Wirtschaft
anders denken.

Was sich da sammelt: #fairLand als Motto, elf Ziele und keine neue Partei. Ein OXI-Überblick

18.05.2018
Foto: Punktional, gemeinfrei

Die »Sammlungsbewegung« macht wieder Schlagzeilen. Es geht um ein Papier, das elf Ziele unter der Überschrift #fairLand markiert. Es handele sich »um einen von mehreren Texten«. Was da drin steht? Wir haben einen ersten Überblick.

Einiges war schon von der »Sammlungsbewegung« die Rede, für Kontroversen vor allem in der Linkspartei hat der Vorstoß auch schon gesorgt. Wird das Projekt, von Sahra Wagenknecht und Oskar Lafontaine beworben, nun tatsächlich in Gang gesetzt? Und wohin geht die Reise? Spiegel online berichtet über ein »entsprechendes Papier aus dem Umfeld der Gruppe«, es handele sich »um einen von mehreren Texten aus dem engeren Kreis der künftigen Bewegung, an denen derzeit noch final gefeilt wird«. Zu den dort erhobenen Forderungen heißt es, diese seien »in vielerlei Hinsicht klassisches Linken-Programm«, worauf eine Aufzählung einiger Schlagworte folgt: Abrüstung, Entspannung, Umverteilung von Arbeit, Sozialstaat, der Armut verhindert, Rücknahme von Privatisierungen, gerechte Steuern.

Mit Blick auf andere Begriffe wird sodann formuliert, dass es »offensichtlich« sei, »dass der Text auch die Wähler rechter Parteien ansprechen soll«. Hier nennt Spiegel online dann die Ausstattung von Polizei und Justiz und die knappe Anmerkung des Papiers zur Migrationspolitik, die man als Schwerpunktsetzung in Richtung Bekämpfung Fluchtursachen lesen kann. Zudem weist der Stichpunkt »europäisches Deutschland« das Ziel der »Wahrung kultureller Eigenständigkeit« und den »Respekt vor Tradition und Identität« aus, begründet das Portal seine Einordnung.

Was man darin nicht findet

Interessant an dem Papier ist zunächst, was man darin nicht findet: Bei einer sehr skeptischen Beschreibung der politischen und ökonomischen Lage wird in der oxiblog.de vorliegenden Fassung praktisch kaum über den grassierenden Rechtsruck gesprochen. (Hier gibt es inzwischen eine Version des Papiers als PDF.) »Die Flüchtlingskrise hat in Deutschland zu großer Verunsicherung geführt. Wir lehnen Rassismus und Ausländerfeindlichkeit ab«, heißt es da lediglich. »Aber wir halten die Art und Weise, wie die Regierung Merkel mit den Herausforderungen umgegangen ist, für unehrlich und inakzeptabel.« An anderer Stelle wird auf die Konkurrenz der Ärmsten um gespendete Lebensmittel verwiesen. »Bis heute werden Städte, Gemeinden und ehrenamtliche Helfer weitgehend allein gelassen. Viele bereits zuvor vorhandene Probleme wie der Mangel an Sozialwohnungen, überforderte Schulen oder fehlende Kita-Plätze haben sich weiter verschärft. Am Ende leiden vor allem die ohnehin Benachteiligten«, so das Papier, welches dann noch auf die eine Integration erschwerenden »Hassprediger eines radikalisierten Islam« zu sprechen kommt. Die AfD kommt in dem Text nicht vor.

Wirtschaftspolitisch, das lässt bereits der Titel »Für ein gerechtes und friedliches Land« erahnen, geht es den in der nun kursierenden Fassung des Papiers nicht genannten Autoren um »eine vernünftige Politik«, die »den sozialen Zusammenhalt wiederherstellen und den Sozialstaat erneuern« könne. Dafür sieht man politische Spielräume »in einzelnen Ländern«, die »auch heute noch weit größer« seien »als uns eingeredet wird«. Dies gelte »vor allem für ein so wohlhabendes und bevölkerungsreiches Land wie Deutschland«. Politik könne »die Bürger vor dem globalen Finanzkapitalismus und einem entfesselten Dumpingwettbewerb schützen«. Man sei »überzeugt, dass der berühmte Ökonom John Maynard Keynes auch heute noch recht hat: ›Ideen, Kunst, Wissen, Gastfreundschaft und Reisen sollten international sein. Dagegen sollten Waren lokal erzeugt werden, wo immer dies vernünftig möglich ist; vor allem aber die Finanzen sollten weitgehend im nationalen Kontext verbleiben.‹«

Die Frage nach der Räumlichkeit linker Politik

Hier wird eine der etwas grundlegenderen Kontroversen in der gesellschaftlichen Linken angesprochen: die Frage nach der Räumlichkeit von Politik, die Frage, ob und wie soziale Integration in Zeiten globaler kapitalistischer Verhältnisse und der so weltgesellschaftlich gewordenen Probleme vor allem auf nationalstaatlicher Ebene beantwortet werden kann. Das wird vielfach auch sehr skeptisch gesehen, nicht nur, weil damit politische Adressierungen verbunden sind, die zu exklusiven Schlussfolgerungen führen – etwa in Sachen »offene Grenzen« oder beim Thema Sozialstaatlichkeit, Lohnkampf, Einhegung kapitalistischer Interessen.

Und es ist auch eine Frage der Historizität wohlfahrtsstaatlicher Politikerfolge. Ohne das Wort von den »guten alten sozialdemokratischen Zeiten« zu strapazieren, wäre doch aber zumindest die Frage zu beantworten, ob die zentralen Ressourcen »für eine Moderation struktureller Ungleichheiten« (Oliver Nachtwey), für das, was manche schon eine wohlfahrtsstaatliche Ausnahmeperiode der Nachkriegszeit nennen, in der »bei steigender Produktivität Beschäftigung und gesellschaftliche Integration durch sozialen Aufstieg ermöglicht wurden«, heute noch bestehen. Und ob, das tritt hinzu, bei kritischer Kenntnis der ökologischen, klimapolitischen und die Ressourcen betreffenden Folgen, wieder und überhaupt noch an eine Strategie deutlichen Wachstums angeknüpft werden sollte.

Keynes-Zitat, Lexit-Kontroverse, Europa

Innerhalb der Linkspartei wirkte dieser Grunddissens unter anderem bereits als Keil in der europapolitischen Debatte, in der die einen eine grundsätzliche Reformierbarkeit der EU bestreiten. Die Formulierung »vor allem aber die Finanzen sollten weitgehend im nationalen Kontext verbleiben« im Keynes-Zitat lässt sich auch als Verweis auf eine bestimmte Positionierung in der Debatte darüber lesen, ob es eine fortschrittliche Option eines Euro-Austritt gibt, etwas, das unter dem Stichwort »Lexit« bereits kontrovers diskutiert wurde.

»Vor allem Großunternehmen profitieren von Globalisierung, Freihandel, Privatisierung und EU-Binnenmarkt«, so das Papier, das Versprechen »Europa« habe sich zwar »für viele Wohlhabende« erfüllt, nicht aber für Mehrheiten. Hier wird vor allem auf die sozialen, materiellen Belange abgestellt, »wer hoch qualifiziert und mobil ist, kann die neuen Freiheiten genießen. Im Gegensatz dazu hat knapp die Hälfte der deutschen Bevölkerung heute weniger Einkommen als Ende der neunziger Jahre. Für nicht wenige bedeuten innereuropäische Freizügigkeit und Zuwanderung vor allem: mehr Konkurrenz um schlecht bezahlte Arbeitsplätze.« In einer der elf aufgelisteten kurzen Forderungen wird zudem darauf gedrängt, hierzulande »die Abhängigkeit von Exportüberschüssen« zu überwinden.

Die Vorbilder des erhofften Aufbruchs

Wie auch Spiegel online berichtet, ist das Papier mit »#fairLand« überschrieben. Der Hashtag soll sicher nicht bloß eine gewisse Modernität signalisieren, sondern auch praktisch die Mobilisierung im Internet unterstützen. Es gebe »in der Bevölkerung Mehrheiten für eine andere Politik: für Abrüstung, höhere Löhne, bessere Renten, gerechte Steuern, mehr Sicherheit«. Aber, so heißt es weiter, »es gibt keine mehrheitsfähige Parteienkoalition, die für eine solche Politik steht«. Direkt angesprochen werden SPD (»verwechselbarer geworden«) und Grüne (»bemühen sich vor allem um ein Bündnis mit der Union«) – auf eine rot-rot-grüne Option wird hier also nicht gesetzt, dafür aber auf europäische Vorbilder: »In anderen europäischen Ländern sind aus dem Niedergang der etablierten Parteien neue Bewegungen entstanden, die die Politik verändert haben.«

Wer die Debatte verfolgt hat, wird hier an Jean-Luc Melenchons »la France Insoumise« denken, eventuell auch an Podemos oder Jeremy Corbyns Vorfeldakteure von »Momentum« in Großbritannien, auf die sich Protagonisten wie Lafontaine oder Wagenknecht oft bezogen haben. »Wir gehören unterschiedlichen Parteien an oder sind parteilos. Aber #fairLand ist keine Mixtur verschiedener Parteien und schon gar keine neue Partei. #fairLand ist eine überparteiliche Bewegung, in die jeder, der ihre Ziele unterstützt, sich einbringen kann. Weil die Probleme sich auf den eingefahrenen Gleisen nicht mehr lösen lassen, bedarf es eines neuen Aufbruchs«, heißt es in dem Papier.

In der Linkspartei wird nicht bestritten, dass eine solidarische Gegenperspektive aktuell blockiert ist. Umstritten ist jedoch, wie man diese Blockade auflöst, mit wem und wie. Das ist sozusagen die taktische Ebene. Eine politische Ebene des Raums kommt hinzu, hier stehen sich mehr oder minder inklusive und exklusive Politikansätze gegenüber, also eher nationalstaatlich gedachte und eher transnationale Ansätze.

Eine Bewegung, die Parteien bewegen soll

Auf einer strategischen Ebene, die in den Debatten hin und wieder durchscheint, ginge es um die Frage, wie der »stumme Zwang« der ökonomischen Verhältnisse, der Veränderung erschwert, überwunden werden kann. Das Papier denkt hier eher politizistisch: »Glaubwürdige Politik muss das Rückgrat haben, Konflikte mit mächtigen Interessengruppen, etwa der Finanzwirtschaft oder den Superreichen, durchzustehen«, heißt es da. Hiervon leitet sich das Ziel der angedachten »Bewegung« ab – diese soll durch »Stärke und Resonanz« schaffen, »was die Wirtschaftslobbys durch Geld erreichen«, nämlich »die Parteien« dazu zwingen, »unseren Interessen Rechnung zu tragen«.

Das ist ein Motiv, das direkt zu Lafontaine führt, der in mehreren Interviews der letzten Zeit erklärt hat, die Neugründung der Linkspartei habe vor allem den Zweck gehabt, auf die SPD einzuwirken. Es sei darum gegangen, so der Saarländer Anfang des Jahres, »die Sozialdemokraten zu zwingen, wieder eine sozialere Politik zu machen. Einen stärkeren Sozialabbau hat sich die jeweilige Bundesregierung seit unserem Einzug ins Parlament nicht mehr getraut. Aber das Ziel, die Sozialdemokratie zu einer Kurskorrektur zu bringen, wurde nicht erreicht.« Gegenüber Spiegel online sagte er nun, »wenn wir aber so weitermachen wie bisher, werden wir unsere politischen Ziele nicht erreichen«.

Skepsis ist hierzu bereits mehrfach geäußert worden. Diese betrifft unter anderem die bereits eher ablehnenden Äußerungen von Akteuren aus dem linken Spektrum von SPD und Grünen; vor allem aber die Frage, ob eine »Bewegung« sozusagen »von oben« gegründet werden könne. Sie betrifft aber auch das Selbstverständnis derer in der Linkspartei, die sich weniger als SPD-Korrektiv denn als eigenständige demokrtatisch-sozialistische Organisierung betrachteten.

Elf Ziele und einige Fragen

Am Ende des Papiers werden elf Ziele formuliert, das erste enthält die Forderung, »zur Friedenspolitik Willy Brandts« zurückzukehren, wobei als Kernpunkte genannt sind: »Abrüstung, Entspannung und eine eigenständige Politik, die europäische Interessen in den Mittelpunkt stellt«. Dies wirft die Frage auf, was diese europäischen Interessen sind und wie sie sich zum Beispiel gegenüber den weltgesellschaftlichen Interessen verhalten. Der zweite Punkt zielt auf »sichere Arbeitsplätze und gute Löhne in einer innovativen Wirtschaft«, der Begriff »Digitalisierung« taucht hier auf, diese solle »zu einer Umverteilung von Arbeit führen«. In der Reihe folgen dann Ziele wie »ein erneuerter starker Sozialstaat, der Armut verhindert«, »Privatisierungen stoppen und zurücknehmen«, unter anderem »für bezahlbares Wohnen«, »gerechte Steuern«, »exzellente Bildung für alle«, »Demokratie wiederherstellen«, »Sicherheit im Alltag« und »ein europäisches Deutschland in einem geeinten Europa souveräner Demokratien«.

Mit dem Souveränitätsbegriff nimmt das Papier eine bestimmte, auch mit Blick auf die Haltung zur EU kontrovers in der erweiterten Linken debattierte Stoßrichtung ein. Niemand solle »den einzelnen Ländern vorschreiben, wie sie ihre Politik zu gestalten haben«. Das kann auch als Absage an eine vertiefte EU-Integration interpretiert werden, zugleich wirft es Fragen etwa danach auf, wie dann wirtschaftspolitische Koordinierung möglich sein soll, die mit Blick auf die transnationale Realität ökonomischer Verhältnisse nötig ist.

Migrationspolitisch zielt das Papier auf das Recht auf Asyl für Verfolgte und die Bekämpfung von Fluchtursachen (»Waffenexporte in Spannungsgebiete stoppen und unfaire Handelspraktiken beenden, Armut vor Ort bekämpfen«). Der Punkt dürfte vor dem Hintergrund der aktuellen Debatten über Migrationspolitik in der Linkspartei  Aufmerksamkeit erhalten – siehe unter anderem hier. Dann wird sicher auch erneut diskutiert werden, ob Migration als rein ökonomischer Vorgang betrachtet werden kann, oder es nicht auch einen Eigensinn von globaler Mobilität gibt, also Bewegungsfreiheit für sich genommen ein Ziel progressiver Politik sein müsste. Und auch, welche Strategien man verfolgt, solange die benannten Fluchtursachen nicht behoben sind.

Das elfte Ziel in dem Papier fordert »naturverträglich Wirtschaften«. Auch hierin liegt die Frage, ob und wie man damit eher weltgesellschaftlich umgehen müsste. Dass wir es mit einer Mehrfachkrise zu tun haben, angesichts derer eine bundesdeutsche Linken sich nicht vor der Rechnung der globalen Externalisierungskosten kapitalistischer Entwicklung im globalen Norden zu Lasen des globalen Südens (Stephan Lessenich) drücken kann, kommt noch hinzu.

Geschrieben von:

Tom Strohschneider

Journalist

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