Wirtschaft
anders denken.

Widerständiges Wasser

11.10.2021

Die Materialität von Natur kann unter bestimmten Umständen zu einer Quelle des Ungehorsams werden. Aus OXI 10/21.

»Wasser ist keine Ware«, unter diesem Motto mobilisieren zahlreiche Protestbewegungen weltweit gegen die Privatisierung und Kommodifizierung von Wasser. Doch ist dieser Satz nicht bloß eine Forderung. Er ist auch eine Zustandsbeschreibung, zumindest in Teilen. Denn zwar wird Wasser ge- und verkauft, es hat Produktionskosten und einen Preis. Gleichzeitig aber widersteht Wasser dem kapitalistischen Drang, es zur Ware zu machen. Seine stofflichen Eigenschaften behindern – anders als bei Öl, Gas oder Metallen – seine Handel- und Verwertbarkeit.

»Wasser«, schreibt Eva von Redecker in ihrem Buch »Revolution für das Leben«, wurde auch deshalb als Antriebskraft für Maschinen und Energiequelle für Fabriken im 19. Jahrhundert durch fossile Brennstoffe abgelöst, weil sich »[f]ließende Gewässer […] schlecht zu Eigentum machen [ließen]. Die aufwendige Kohle- und Ölförderung erlaubte dagegen klare Zuordnung und schuf zählbare Einheiten.«

Etwa 150 Jahre später schien dieses Problem der exklusiven Nutzung von Wasser gelöst: In einigen Ländern Europas, vor allem in Großbritannien und Frankreich, sowie in vielen Ländern Lateinamerikas und Afrikas wurde die Wasserversorgung im Zuge der Neoliberalisierung der Daseinsvorsorge ab Ende der 1980er Jahre privatisiert. Das heißt, für Wasser und die nötige Infrastruktur zur Ver- und Entsorgung wurden Eigentumsrechte an private Unternehmen vergeben. Die Trinkwasserversorgung unterlag damit der Verfügungsgewalt privater Konzerne, etwa den französischen Konzernen Suez und Veolia oder den deutschen Energieunternehmen RWE und Eon. Vormals geltende Prämissen der Bereitstellung wie universelle Versorgung, soziale Gleichheit und Fairness wurden ersetzt oder zumindest ergänzt durch kommerzielle Prinzipien: Effizienz, Profitmaximierung, Wachstum, Ressourcenschutz. Das Leitbild dahinter heißt »marktkonformer Umweltschutz« (free market environmentalism). Die zentrale Annahme lautet: Ökologische Güter können viel effizienter verteilt werden, wenn sie als ökonomische Güter behandelt werden.

Neoliberale Ökonom:innen werden nicht müde zu argumentieren, dass Menschen mit Natur nur dann sorgsam umgehen, wenn diese einen Preis hat, sie also mittels Geld am Markt getauscht werden muss. »Wir nutzen Natur, weil sie wertvoll ist, aber wir verlieren Natur, weil sie keinen Preis hat«, meint der ehemalige Deutsche-Bank-Ökonom Pavan Sukhdev. Gerade in Zeiten wachsender ökologischer und ökonomischer Krisen wird dieses Argument bemüht, hilft es doch als Legitimation, um fürs Kapital neue Bereiche zu erschließen, die ihm bislang zur Verwertung nicht zur Verfügung standen. Natur ist ein solcher Bereich.

»Dass Natur als ›Ware‹ gehandelt wird, […] ist ein historisch neues Phänomen«, schreibt der Politologe Markus Wissen in einem Beitrag im österreichischen »Falter«. Dem Versagen von Märkten durch die Externalisierung ökologischer Kosten soll durch die Inwertsetzung von Natur und ihre Kommodifizierung, das heißt: »sie zur Ware werden zu lassen«, begegnet werden. Natureinheiten sollen messbar, vergleichbar und handelbar gemacht werden. Doch geht das gut? Macht die Natur da mit?

Die gesellschaftliche Aneignung und Produktion von Natur ist begrenzt. Natur kann nicht beliebig angeeignet und transformiert werden. Die soziale Aneignung stößt da an Grenzen, wo die Eigengesetzlichkeiten oder Materialität von Natur, das heißt ihre stofflichen, chemischen, biophysikalischen und geografischen Eigenschaften missachtet werden. Beispiele für die Materialität von Natur sind die Bodenfruchtbarkeit oder die Fähigkeit von Pflanzen, zu wachsen oder mittels Photosynthese CO2 zu speichern. Ein weiteres Beispiel ist die Tatsache, dass Wasser fließt.

Die Stofflichkeit von Natur lässt sich als eine ihrer Eigenschaften verstehen, die nicht beliebig geformt oder verändert werden kann, argumentiert der Umweltforscher Christoph Görg. Dieser Teil der Natur ist jedoch mit bloßem Auge nicht unbedingt erkennbar, sondern wird erst über soziale Prozesse der Aneignung oder der Transformation wahrnehmbar, nämlich insbesondere dann, wenn diese scheitern. Eine umfassende Kommodifizierung von Wasser mit liberalisierten Märkten und konkurrierenden Anbietern, bei denen wir vergleichen, wessen Wasser wir trinken wollen, wo das Wasser am billigsten oder zu 100 Prozent ökologisch produziert worden ist, hat es trotz hartnäckiger Forderungen von Ökonom:innen nach einer solchen Liberalisierung nirgends gegeben. Ursache dafür sind zum einen soziale Proteste, begleitet von Slogans wie »Wasser ist keine Ware« oder »Wasser ist Leben« – und zum anderen die Widerständigkeit von Wasser selbst.

Das Problem des fließenden Wassers, dass sich den Verteidiger:innen einer gesellschaftlichen Ordnung, basierend auf Privateigentum und Wettbewerb, bereits im 19. Jahrhundert stellte, besteht also fort. Die kritische Geografin Karen Bakker bezeichnet Wasser daher als »unkooperativ« und »ungehorsam«. Am Beispiel der Wasserprivatisierung und Kommerzialisierung in England und Wales hat sie gezeigt, dass die biophysikalischen Merkmale von Wasser mit einer kommodifizierten, liberalisierten Wasserversorgung nicht kompatibel sind. Wasser zirkuliert, es fließt, ist lebendig und spendet Leben. Bei einem fließenden Gut lässt sich eine Verunreinigung nur unter großer Anstrengung verhindern. Doch wer ist verantwortlich, wenn verunreinigtes Wasser unterschiedlicher Anbieter in ein gemeinsames Netz – wie beim Strom – gespeist werden würde?

Jenseits der Frage der Zuweisung von Verantwortlichkeiten kann Wasser unterschiedlicher Herkunft auch nicht einfach gemischt werden. Dies könnte unerwünschte chemische Reaktionen und damit einen Qualitätsverlust hervorrufen, den niemand wollen würde. Wenn die Mischung in einer Leitung keine Option ist, müssten unterschiedliche Anbieter der Ware Wasser eigene Leitungsnetze bauen. Das ist nicht rentabel. Zwar kann Wasser günstig gelagert werden, aber sein Transport ist schwierig und erfordert eine teure Leitungsinfrastruktur mit einer langen Lebensdauer. Nicht ohne Grund liegen die Orte des Wasserverbrauchs in aller Regel in räumlicher Nähe zu denen der Wassergewinnung. Eine umfassende Kommodifizierung von Wasser ist mithin auch in England gescheitert. Die »Inwertsetzung von Wasser« beschränkt sich bislang »überwiegend auf die Privatisierung, das heißt auf die Umwandlung von staatlichen in private Monopole«, schreibt Wissen in einem Band der »Assoziation für kritische Gesellschaftsforschung«. Wettbewerb existiert vor allem um den Markt, nicht im Markt. Und auch das nicht mehr überall. An vielen Orten wurden die Privatisierungen oder Teilprivatisierungen der Wasserversorgung wieder zurückgenommen, zum Beispiel in Berlin oder Potsdam.

Die besonderen Eigenschaften des Wassers verdeutlichen, dass die Materialität von Natur unter bestimmten Umständen zu einer Quelle des Widerstands und des Ungehorsams wird. Das ist dann der Fall, wenn im Zuge der kapitalistischen Aneignung von ebendieser Materialität abstrahiert wird. Wasser ist nicht nur keine Ware und sollte auch keine sein, Wasser kann aufgrund seiner stofflichen Eigenschaften auch keine perfekt handelbare Ware werden.

Kristina Dietz forscht und lehrt an der Universität Kassel zu Konflikten um Rohstoffe und Natur mit dem regionalen Schwerpunkt Lateinamerika.

Geschrieben von:

Kristina Dietz

Politikwissenschaftlerin

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