Wirtschaft
anders denken.

Was tun gegen Mietenwahnsinn? Vier Vorschläge von Andrej Holm

25.04.2018
Wonho Sung/Unsplash

Wohnen ist ein Grundrecht und sollte nicht länger den kalkulatorischen Prinzipien der Immobilienwirtschaft untergeordnet werden. Und die Stadt von morgen ist keine ab­strakte Utopie, sondern eine erkämpfte Alltagserfahrung. Vier Vorschläge gegen den Mietenwahnsinn von Andrej Holm.

Die Mieten steigen und die Verwertungsökonomie der Immobilienwirtschaft hat viele Städte fest im Griff. Bundesregierung und Kommunen reagieren mit halbherzigen Programmen und unzureichenden Instrumenten. Das Mantra vom »Bauen, Bauen, Bauen« hat seine Überzeugungskraft verloren, seit selbst konservative Stadtverwaltungen realisiert haben, dass vor allem in teure Mietwohnungen und Wohneigentum investiert wird. 

Soziale Wohnungsversorgung setzt dauerhaft gebundene Wohnungen zu leistbaren Mieten voraus. Wer auch Haushalte mit geringen Einkommen mit anständigen Wohnungen versorgen will, muss unterdurchschnittliche Mieten durchsetzen. Das ist mit privaten Bauträgern, die aus der Kapitallogik heraus immer eine mindestens durchschnittliche Verzinsung des eingesetzten Eigenkapitals erwarten, nicht zu machen. Aber wie sonst?

Erstens: Soziales Wohnen muss gegen private Verwertungsinteressen durchgesetzt werden

Ob Angebots-Nachfrage-Theorien zur Preisbildung, Kostenmietkalkulationen oder Strategien zur Optimierung der Ertragslage, die immobilienwirtschaftlichen Grundsätze selbst belegen die soziale Blindheit einer marktförmigen Wohnungswirtschaft. Gebaut werden Häuser nicht zum Wohnen, sondern für die Rendite. Doch eine soziale Stadt- und Wohnungspolitik muss die Logik der Bauwirtschaft umkehren und zuerst fragen, welche Wohnungen zu welchen Preisen gebraucht werden und welchen gesellschaftlichen Mehrwert die Gemeinschaft von Bau- und Stadtentwicklungsprojekten erwartet. 

Eine solche Priorisierung der Gebrauchswerte über die Tauschwerte muss mit den gängigen Marktlogiken brechen. Schon jetzt muss jeder gesellschaftliche Mehrwert über rechtliche Auflagen, Verordnungen und Förderprogramme mühsam gegen zumeist private Eigentümerinnen und Eigentümer durchgesetzt werden. 

Die Erfahrungen aus Milieuschutzgebieten und die Diskussionen über die Mietpreisbremse zeigen: Behördliche Verordnungen und gesetzliche Regelungen sind keine Lösungen, sondern Instrumente, die bei fehlenden Kontroll- und Sanktionspotenzialen des Staates regelmäßig umgangen werden. Jede rechtliche Regulierung ist nur so gut wie die Ämter, die sie durchsetzen und kontrollieren. Vor allem dort, wo hohe Ertragserwartungen locken, häufen sich die Umgehungstatbestände. 

Der Boom an Wohnungsannoncen für möblierte Wohnungen nach der Einführung der Mietpreisbremse oder auch die Praxis der Share-Deals, bei denen Grundstückübertragungen als Übernahme von Geschäftsanteilen organisiert werden, um die Grunderwerbssteuer zu sparen, sind nur Beispiele für das Hase-und-Igel-Spiel der Immobilienwirtschaft. Eine soziale Stadtpolitik setzt neben den politischen Mehrheiten für eine entsprechende gesetzliche Rahmensetzung vor allem eine sozial orientierte Verwaltungspraxis voraus.

Zweitens: Soziale Bodenordnung als Schlüssel für eine soziale Stadtentwicklung

Die steigenden Grundstückspreise werden zu Recht als zentrales Hindernis für einen preisgünstigen Wohnungsbau und als Ursache für den Verdrängungsdruck in den Großstädten angesehen. Immobilienwirtschaftlich sind Grundstückspreise nichts anderes als ein Ausdruck der Ertragserwartung. 

Eine Rationalität marktwirtschaftlicher Entscheidungen unterstellend kann davon ausgegangen werden, dass keine Grundstückspreise gezahlt werden, bei denen nicht von einer Refinanzierung durch künftige Erträge ausgegangen wird. Zwischen 2009 bis 2017 sind die Umsätze von Immobilientransaktionen bundesweit von 13,4 Milliarden auf über 70 Milliarden Euro gestiegen. 

Diese Investition in Titel statt in Steine treibt auch die Kosten für das Wohnen in die Höhe. Jedes Stück Stadt hat ein Preisschild und der Preis wird fällig, wenn das Grundstück verkauft wird. In der Summe der letzten Jahre wurden mehr Gelder in den Erwerb von Eigentumstiteln investiert als in Bauleistungen. Mieterinnen und Mieter zahlen letztendlich nicht nur für die Bausubstanz, sondern eben auch für Grundrente. 

Die oft spekulativ getriebenen Bodenpreissteigerungen stehen einer sozialen Stadtentwicklung entgegen und ermöglichen für wenige enorme Gewinnmöglichkeiten. In wohl kaum einer Konstellation wird der Gegensatz von gesellschaftlichen Anforderungen und privaten Gewinninteressen so deutlich wie in der Bodenfrage. Ohne eine grundlegende Bodenreform, die Spekulationsmöglichkeiten ausschließt, wird es keine soziale Stadtentwicklung geben. Modelle wie Community Land Trusts oder auch die Praxis der Grundstücksvergabe in Erbbaurechten zeigen, dass eine gesellschaftliche Kontrolle und eine nichtspekulative Bewirtschaftung des Bodens möglich sind.

Drittens: Soziale Wohnungsversorgung ist gemeinnützig

Soziale Wohnungsversorgung setzt das Prinzip der Leistbarkeit voraus. Niemand sollte für das Wohnen inklusive der Betriebs- und Heizkosten mehr als 30 Prozent seines Einkommens ausgeben. Die Festlegung von »günstigen« oder »preiswerten« Mieten hilft wenig, wenn es um die Versorgung von Haushalten mit geringen Einkommen geht. 

Mietpreise um die 6 Euro pro Quadratmeter (nettokalt) sind zwar für Wohnungssuchende mit durchschnittlichen Einkommen erschwinglich – bedeuten jedoch für Alleinlebende mit einem Einkommen von 900 Euro in einer bedarfsgerechten Wohnungsgröße eine Mietkostenbelastung von weit über 40 Prozent. Trotz eines Einkommens ohne Anspruch auf Sozialleistungen und Wohngeld liegt das verfügbare Resteinkommen hier nach der Mietzahlung nur knapp über den Regelsätzen des SGB II. 

Um alle Haushalte mit leistbaren Wohnungen zu versorgen, sind allein in den Großstädten etwa zwei Millionen zusätzliche Wohnungen zu Preisen von 4 bis 5 Euro pro Quadratmeter (nettokalt) notwendig. Klar ist, dass solche Mieten von privaten und gewinn­orientiert wirtschaftenden Vermietungsgesellschaften und Wohnungsunternehmen nicht zu erwarten sind. 

Nur im Zusammenspiel von öffentlicher Verantwortung und gemeinnützigen Wohnbauträgern ist eine soziale Wohnungsversorgung für alle sicherzustellen. Unter dem Stichwort »Neue Wohnungsgemeinnützigkeit« werden steuerliche Förderungen für nichtgewinnorientierten Wohnungsbau diskutiert. Statt Jahr für Jahr der privaten Wohnungswirtschaft mit steigenden Zahlungen für Wohngeld und Kosten der Unterkunft die Erträge zu sichern und milliardenschwere Steuererleichterungen zu gewähren, sollten öffentliche Gelder für eine gemeinnützige Wohnungswirtschaft ausgegeben werden. Mit einem Jahresbudget von sechs Milliarden Euro könnten etwa 100.000 dauerhaft leistbare Wohnungen pro Jahr gebaut werden.

Viertens: Selbstverwaltung und Mietermitbestimmung

Soziales Wohnen ist nicht nur eine Frage der Miethöhe. Unterlassene Instandhaltungen, verdrängungsauslösende Modernisierungsarbeiten und schlecht erreichbare Hausverwaltungen prägen die Wohnrealitäten in vielen Städten. 

Viele Entscheidungen, die aus der wirtschaftlichen Perspektive der Wohnungsunternehmen effizient und sinnvoll erscheinen, verschlechtern die Wohnqualität zulasten der Mieterinnen und Mieter. Mehr Mitbestimmung und eine mieternahe Verwaltung wären Voraussetzungen, um das Wohnen im Sinne der Wohnenden zu gestalten. Genossenschaften, die im Interesse ihre Mitglieder entscheiden und hunderte selbstverwaltete Hausprojekte zeigen, dass Wohngebäude und ganze Siedlungen im Interesse der Nutzerinnen und Nutzer bewirtschaftet werden können. 

Ein erster Schritt wäre eine Mietrechtsreform, die den Mieterinnen und Mietern das Recht zur Wahl der Hausverwaltung einräumt. Vergleichbar mit dem Prinzip der Maklergebühren »wer bestellt, bezahlt« sollte es hier heißen: »Wer bezahlt, bestellt.« Schließlich sind es die Mieterinnen und Mieter, die im Rahmen der Betriebskosten die Kosten der Hausverwaltung tragen. In größeren Wohnungsunternehmen sollte es in Anlehnung an die Mitspracherechte von Betriebsräten und Gewerkschaften in Industrieunternehmen einen festen Sitz im Aufsichtsrat für gewählte Mietervertretungen geben. Insbesondere bei strategischen Entscheidungen zur Weiterentwicklung von Wohnungsbeständen sollte die Mitbestimmung durch die Mieterschaft vorausgesetzt werden, denn es geht ja letzten Endes um ihre Wohnungen. 

Wohnen ist ein soziales Grundrecht und sollte nicht länger den kalkulatorischen Prinzipien der Immobilienwirtschaft untergeordnet werden. Eine soziale Wohnungsversorgung und ein gesellschaftlicher Mehrwert der Stadtentwicklung sind möglich, wenn öffentliche Verantwortung und gesellschaftliche Kon­trolle an die Stelle von Marktlogik und Gewinn­optimierung treten. 

Dass eine soziale und gemeinnützige Organisation des Wohnens möglich ist, zeigen nicht nur die historische Beispiele der gemeinnützigen Wohnungswirtschaft sondern auch die vielen selbstorganisierten Alternativen der vergangenen Dekaden. Für fast alle Aspekte einer sozialen Stadtentwicklung – von der Entmarktung des Bodens über das kostengünstige Bauen und eine einkommensabhängige Mietgestaltung bis zur Mieterselbstverwaltung gibt es bereits Lösungen in der Praxis. Die Stadt von morgen ist keine abstrakte Utopie, sondern eine erkämpfte Alltagserfahrung, die zum Standard in unseren Städten entwickelt werden sollte. 

Andrej Holm ist einer der namhaftesten Kritik der herrschenden Bau- und Wohnungspolitik. Er arbeitet als Stadt- und Regionalsoziologe an der Humboldt-Universität. Derzeit berät er die Berliner Senatsverwaltung als Mitglied des »Begleitkreises zum Stadtentwicklungsplan Wohnen 2030«. 

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