Wirtschaft
anders denken.

Was kostet Straßenverkehr die Allgemeinheit? Der OXI-Überblick

10.11.2017
CHK46, Lizenz: CC BY-SA 3.0

Eine Studie rechnet vor, wie hoch die gesellschaftlichen Kosten für den Straßenverkehr sind: Mindestens 60 Milliarden Euro jährlich kosten Investitionen und Unfallfolgen, die Naturschäden noch nicht einmal eingerechnet. Steuern und Maut bringen dagegen nur etwa 22 Milliarden Euro ein.

Man kann darüber streiten, ob ein Vergleich der Kosten verschiedener Verkehrssysteme der richtige Weg ist, mobilitätspolitische Alternativen zu diskutieren. Immerhin könnte man ja auch auf die Idee kommen, verschiedene Fortbewegungsarten und Transportweisen nach Maßstäben zu bewerten, die nicht in Euro gezählt werden, sondern in Lebensqualität, gesellschaftlichem Nutzen und dergleichen sich ausdrücken müssten.

Aber man kommt mit Kostenvergleichen zumindest ein paar Schritte weiter. Zum Beispiel helfen sie gegen eingeübte Denkweisen, falsche »Wahrheiten« und ökonomische Irrationalitäten. Eine Studie eines Lobbyverbandes privater  Eisenbahnunternehmen hat jetzt eine Studie zu den »Kosten der Verkehrsträger im Vergleich« vorlegen lassen, der Berliner Experte Christian Böttger hat sie erstellt – und er kommt zu dem Ergebnis: Der Straßenverkehr kostet jährlich mindestens 60 Milliarden Euro, die direkten Einnahmen aus Energiesteuern und Maut liegen dagegen nur bei rund 22 Milliarden Euro.

Studie über teuren Straßenverkehr im Auftrag von Eisenbahnunternehmen

Böttger rechnet hier im Auftrag von Eisenbahnunternehmen, das muss gesagt werden. Es geht also auch darum, Nachteile der Schiene unter dem Aspekt des »freien Wettbewerbs« auszuloten; die Studie zeigt unter anderem »intransparente staatliche Unterstützungen und die Nicht-Anlastung von Kosten« auch für Flugzeug, Binnenschiff und Fernbus auf. Er nimmt aber zugleich auch eine Art Auftrag der Monopolkommission war, die in einem Gutachten zum Bahnwettbewerb kritisiert hatte, dass keine guten Daten zum Vergleich der Kosten und Erlösen verschiedener Verkehrssysteme vorliegen, also etwa zu Schiene und Straße.

Der Professor von der HTW Berlin hat nun einerseits »sämtliche Zahlungen an die Verkehrsträger, darunter auch die Entlastungen durch Nicht-Besteuerung bestimmter Sach­ver­halte« zusammengetragen und »soweit möglich, die tatsächlichen Kosten und Kostenvorteile« berechnet.

Im Detail kommt Böttger zu folgendem Ergebnis: »Für Investitionen und Betrieb der Stra­ßeninfrastruktur werden jährlich in Deutschland etwa 30 Milliarden Euro aufgewandt. Hinzu kommen weitere 30 Milliarden Euro für die Verkehrspolizei und zahlungswirksame Unfallfolgekosten.« Diese unterzog Böttger »einer vertieften Recherche« – und rechnet vor, »dass in großem Umfang«, laut der Studie rund 17,5 Milliarden Euro, »zahlungswirksame Unfallfolgekosten über Sozial­ver­sicherung oder Sozialhilfe von der Allgemeinheit getragen werden«.

Hinzu kämen »die schwer zu ermittelnden nicht zahlungswirksamen Kosten, vor allem weitere Unfallfolgekosten in Höhe von 27 Milliarden Euro und Umweltschäden in einer Mindesthöhe von 7,5 Milliarden Euro«, die Böttger zu den 60 Milliarden Euro noch gar nicht dazugerechnet hat. Was die Einnahmen angeht, liegt der Straßenverkehr mit Energiesteuern und LKW-Maut nur bei etwa 22 Milliarden Euro.

»Durch unfaire Wett­be­werbsbedingungen wird letztlich auch die angestrebte Verlagerung von Verkehren auf die Schiene behindert«, so kommentiert Ludolf Kerkeling, Vorstandschef des Netzwerks Europäischer Eisenbahnen, die Ergebnisse. »Vor allem die geringen Kosten für Unfälle und Umweltbelastungen der Schiene kommen heute im Markt nicht zum Tragen.« Um zu dem anfangs Gesagten noch einmal zurückzukehren: Würden sich weniger Unfälle und bessere Umweltwirkung nicht in Euro ausdrücken lassen, also »marktfähig« werden, blieben es immer noch gesellschaftlichen Vorteile.

»Eine vernichtende Bilanz des Individualverkehrs«

Übrigens: Bemühungen, sich über einen ehrlichen Vergleich der gesellschaftlichen Kosten verschiedener Verkehrsträger die Grundlage für politischen Eingriff, für Steuerung, für Alternativen zu verschaffen, gab es auch früher schon. 1987 schrieb der »Spiegel« über Winfried Wolfs »Eisenbahn und Autowahn«, in dem Buch werde »eine vernichtende Bilanz des Individualverkehrs« geliefert. Wolf »widerlegt die gut genährte Mär, daß der Transport von Menschen und Gütern über Straßen die ökonomisch überlegene Technologie ist.«

Es ging auch damals schon darum, nicht nur gegen die individuelle Verdrängung der Autokosten (Abschreibungen, Reparaturaufwand) Aufklärung zu betreiben, sondern auch gegen die kollektive Verdrängung. Der »Spiegel« damals: »Die Gesellschaft vermeidet es offenkundig, sich über die Kosten des Autoverkehrs, die materiell bezifferbaren und die nicht oder kaum quantifizierbaren, Rechenschaft abzulegen.« Dabei gehe es auch um den von Lobbyinteressen gefütterten Mythos, der Straßenverkehr finanziere sich durch Steuern der Autofahrer quasi selbst. Damals gab es noch keine Maut.

Auch später wurden immer wieder Studien vorgelegt, etwa 2004 von den Forschungsinstituten IWW und Infras, in der es heißt, 130 Milliarden Euro Gesundheits- und Umweltkosten wälzen LKW- und Autofahrer in Deutschland Jahr für Jahr auf die Gesellschaft und auf nachfolgende Generationen ab. Diese Expertise wurde im Auftrag des Internationalen Eisenbahnverbandes UIC und der Gemeinschaft der Europäischen Bahnen und Infrastrukturgesellschaften CER erstellt, die Allianz pro Schiene machte damals damit öffentlich gegen den Straßenverkehr mobil.

IW Köln 2010: externe Kosten des Straßenverkehrs sind rückläufig

Das unternehmensnahe Institut der Deutschen Wirtschaft veröffentlichte 2010 eine Untersuchung über die externen Kosten des Straßenverkehrs – und bezifferte diese darin als »rückläufig. Zwischen den Jahren 2005 und 2010 kam es im oben beschriebenen Rahmen zu einem Rückgang der externen Kosten von etwas über 15 Prozent oder 5,4 Milliarden Euro in Preisen von 2010. Der größte Rückgang ist bei den Luftverschmutzungskosten zu verzeichnen, die fast 30 Prozent gefallen sind. Auch die Unfallkosten sanken erheblich, um etwas mehr als 17 Prozent. Zu kleineren Rückgängen kam es bei den Klimakosten und den Kosten der vor- und nachgelagerten Prozesse. Einen Anstieg verzeichneten die Subventionen, die gegenüber 2005 um fast 10 Prozent angestiegen sind.« Lärmkosten sowie der Ansatz für Natur- und Landschaftsverbrauch seien gleich geblieben.

Und 2013 sorgte eine Studie der TU Dresden für Schlagzeilen und Debatten, darin hatte Udo Becker vorgerechnet, dass die Autofahrer in der Bundesrepublik jährlich Kosten von 88 Milliarden Euro verursachen, die von der Allgemeinheit getragen werden müssen. Der Verkehrsökologe damals im O-Ton: »Je Pkw liegen die nicht bezahlten Kosten bei ungefähr 2.100 Euro pro Jahr.«

Zum Weiterlesen:

Udo Becker: Externe Autokosten in der EU-27. Ein Überblick über existierende Studien

Universität Kassel: Was kosten Radverkehr, Fußverkehr, öffentlicher Personennahverkehr und Kfz-Verkehr eine Kommune?

VCD und ICLEI: Versteckte Kosten des städtischen Autoverkehrs. Öffentliche Gelder für den privaten Verkehr

Geschrieben von:

OXI Redaktion

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