Wirtschaft
anders denken.

Warum Energieeffizienz eine Illusion ist

03.06.2016
Ein Screenshot von der Energiesparkampagnen-Website der Bundesregierung. Man sieht einen Astronauten auf einem Sofa sitzen, dazu der Slogan: "Effizient ist an den Heizkosten zu sparen, nicht an den Reisekosten."Foto: ScreenshotKennen Sie den Rebound-Effekt? Die Bundesregierung auch nicht, wie man sieht.

Eine Energiespar-Kampagne des Wirtschaftsministeriums veranschaulicht ungewollt, warum ein grüner, umweltschonender Kapitalismus nicht funktionieren kann.

Der Slogan wirkt wie eine unfreiwillig komische Illustration des Rebound-Effekts: »Effizient ist, an den Heizkosten zu sparen. Nicht an den Reisekosten«, heißt es auf Plakaten und in Anzeigen, die das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie seit einigen Wochen aufhängen und schalten lässt. Auf dem Bild sieht man einen Astronauten in voller Montur auf einer Couch sitzen, rechts hinter dem Sofa eine Heizung. Natürlich dürfen auch die schwarz-rot-goldenen Farben nicht fehlen, schließlich startet bald die Europameisterschaft. »Deutschland macht‘s effizient« lautet der Titel der Kampagne, die, so heißt es auf der Homepage, BürgerInnen, UnternehmerInnen und Kommunen »umfassend informieren, sensibilisieren und motivieren« möchte, Strom und Wärme bewusst einzusetzen.

Die Energiespar-Kampagne, fast ein kleiner Witz

Unfreiwillig komisch wirkt diese Kampagne aus zwei Gründen: Erstens weil die Bundesregierung die Energiewende gerade ausbremst und zweitens weil die Hoffnung, durch Effizienz den Energieverbrauch zu verringern, im Grunde schon seit anderthalb Jahrhunderten illusionär ist.

Unfreiwillig komisch wirkt die Kampagne auch, weil die Bundesregierung die Energiewende gerade ausbremst.

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Die am Donnerstag erzielte Einigung zur Reform des Erneuerbare Energien-Gesetz (EEG) bedeutet im Kern eine Drosselung des Ausbaus der regenerativen Energien – zugunsten der fossilen Kraftwerke. Das vorgebrachte Argument, wonach der Ausbau, insbesondere der Windkraft im Norden, zu schnell vorangehe, um den Strom per Trassen an die Orte des Verbrauchs zu leiten, übersieht Folgendes: Die Netze werden nicht durch Ökostrom verstopft, sondern durch Kohlestrom. Doch die schützende Hand über den Braunkohlewerken will die Bundesregierung nicht zurückziehen. Die klimaschädlichen Kraftwerke laufen und laufen, produzierten im letzten Jahr 42 Prozent des deutschen Strombedarfs, während Sonnen- und Windenergie immerhin ein Drittel beisteuerten.

Die Bundesregierung setzt auf Förderung fossiler Energien

Welche Prioritäten die Bundesregierung trotz aller grünen Rhetorik und partiell richtiger Schritte setzt, zeigt ein Blick in den Report »Die Kosten der Energiesubventionen« des Internationalen Währungsfonds (IWF) aus dem vergangenen Jahr. Demnach gab der Bund immerhin 6,5 Milliarden Euro für Forschung, Beihilfen und Investitionen national und weltweit für den Klimaschutz aus. Aber: Mit insgesamt 49,2 Milliarden Euro subventionierten Bund und Länder die fossilen Brennstoffe Öl, Gas und Kohle. Enthalten in der Summe sind direkte wie indirekte Subventionen.

Was hatte die Klimakanzlerin Merkel auf dem G7-Gipfel in Elmau gesagt? Und wie war das mit den Klimazielen von Paris? Man sollte annehmen, dass langsam einmal angefangen wird mit einer richtigen Energiewende. Stattdessen wird selbst der zaghaften Variante der Wind aus den Segeln genommen.

Warum Energieeffizienz nicht den Klimawandel stoppt

Das ist das eine. Das andere ist der naiv-optimistische Ansatz, durch effizientere Techniken dem Klimaproblem beikommen zu wollen. »Mehr aus Energie machen: Das heißt, das gleiche Ziel mit möglichst wenig Energie erreichen – und den verbleibenden Bedarf mit erneuerbaren Energien decken. Auf diese einfache Formel lässt sich die Energiewende bringen«, heißt es auf der Seite des Ministeriums.

Klingt auf den ersten Blick einleuchtend – ist es aber nicht. Und das hängt mit dem Rebound-Effekt zusammen. Rebound-Effekt? Ein Alltagsbeispiel macht deutlich, worum es sich dabei handelt: Die Neuanschaffung eines Autos mit spritsparendem Motor muss nicht dazu führen, dass tatsächlich weniger Benzin verbraucht wird. Der Besitzer kann auch nach dem Motto handeln: »Weil der Wagen weniger verbraucht, benutze ich ihn öfter oder fahre weitere Strecken.« Er kann sich auch sagen: Wenn ich Benzin sparen, kann ich ja demnächst mal eine Kreuzfahrt machen. Oder die von der Kampagne der Bundesregierung angesprochene Hausbesitzerin oder Mieterin steckt ihr bei den Heizkosten gespartes Geld in Reisen. Die an einer Stelle eingesparte Energie wird an anderer wieder verbraucht.

Hat die Bundesregierung nie vom Rebound-Effekt gehört?

Tatsächlich ist in kapitalistischen Gesellschaften von Beginn an zu beobachten, dass sie immer mehr Energie verbrauchen, obwohl die Technologien stets effizienter geworden sind. Die Einsparung von Energie durch Effizienzsteigerungen führt eben nicht eins zu eins zur absoluten Einsparung von Inputs. Der britische Ökonom William Stanley Jevons beschrieb dieses Paradoxon 1865 in seinem Buch »The Coal Question«. Deshalb ist auch vom Jevons-Paradoxon die Rede. In den Wirtschaftswissenschaften wird das Paradoxon erst seit wenigen Jahrzehnten intensiver diskutiert – vornehmlich in der Mikroökonomik. Erst durch die Finanz- und Wirtschaftskrise von 2008 und die Renaissance der wachstumskritischen Bewegung wurde der Rebound-Effekt einer etwas größeren Öffentlichkeit bekannt.

Kapitalistische Gesellschaften verbrauchen immer mehr Energie – obwohl die Technologien stets effizienter werden.

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Das Ministerium für Wirtschaft und Energie hat offenbar noch nie von ihm gehört. Dabei wurde der Mechanismus des Jevons-Paradoxon im Schlussbericht der Enquete-Kommission »Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität« des Bundestages 2009 präzise beschrieben. Dort lesen wir zum Beispiel: »Höhere volkswirtschaftliche Ressourceneffizienz im Sinne von weniger Ressourcenaufwand für die Produktion der gleichen Güter würde nicht ausreichen, da sie teilweise oder ganz durch eine Steigerung der Gütermenge wieder aufgewogen wird.«

Der Sozialwissenschaftler Tilman Santarius, der vor kurzem eine Dissertation zum Thema veröffentlicht hat, interpretiert den Rebound-Effekt abstrakt betrachtet letztlich als eine Facette des kapitalistischen Gewinnstrebens. Ein Unternehmen könnte theoretisch mit weniger Ressourceneinsatz dieselbe Menge produzieren, wenn es effizientere Produktionstechniken einführt. Aber wieso sollte es dies tun, wenn es mit demselben Input mehr Output erzielen könnte – und damit die Chance hätte, den Kredit für die neue Technologie zurückzuzahlen und vor allem mehr Profite zu realisieren?

Wie die kapitalistische Konkurrenz Klimaschäden produziert

Die Konkurrenz zwingt dem Unternehmen genau dieses Verhalten auf. Die Wirtschaft wächst und wächst, verbraucht mehr Naturressourcen und produziert mehr Emissionen. Eine Verringerung von fossilen Energien und des Naturverbrauchs, so lautet die Schlussfolgerung, gebiete eine Abkehr vom Ziel des Wachstums. »Denn so lange die Wirtschaft weiter wächst, werden Rebound-Effekte eine hinreichende Verminderung des absoluten Naturverbrauchs vereiteln«, stellt Santarius fest. Wenn aber Wachstum bzw. marxistisch gesprochen die Akkumulation des Kapitals ein inhärenter Bestandteil kapitalistischer Ökonomien ist, muss über Alternativen nachgedacht werden.

Das kann man von der Bundesregierung natürlich nicht erwarten. Für sie, aber auch für weite Teile der ökologischen Parteien und Bewegungen, ist es bequemer, weiter der Illusion eines grünen Kapitalismus bzw. Wachstums durch eine vermeintliche Effizienzrevolution anzuhängen.

Geschrieben von:

Guido Speckmann

Redakteur neues deutschland

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