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Was will Jean-Luc Mélenchon?

03.12.2016
Jean-Luc Mélenchon bei einer Rede im Europaparlament.Foto: GUE/NGL / Flickr CC-BY_NC-ND 2.0 LizenzSein Grundsatzprogramm hat Jean-Luc Mélenchon im Internet erarbeiten lassen.

Bei den französischen Präsidentschaftswahlen im Frühjahr scheint ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Marine Le Pen vom rechtsextremen Front National und dem ultrakonservativen Francois Fillon ausgemachte Sache. Doch es gibt auch linke Bewerber.

Jean-Luc Mélenchon war bis 2008 Mitglied des Parti Socialiste (PS), Bürgermeister, Minister im Kabinett von Lionel Jospin und Mitglied im EU-Parlament. 2009 gründete er den Parti de gauche (»Linkspartei«) und trat 2012 als Kandidat eines Parteienbündnisses zur Präsidentschaftswahl an. Er erzielte elf Prozent der Stimmen. Als erster meldete Mélenchon im Februar 2016 im Alleingang seine Kandidatur zu den Präsidentschaftswahlen 2017 an – als unabhängiger Kandidat ohne Unterstützung durch die Kommunisten und andere Parteien. Im Internet sammelte er 130.000 Unterschriften für seine Kandidatur.

Ebenfalls im Internet erarbeiteten 11.362 seiner AnhängerInnen eine politische Prioritätenliste, aus der Mélenchons Stab ein 40 Seiten starkes Grundsatzpapier destillierte, das in diesem Dezember als Programm für Mélenchons Präsidentschaftskandidatur verabschiedet werden soll. Für diesen allemal ungewöhnlichen Weg, ein Programm zu formulieren, erntete Mélenchon wenig Lob. Obwohl er damit ohne Zweifel eine Aktivierung der Demokratie betrieb und GewerkschafterInnen, ProfessorInnen, StudentInnen und AktivistInnen in zivilgesellschaftlichen Organisationen politisch mobilisierte; was den Parteispitzen von Konservativen und Sozialisten mit ihren Hinterzimmer-Klüngeleien und in ihren elitären Salons nicht mehr gelingt. Die von diesen beiden Parteien bevorzugten Entscheidungsverfahren sind nicht nur weitgehend intransparent und scheindemokratisch. Sie sind auch wesentlich verantwortlich für die Abwendung vieler BürgerInnen von den verkrusteten Strukturen der Parteipolitik und der Politik in Frankreich insgesamt.

»Das widerständige Frankreich«

Im Grundsatzpapier mit dem Titel La France insoumise (»Das widerständige Frankreich«), der ganz unbescheiden an General De Gaulles Aufruf an La France libre (»Das freie Frankreich«) erinnert, werden als wesentliche Programmpunkte genannt: Wahlrecht für AusländerInnen, Rentenalter mit 60, Finanztransaktionssteuer, Löhne, die höchstens das 20-fache des geringsten Lohnes in einem Betrieb betragen, und die Anerkennung eines palästinensischen Staates.

Die etwas disparate Forderungsliste ist sicher auch dem unkonventionellen Verfahren geschuldet, aus dem es hervorging. Der interessanteste Teil des Grundsatzpapiers betrifft die Sozial- und Wirtschaftspolitik. Mélenchon verzichtet in seinen Reden schon länger auf den Begriff »Sozialismus« und spricht vom »Ökohumanismus« und warnt vor der »ökologischen Katastrophe«. Seine These: »Der Kapitalismus zerstört sich nicht selbst, aber den Planeten« zeigt diesen Wandel an. Damit zielt Mélenchon sicher auf die Wählerschaft der Grünen, die sich in einer schweren Krise befinden, aber verbindet damit auch eine Neuorientierung linker Politik: »Man muss an Verbindungen arbeiten, die alle sozialen Schichten betreffen, die durch den Kapitalismus getrennt und gespalten wurden.«

Programmatisch ein Gemischtwarenladen

Mit der Kampfansage gegen Arbeitsdruck, Schlecht- und Schnellessen (was nur zu Übergewicht führe), Luftverschmutzung und Wohnungsnot verfolgt Mélenchon eine klassen-, schichten- und milieuübergreifende Sammlungspolitik von unten. Neben der Ablehnung des neuen Arbeitsrechts, die unter dem dreifachen Imperativ »Mehr arbeiten! Weniger verdienen! Leichter entlassen!« proklamiert wird, erscheinen das »Verbot übertriebener Naturausbeutung« und der Ruf nach »demokratischer Planung« zur Domestizierung der Konsum- und Wegwerfgesellschaft. Was die EU betrifft, setzt sich Mélenchon mit einer Doppelstrategie vom Front National (FN) ab, der schlicht den Austritt Frankreichs fordert. Mélenchon möchte »die EU völlig verändern oder verlassen«, wenn das Erste nicht gelingt. »Entweder neue Verträge und Regeln für alle EU-Mitglieder« oder »Austritt Frankreichs«.

Inhaltlich bleibt das Grundsatzpapier, aus dem ein Programm werden soll, allerdings ein Gemischtwarenladen. Neben der Forderung nach Maximallöhnen steht jene nach der Legalisierung von Cannabis, nach einem Recht auf künstliche Befruchtung, nach einer aktiven Diplomatie statt militärischen Interventionen sowie nach einer Regulierung des Status von Menschen ohne Papiere.

Eine Reminiszenz an Mélenchons Politisierung als junger Trotzkist bildet der Aufruf, den Mittelklassen »kämpferisches Verhalten« zu lehren und jeden Anhänger auch darauf zu verpflichten, bei drei politischen Projekten mitzuwirken und zehn Personen für die Sache Mélenchons und sein Programm zu gewinnen. Das ist nicht abwegig, aber schon etwas aus der Zeit gefallen.

Geschrieben von:

Rudolf Walther

Historiker

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