, nein, vielleicht!

02.05.2016

Die SPD will Rentenwahlkampf machen – oder auch nicht. Das Hin und Her ist typisch für die Partei. Vielleicht wäre angesichts ihres Vorsitzenden sogar Schweigen besser.

Vor ein paar Tagen wurde aus der SPD-Spitze kolportiert, der Vorsitzende Sigmar Gabriel habe mit Blick auf die von ihm selbst erst angestoßene, dann wieder halb zurückgenommene Rentendebatte erklärt: »Wir sollten den Ball flach halten.« Das Thema brennt: Riester-Pleite und drohende Altersarmut, ständiger Druck des neoliberalen Lagers, die Lebensarbeitszeit zu verlängern, und so fort. Da wäre es doch gar nicht schlecht, wenn die Rente im Wahlkampf ganz oben stünde. Doch je länger die SPD-Spitze wie eine orientierungslose Horde durch das Thema pflügt, desto mehr wünscht man sich, Gabriels Partei würde tatsächlich den »Ball flachhalten«.

Denn was da so an die Öffentlichkeit dringt, macht wenig Hoffnung darauf, dass hier eine Partei erstens die Problemlage wirklich erkannt hat, zweitens eine Ahnung davon besitzt, was getan werden könnte, und drittens auch die politische Hartnäckigkeit, von eigenen Entscheidungen der Vergangenheit abzurücken und einen echten Kurswechsel einzuleiten.

Gabriel irrlichtert durch die Rentendebatte

Stattdessen scheint es eher so, als nutze eine kleine Funktionärsschicht in der SPD das Thema dazu, politische Hinterhöfe zu verteidigen. Soll die Rente nun ein wichtiges Wahlkampfthema werden, wie der Vorsitzende erst erklärt hat, um es dann vom Fraktionschef Oppermann wieder dementieren zu lassen? Soll lieber Sozialministerin Nahles die Rentendebatte anführen – oder macht Gabriel es doch selbst? Und wenn ja: mit welchen Argumenten?

Der SPD-Chef hat jetzt noch einmal der Union vorgeworfen, das Rententhema aus dem Wahlkampf heraushalten zu wollen. Das wäre beinahe lustig, weil es sich aus Teilen der SPD ja ebenso anhört. Es ist aber alles andere als komisch, und das hat auch damit zu tun, wie Gabriel argumentiert. Dass es »gefährlich für den demokratischen Konsens« ist, »wenn man eine der wichtigsten sozialen Fragen aus dem Wahlkampf heraushalten will«, wie Gabriel sagt, stimmt – und zwar für die Rente ebenso wie sagen wir für steuerliche Umverteilung, Kinderarmut, das beschämende Hartz-Sanktionsregime und so fort. Doch Gabriel geht es erstens offenbar gar nicht um die Menschen, die sich wegen der verfehlten Rentenpolitik, zu der auch die SPD beigetragen hat, vor Altersarmut fürchten. Es geht ihm vor allem darum, dass sich dann »PopulistInnen« zuwenden könnten. Das schadet, wie man an den Umfragen sieht, der SPD. Das Beispiel, das Gabriel dafür aber nutzt – die rentenfaule Union solle »mal über die Grenze nach Österreich schauen« –, passt so schlecht wie dieser Vorsitzende zu einer sozialdemokratischen Partei.

Was soll der merkwürdige Österreichvergleich?

Denn ausgerechnet das österreichische Rentensystem für den dortigen Rechtsruck verantwortlich zu machen, geht fehl. Jedenfalls, wenn man einen Automatismus zwischen drohender Altersarmut und rechtem Denken sehen möchte. Österreich hat sein Rentensystem nämlich nicht von SozialdemokratInnen kaputtmachen lassen. Dort erhält ein Durchschnittsverdiener nach 45 Beitragsjahren derzeit beim Renteneintritt im Schnitt 1.560 Euro. In der Bundesrepublik sind es nicht zuletzt Dank der SPD 1.050 Euro. In Österreich werden FreiberuflerInnen, Selbstständige und Gewerbetreibende obligatorisch in die Rentenversicherung einbezogen – in Deutschland nicht. Auf Basis der derzeitigen Beitrags- und Rentenformeln werden durchschnittlich verdienende deutsche BeitragszahlerInnen, die heute ins Berufsleben einsteigen, nach 45 Versicherungsjahren nur noch 37,5 Prozent ihres Bruttogehalts als Rente erhalten, in Österreich dagegen 78 Prozent. Man kann das alles in einer Studie des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts der DGB-nahen Hans-Böckler-Stiftung nachlesen.

Es ist nicht in Ordnung, wenn die Union das Thema Rente aus dem Wahlkampf heraushalten will. Die Frage ist, wieso die SPD so wie in den letzten Wochen ein Thema totreitet, das für so viele Menschen existenziell wichtig ist. Am Ende muss sich Gabriel fragen, ob es nicht eher seine Politik ist, die die »Populisten« bestärkt.

Geschrieben von:

Tom Strohschneider

Journalist

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