Wirtschaft
anders denken.

Was Vermögen vermögen

02.02.2020
Illustration: Created by Berkah Icon and Rudez Studio from the Noun Project

Horst Kahrs setzt seine Untersuchungen über »Vermögensbildung in Arbeitnehmerhand« datenreich fort und fordert die Linke auf,  eine »Anfang der 1970er Jahre liegen gelassene Aufgabe« wieder aufzugreifen.

»Auch viele Arbeiter und Angestellte haben Wohneigentum oder setzen auf kapitalmarktgedeckte Sicherung. Horst Kahrs geht der Frage nach, wie Gesichtspunkte des Vermögensbesitzers auch in diesen sozialen Gruppen größere Handlungsrelevanz erlangen könnten.« Die beiden Sätze standen im August 2018 in diesem  Blog – als unbedingte Leseempfehlung.

Inzwischen hat Kahrs, der beim Institut für Gesellschaftsanalyse arbeitet, seine Arbeit an diesem Thema  fortgesetzt und erweitert. Herausgekommen ist dabei ein umso lesenswerteres Kompendium zur »Vermögensbildung in Arbeitnehmerhand«, das nicht nur ausführliche »Materialien zur Vermögensungleichheit, Häufigkeit von Vermögen unter Arbeitern und Angestellten und zur Beteiligung am »Produktivvermögen« enthält. Es geht auch darum, was das mit dem politischen Denken der Leute macht.

Kahrs lässt die Frage nicht – wie andere es gern tun – links liegen, »inwieweit sich Arbeiter und Angestellte selbst auch als Vermögensbesitzer sehen«, welchen »Einfluss auf Interessenbildung« das hat und also auch für linke Politik, deren Darstellung, die Strategie zu bestimmten Zielen hin und das Reden darüber.

»Insbesondere die tatsächliche oder erstrebte soziale Rolle des Geldanlegers, die nicht von der Abwendung von Abhängigkeiten und Unsicherheiten (Wohnung, Alter, Krankheit), sondern vom Renditemachen dominiert ist, verändert leicht den Blick auf gesellschaftliche Verhältnisse. Die Verbreitung von Vermögensbesitz und die Höhe des Besitzes können wichtige Faktoren der Selbstwahrnehmung von Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen in der Gesellschaft sein. Sie ist dann Bestandteil der Herausbildung von sozio-ökonomischen Interessen und Reaktionen auf politische Maßnahmen zur Regulierung des Geldkapitals und Vermögens (Vermögensteuer, Erbschaftssteuer) in bestimmten sozialen Schichten, in denen Gesichtspunkte des Vermögensbesitzers unter Arbeitern und Angestellten größere Handlungsrelevanz erlangen könnten«, so Kahrs.

Mehr noch, verweist Kahrs auf die Möglichkeit, dass »das Streben nach Vermögensaufbau und Geldanlagen zu den ›Sicherheitsstrategien‹ von Arbeiter- und Angestelltenhaushalten zählen«. Folge: »Je verbreiteter solche Strategien sind, um so bedeutsamer dürften Finanzkrisen und ihre politische Bearbeitung für Einstellungen unter Arbeitern und Angestellten sein. Es geht am Ende auch um die Frage, welche Rolle die Erfahrungen von Kleinanlegern auf den Finanzmärkten für das Erstarken rechtspopulistischer Positionen gespielt haben könnten.«

Kahrs bettet seine Überlegungen in ein etwas weiter gefasstes historisches Bild ein. Die Förderung von Vermögensbildung in Arbeitnehmerhand »zählte zu den Grundversprechen der bundesrepublikanischen ›sozialen Marktwirtschaft‹. Vor dem Hintergrund des Nationalsozialismus und der sozialen Kämpfe in der Weimarer Republik, aber auch des Aufbaus eines sozialistischen Gegenmodells in der DDR, wurden Fragen der Demokratisierung der Wirtschaft und die damit verbundenen Fragen nach der Verteilung von Eigentum und Macht bis in die 1970er Jahre hinein breit und parteiübergreifend diskutiert.« Doch das änderte sich.

Insbesondere seit den 1990er Jahren, so Kahrs, »ging es eher darum, aus Lohnabhängigen auch Geldanleger zu machen, die auf Renditen und Zinserträge schauen. Vergessen wurde darüber, dass es nicht nur der SPD, sondern auch Sozialliberalen und manchem Konservativen in der frühen Bundesrepublik immer auch um die Beteiligung am Produktivvermögen der Gesellschaft, um einen Beitrag zur Demokratisierung ging.«

Das Papier von Kahrs ist dabei nicht nur eine Erinnerung an alte Zeiten. Gedanken zur »Vermögensillusion« werden der Frage beiseite gestellt, »ob von linker Seite die Vermögensfrage nicht viel grundsätzlicher zu diskutieren« wäre »als unter den Aspekten der Ungleichheit in der Verteilung«. Kahrs plädiert dabei nicht nur, »an die früheren Debatten zur Beteiligung am Produktivvermögen als Beitrag zur Demokratisierung der Wirtschaft« anzuknüpfen »und über angemessene kollektive Formen dieser Beteiligungen« nachzudenken.

»Inwieweit sich hierbei neue Konfliktlinien nach dem Muster, die Entlassung der einen ist die Dividende der anderen, ist zu bedenken« schreibt Kahrs – und kommt noch auf »die Doppelbödigkeit von Vermögen« zu sprechen. Er zitiert Thomas Falkner, der daran erinnert hat, dass das Wort »Vermögen« im Deutschen sowohl als Substantiv und als Verb existiert. »Zum einen steht es für Reichtum, für in Geld ausdrückbaren Besitz. Zum anderen meint es die Fähigkeit, etwas zu tun, zu unternehmen, etwas zu können.«

Daran anknüpfend sieht Kahrs die »zwei Seiten« von »Vermögensbildung in Arbeitnehmerhand«, die aber dennoch zusammengehören. Einmal geht es um »die individuelle Ausstattung mit Vermögen verschiedenster Art«, also um, »Fähigkeiten, Ressourcen, Sicherheiten, die erlangen zu können in einer hochgradig arbeitsteiligen Ökonomie entsprechende gesellschaftliche Strukturen voraussetzt«. Das hat mit der zweiten Seite zu tun: »Den Lohnabhängigen, den Bürgerinnen und Bürgern zu ermöglichen, etwas zu vermögen, setzt voraus, will eine Gesellschaft nicht unter ihren zivilisatorischen Möglichkeiten bleiben, dass Wege gefunden werden, wie die Produktivitätsgewinne dem allgemeinen Wohlstand zugutekommen können.« Hierin sieht Kahrs eine »Anfang der 1970er Jahre liegen gelassene Aufgabe«, die wieder aufgegriffen »und mit Blick auf die stattfindenden technologischen Umwälzungen in der Arbeitswelt zu beantworten« wäre.

Geschrieben von:

Tom Strohschneider

Journalist

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