Was Landwirte wählen
Rechte Symbole beim Bauernprotest, Ökoagrarier für die grüne Wende: Was wissen wir eigentlich über das Wahlverhalten von Landwirten und warum ist das so? Ein kurzer Überblick.
Der Januar ist eine Art bauernpolitischer Monat geworden; rund um Grüne Woche und »Wir haben es satt«-Proteste dreht sich seit einigen Jahren viel um Agrarbusiness, Ökologie und Richtungsfragen der Landwirtschaft. Nicht erst das Auftauchen von Transparenten bei Nürnberger Agrarprotesten, die sonst in rechtsradikalen Kreisen gern verwendet werden, hat die Frage nach der politischen Orientierung von Landwirten aufgeworfen.
Unter Überschriften wie »Bauer sucht Partei« wird auf die wachsende »Kluft zwischen den Landwirten und der CDU« verwiesen, die traditionell die politische Heimat der Landwirte war. »Jetzt wittern FDP und AfD ihre Chance«, hieß es unlängst in der FAZ. Aus der Initiative »Land schafft Verbindung«, welche die große Traktor-Demo in Berlin als Gegendemonstration zur Initiative »Wir haben es satt« initiiert hat, heißt es via »Tagesspiegel« warnend, eine aus ihrer Sicht verfehlte Landwirtschaftspolitik werde rechte Kräfte stärken: »Auch ein Teil der Bauern wird sich dann radikalisieren.«
Solche Töne sind nicht neu, in der Literatur über Agrarpolitik, Landwirtschaft und ländliche Gesellschaft finden sich auch schon vor Jahrzehnten Hinweise darauf, wie mit der Warnung, Bauern könnten sich von der Union abwenden, versucht wurde, Druck auf Parteien und deren Kurs in der Landwirtschaftsfrage auszuüben. Der von diesen mitgestaltete »Agrarkorporatismus« stand schon ab 1957 unter dem Eindruck der Europäisierung der Agrarpolitik. Die Politik schwankte dabei schon immer »zwischen Agrarprotektionismus und Modernisierungszwang«, unter Bedingungen von Klimakrise und Umweltproblemen führt das erst recht zu neuen Ausdifferenzierungen – Berlin sah dieser Tage eben zwei »Bauernproteste«, einmal mitgetragen von Verfechtern der konventionellen Landwirtschaft, das andere Mal von Ökobauern.
Dabei wirkt die historisch gewachsene »Verflechtung von agrarischem Interventionsstaat, landwirtschaftlicher Interessenvertretung und dem konservativen bis nationalen politischen Spektrum« immer noch stark. Innerhalb der Bauernschaft hatte die NSDAP Anfang der 1930er Jahre starken Rückhalt gewonnen. Nach dem Weltkrieg habe die Agrarpolitik »eine entscheidende Rolle für die erfolgreiche Eingliederung der Bauern in die bundesdeutsche Gesellschaft« gespielt, damals war man sich »vielfältiger politischer Gefahren« bewusst, eine davon: »Bauern als Wählerpotenzial an das rechtsextreme Spektrum zu verlieren«. Zugleich wurde eben diese Agrarpolitik auch zum Treibstoff der Wiederauflösung der engen wahlpolitischen Bindung von Landwirten an die Union. Und das nicht erst in den vergangenen Jahren.
In einer Analyse der Bundestagswahlen 1987, in deren Vorfeld es zahlreiche Bauernproteste wegen der Agrarpolitik gegeben hatte, werden die Verluste der Union (um 4,5 Prozent auf 44,3 Prozent) vor allem auf Einbußen in ländlichen, stark landwirtschaftlich geprägten Regionen zurückgeführt. Bei Landwirten kämen mehrere der prägenden Cleavages, also traditionellen Konfliktstrukturen zusammen, hieß es schon damals: der Stadt-Land-Konflikt, der Zentrum-Peripherie-Konflikt, konfessionelle Trennungslinien, Klassenfragen und nicht zuletzt »der ökologische Konflikt, der in den letzten Jahren« hinzugekommen sei »und in dem Gegensatz zwischen dem Vorrang für ökologische Politik oder für ökonomisch-technologisches Wachstum begründet ist«.
In den Zahlen von damals zeigt sich die starke Präferenz von Landwirten für die Union, wenn man von einer wachsenden Kluft sprechen will, so dann von einer, die von sehr hohem Niveau der Bindung ausgeht. Landwirte neigten seinerzeit zu 87 Prozent zu CDU und CSU, in der Gesamtbevölkerung lag dieser Wert bei gut 50 Prozent. Andere Parteien spielten in der Bauernschaft praktisch keine Rolle: SPD 7 Prozent, FDP 4 Prozent, Grüne 2 Prozent.
Schaut man sich die Zahlen nachfolgender Bundestagswahlen an, sofern solche für das Wahlverhalten von Landwirten vorliegen, bestätigt sich das Bild: sehr hohe Stimmanteile für die Union, unerhebliche Anteile für die anderen Parteien. Die Zahlen liegen unter denen der Parteienpräferenz von 1987, bei denen nur die »Neigung« abgefragt wird, das letztendliche Abstimmungsverhalten wird dann noch von taktischen oder anderen Faktoren beeinflusst.
Bei den Bundestagswahlen 1994 kamen CDU und CSU unter Landwirten auf 64 Prozent, in den folgenden Abstimmungen oszillierte er um einen Wert von 65 Prozent, 2013 waren es 74 Prozent, 2017 dann »nur noch« 61 Prozent. Hier dürften aber nicht nur agrarpolitischen Fragen durchgeschlagen haben, sondern es zeigt sich in diesem Rückgang ein genereller Trend der Ablösung alter Parteibindungen, die Wandlung des Parteiensystems, die Bedeutung bestimmter gesellschaftspolitischer Richtungsfragen und so weiter.
Das wiederum lässt sich gut an den Werten für andere Parteien zeigen: Die SPD zum Beispiel kam unter Landwirten bei den Bundestagswahlen 1994 noch auf 14 Prozent, 2017 waren es nur noch 5 Prozent. Auf der anderen Seite legte die FDP, die 2013 noch auf 6 Prozent unter Landwirten gekommen war, 2017 um 8 Punkte auf 14 Prozent zu. Die rechtsradikale AfD, die 2013 unter Landwirten noch mit 1 Prozent unter ferner lief, erreichte 2017 einen Anteil von 8 Prozent. Und die Grünen, auch diesen Entwicklungsstrang gibt es, kamen 2017 immerhin auf 5 Prozent, 1994 waren es auch schon einmal 4 Prozent, danach aber (1998 bis 2005) nur auf Werte um 2 Prozent. Also: Ausdifferenzierung.
Im Dezember 2016 ergab eine Umfrage, dass sich 79 Prozent der Landwirte derzeit von der Politik schlecht vertreten fühlten. Die wichtigsten Gründe laut »Topagrar«: Die Politik stehe nicht hinter den Landwirten. Das kann aber je nach eigenem Wollen ganz unterschiedliche Ausprägungen haben.
Blickt man auf die jüngsten Landtagswahlen, ergibt sich ein geteiltes Bild. In Thüringen erreichte die Linkspartei bei der Abstimmung im Oktober 2019 unter Landwirten einen Stimmenanteil von 31 Prozent – das entspricht dem Wert des Gesamtergebnisses. Die AfD schnitt hier schlechter als in der Gesamtbevölkerung ab (18 Prozent), die CDU lag mit 24 Prozent bei den Bauern über ihrem Gesamtergebnis. Die SPD erreichte mit 14 Prozent unter Landwirten einen fast doppelt so hohen Wert wie landesweit. Grüne (4) und FDP (1) spielten unter Landwirten praktisch keine Rolle.
In Brandenburg war wenige Wochen zuvor die SPD unter Landwirten mit 34 Prozent stärkste Partei geworden. » Auf dem zweiten Platz bei den Landwirten in Brandenburg rangieren CDU und Linke mit jeweils 18 Prozent, gefolgt von der AfD mit 14 Prozent und den Freien Wählern mit 9 Prozent. Die FDP kam bei den Bauern auf 3 Prozent. Für die Grünen stimmten nur 2 Prozent der brandenburgischen Bauern«, heißt es hier bei »Agrarheute«.
In Sachsen kam die AfD mit 34 Prozent auf die größte Zustimmung unter Bauern. »Ein Drittel machte ihr Kreuz bei der CDU. Auf Platz drei folgt die Linke mit einem Stimmenanteil von 9 Prozent, die FDP erreichte 8 Prozent und die SPD 7 Prozent.« Die Grünen schnitten mit 2 Prozent bei den Bauern am schlechtesten ab. Die Zahlen für alle drei Landtagswahlen deuten auf sehr landesspezifische Gründe, auf die Rolle von Personen und auf Amtsinhaber-Effekte hin.
Das Umfrageinstitut Forsa hat jetzt noch Zahlen zu den Unterschieden der Wahlposition zwischen kleinen und großen Gemeinden vorgelegt – allerdings nur für Union und Grüne, die beiden gegenwärtig dominierenden Formationen. »Bei einer Bundestagswahl läge die Union in Gemeinden unter 5.000 Einwohnern bei 32 Prozent, die Grünen würden von 18 Prozent gewählt. In Großstädten über einer halben Million Einwohner würden 23 Prozent CDU oder CSU wählen und 27 Prozent die Grünen«, heißt es da. Forsa-Chef Manfred Güllner sieht hier die »zunehmende Kluft zwischen Stadt und Land« durchschlagen. Die mag auch etwas mit agrarpolitischen Fragen zu tun haben – aber eben nicht nur.
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