Wirtschaft
anders denken.

Neu denken statt neu bauen!

19.04.2018
Dan Gold/Unsplash

Alle beklagen den Mietenwahnsinn. Richtig so. Doch die Wohnungsfrage wird man nicht mit milliardenschweren Programmen zum Hochziehen von begehbarem Beton beantworten können. Wir selbst können sie lösen. Eine Anregung.

Vier Milliarden Euro will die Große Koalition in Neubau stecken, eine unwirklich hohe Zahl – und doch teilen auch viele kritische Menschen das Geht-wohl-nur-so-Gefühl: Man müsse wohl jetzt viel neu bauen, denken sie angesichts steigender Mieten und Wohnungsmangel. Für ähnlich alternativlos halten viele die Planungen neuer Stadtviertel für zehntausende Bewohner. Aber stimmt es eigentlich, dass wie einem Naturgesetz folgend immer mehr gebaut werden muss? Beseitigen Neubauten überhaupt den Wohnraummangel?

Dieser vermeintlichen Logik folgend will die Große Koalition je zwei Milliarden Euro in den Neubau von Sozialwohnungen und in die Förderung von Eigentum und Eigenheim stecken. Doch frühere Fördermilliarden wurden von der Immobilienwirtschaft eingepreist, und so wurde nur teurer gebaut als zuvor, aber nicht mehr. 

Würde Neubau tatsächlich gegen Wohnraummangel helfen, wäre das Problem längst gelöst: In den letzten 25 Jahren entstanden in Deutschland über sieben Millionen neue Wohnungen, also Platz für 14 Millionen Menschen, während die Zahl der Einwohner nicht einmal um zwei Millionen stieg. 

Was wurde aus den anderen neu gebauten Wohnungen für ein Dutzend Millionen Bewohner? Wir sollten endlich darüber nachdenken, wie und wo gewohnt wird, und dafür Ideen und Geld investieren, statt die Bauwut anzustacheln.

Doch auch die Kommunen setzen auf Neubau und planen neue Stadtviertel, wie wir sie seit den 1970er Jahren nicht gesehen haben: In Berlin-Blankenburg sollen 10.000 neue Wohnungen für 20.000 Menschen gebaut werden, Hamburg plant in Oberbillwerder für 15.000 Bewohnerinnen, und sowohl Frankfurts Nordwesten als auch Münchens Nordosten drohen neue Siedlungen für je 30.000 Personen.

Obendrein werden mit diesen Neubauten keine Städte geplant, sondern Wohnsiedlungen, Gewerbegebiete und Fachmarktzentren, öde getrennt wie fast alle neuen Siedlungen. Billig werden die Wohnungen nicht, meist baut man für die obere Mittelschicht und aufwärts; und selbst der sogenannte soziale Wohnungsbau ist im deutschen System meist nur 15 Jahre sozial, dann steigen die Preise. 

Der massenhafte Neubau zerstört Wiesen und Äcker und vernichtet in den Städten die letzten Freiflächen. Die Bilanz des Bauens ist ökologisch, ökonomisch und sozial derart schlecht, dass es nicht helfen würde, ein bisschen besser zu bauen. 

So wird derzeit darüber diskutiert, die anstehende Reform der Grundsteuer dafür zu nutzen, statt der Gebäude nur noch den Boden zu besteuern. Außerdem solle der Bund Boden für soziale Zwecke vergeben. Doch solche Überlegungen folgen dem Dogma und sollen, wenn auch auf andere Weise, für mehr Neubau sorgen. 

Warum wird in Deutschland neu gebaut? An diese scheinbar banale Frage muss man erinnern, denn die Zahl der Einwohner steigt seit langem kaum noch; stattdessen wird gebaut, weil seit dem Zweiten Weltkrieg jedes Jahr mehr Wohnfläche pro Person verbraucht wird. Doch wenn wir diesen Trend stoppen, wird Neubau überflüssig! 

Wie wäre es also mit einem Milliardenprogramm, um den »unsichtbaren Leerstand« in Wohnraum zu verwandeln, ungenutzte Zimmer in untergenutzten Wohnungen und Häusern? Freilich gibt es auch gegen den sichtbaren Leerstand viel zu tun: Die meisten Städte wissen nicht, wie viel bei ihnen leer steht. Dagegen bietet das Land Niedersachsen seinen Gemeinden eine Software, die Gebäude- und Einwohnerdaten verbindet, so dass die Verwaltung sieht, wo niemand wohnt. 

Um mehr Platz als beim sichtbaren Leerstand geht es beim unsichtbaren: Sechs Millionen Menschen wohnen in Deutschland allein in vier und mehr Zimmern, davon 600.000 sogar allein in sieben und mehr Zimmern. Manche möchten das gern, aber bei vielen hat es sich so ergeben, weil die Kinder auszogen und der Partner starb. 

Hier könnten Wohnberater Angebote machen, für jeden das Passende: Einige würden Untermieter aufnehmen, andere Einliegerwohnungen bauen, manche in kleinere Wohnungen in der Nähe umziehen. Nehmen wir an, jeder Umzug in eine kleinere Wohnung würde mit 3.000 Euro gefördert, für die Umzugskosten und als Prämie, und auch jede durch Umbau geschaffene Einliegerwohnung erhielte einen Bonus von 3.000 Euro. Dann wären die vier Milliarden des Groko-Neubauprogramms genug Geld, um vier Jahre lang jeweils über 300.000 Wohnungen durch Umzug oder durch Umbau zu schaffen, so viel wie derzeit durch den gesamten Neubau. Der aber verbraucht Fläche, während ein Umbau-und-Umzugs-Programm Wohnraum allein dadurch schafft, dass wir vorhandene Häuser beleben.

Natürlich müssten auch die Wohnberater bezahlt werden, es sei denn, die Bauämter der Städte werden zu Umbauämtern. Sie könnten außerdem Rückkehrwillige beraten, wie in manchen Kommunen bereits üblich: Orte in schrumpfenden Gegenden suchen händeringend Zuzügler oder Rückkehrer, denn es gibt dort Ausbildungsplätze, Arbeit und Wohnraum.

Bislang hört man bei der Politik zu allen Ideen, Wohnraum ohne Neubau zu schaffen, das bringe zu wenig. Dahinter verbirgt sich die Furcht, man müsse neu denken, während man nach altem Dogma hofft, mit Milliarden für Neubauten alle Probleme zu lösen. 

Wenn aber die Politik die Möglichkeiten unserer Altbauten unterschätzt, fangen wir doch einfach selbst an: So, wie viele Menschen fair, bio und regional einkaufen, um sich selbst und anderen Gutes zu tun, und so, wie viele Rad fahren, weil es fit hält und die Umwelt schont, so können wir einfach anders wohnen. 

Indem wir uns von überflüssigen Dingen befreien, Platz schaffen und Platz besser nutzen, befreit das Entrümpeln uns selbst und wir schaffen uns ein entspanntes Zuhause – aber zugleich können wir den gewonnenen Raum mit anderen teilen, zusammenrücken und dadurch Häuser und ganze Stadtviertel beleben. Nutzen wir unsere alten Wohnungen und Häuser besser, dann beleben wir auch die Städte, schaffen Wohnraum ohne Neubau und schützen so das Grün.

Die Suche nach dem persönlichen Wohnglück bedeutet keinen Abschied von der Politik, denn wie alles Persönliche hat auch der achtsame Umgang mit Raum eine politische Bedeutung. Besonders deutlich wird das im Vorschlag einer »Bürgerbeteiligung für das Nichtbauen«: Viele Bürger wehren sich bereits gegen Neubau an ihrem Ort, schließen sich zusammen im Kampf für bedrohte Wiesen und Parks. In Bayern unterschrieben fast 50.000 Menschen für ein Volksbegehren gegen Flächenfraß. 

Wie wäre es, wenn all diese engagierten Bürger nicht allein gegen Neubau kämpfen, sondern genauso engagiert Wohnraum schaffen würden ohne Neubau? In so einer Bürgerbeteiligung würden alle in ihren Wohnungen und Häusern Platz schaffen, jeder nach seinen Wünschen und Möglichkeiten; der eine nimmt Untermieter auf, andere trennen eine Einliegerwohnung ab, wieder andere ziehen in kleinere Wohnungen in der Nähe.

Diese persönlichen Entscheidungen wären das Gegenangebot zur politischen Forderung, dass Politik und Verwaltung ihre Neubaupläne zurückziehen. Sie sollen stattdessen durch Wohnberater dabei helfen, dass jeder seine Wohnwünsche entfaltet. Professionelle Moderation und politische Gegenleistung gehören zur »Bürgerbeteiligung für das Nichtbauen«, genauso wie Fördergeld für Umzug und Umbau. Und doch schaffen in diesem Modell die Bürger selbst Wohnraum: Die Wohnungsfrage löst sich nicht mit milliardenschweren Neubauprogrammen, wir selbst können sie lösen.

Daniel Fuhrhop ist Betriebswirt und war Architekturverleger, wurde aber dem Neubau gegenüber immer kritischer und schrieb nach dem Verkauf seines Verlags das Buch »Verbietet das Bauen!« (2015). Soeben erschien sein Ratgeber »Einfach anders wohnen«, oekom Verlag, 128 Seiten, 14 Euro.

Geschrieben von:

Daniel Fuhrhop

Autor und Betriebswirt

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