Wasser-Not

22.03.2022
Eine gelbe Blume wächst aus einem Riss eines ausgetrockneten BodensFoto: klimkin

Woran sich der Wasser-Reichtum und die Wasser-Verschwendung einer Gesellschaft festmachen, kann auf verschiedene Weise betrachtet werden. Aus OXI 10/21 zum Weltwassertag 2022.

Das berühmteste Bild aus der Serie »Der blaue Erdball«, 1972 aus einer Entfernung von rund 29.000 Kilometern mit einer 70-Millimeter-Hasselblad fotografiert, heißt »Blue Marble«. Prosaisch trägt das Bild die Nummer AS17-148-22727. Harrison Schmitt hat es von der Apollo 17 aus fotografiert. Wasser im Überfluss, der ganze Planet blau. Aber jedes Kind weiß, dass man auf dem Meer verdursten kann.

In diesem Jahr stand der Weltwassertag der Vereinten Nationen, den es seit 1993 gibt, unter dem Motto »Valuing Water« (Vom Wert des Wassers). Damit ist nicht Geld gemeint, nicht lebendige Arbeit, die sich im Wasser vergegenständlicht, sondern das, was Wasser für uns als Teil alles Lebendigen bedeutet.

Und auch wenn das Foto »Blue Marble« suggeriert, es gäbe davon genug, dem ist nicht so. Es gibt viel, wohl wahr. Rund 1,4 Milliarden Kubikkilometer. Davon sind circa 2,5 Prozent Süßwasser und von diesen 2,5 Prozent wiederum sind mehr als zwei Drittel in Gletschern, Schneedecken und Eis gebunden. 30 Prozent sind Grundwasser, knapp ein Prozent steht für Bodenfeuchtigkeit, Grundeis, Dauerfrost und Sumpfwasser. Am Ende bleiben von den 2,5 Prozent 0,3 Prozent Süßwasservorräte, an die wir rankommen. Und die sind verdammt ungleich verteilt.

Wasserstress, Wasserknappheit, absolute Wasserknappheit (weniger als 500 Kubikmeter pro Kopf und Jahr) haben existenzielle Auswirkungen auf alles Lebende. Wie immer und bei allem vor allem für jene Menschen, die arm dran sind. Weltweit – es werden unterschiedliche Zahlen genannt – haben zwischen 2,1 und 2,6 Milliarden Menschen keinen Zugang zu einer sicheren Trinkwasserversorgung, rund 2,4 Milliarden müssen ohne grundlegende sanitäre Einrichtungen auskommen.

Die natürlichen Gegebenheiten des Planeten sagen erst einmal, dass die Unterschiede bei sich erneuernden Wasserressourcen riesig sind. Fünf Kubikmeter pro Kopf in Kuwait, 353.000 Kubikmeter pro Kopf in Guyana. Aber auch das sagt noch nicht allzu viel über Verteilung aus. Interessant und richtiger wird es erst, wenn man das für Produktion von Waren und Dienstleistungen verbrauchte Wasser an einem Ort jenen zuordnet, die diese Produkte und Dienstleistungen verbrauchen. Das nennt man »virtuelles Wasser«. Zweieinhalb bis drei Avocados, die mag man hierzulande sehr, haben 1.000 Liter Wasser gebraucht, um im Supermarkt ins Angebot zu kommen. Nicht unser Wasser, wohlgemerkt. Ein 250 Gramm leichtes Baumwollshirt kommt in der Herstellung auf einen Verbrauch von 2.495 Liter Wasser. Baumwollshirts sind was Tolles.

Daraus ließe sich der falsche Schluss ziehen, dass die Verbraucher:innen es in der Hand haben. In gewisser Weise schon, aber es ist noch nicht einmal die Viertelwahrheit. In Deutschland sinkt der Pro-Kopf-Wasserverbrauch kontinuierlich. Allerdings nicht, nähme man den »virtuellen Wasserverbrauch« zum Maßstab. Also die Baumwollshirts, die Avocados, die Blaubeeren aus Spanien, die woanders produzierten Autos, das T-Bone-Steak vom argentinischen Rind.

Avocados, Blaubeeren, argentinisches Rind stehen für eine Tatsache, die bekannt ist, aber viel zu wenig thematisiert wird: Rund 70 Prozent des entnommenen Wassers gehen in die Landwirtschaft, andere Berechnungen kommen zu dem Schluss, dass es gar 83 Prozent sind. Die Landwirtschaft verbraucht doppelt so viel Wasser wie Industrie und Haushalte zusammen. Wobei in diese Rechnung möglicherweise nicht eingeflossen ist, wie viel T-Bone-Steaks und Blaubeeren aus Spanien in einem Haushalt jährlich konsumiert werden und somit eigentlich dem Wasserverbrauch zuzurechnen wären.

Woran sich der Wasserreichtum und die Wasserverschwendung einer Gesellschaft festmachen, kann auf verschiedene Weise betrachtet werden. Und bei nicht wenigen Betrachtungsweisen landet man bei den sozialen Unterschieden – ein privater Aufstellpool lässt sich von ALG II bestimmt nicht bezahlen. Der Unterhalt kostet zwischen drei und fünf Euro pro Liter und Poolbefüllung. Private Aufstellpools gibt es in Deutschland übrigens rund 982.500. Und auch ein privates Hallenbad (mehr als 147.000 hierzulande) oder einen privaten eingelassenen Pool (rund 491.000) muss man sich leisten können. Dem steht die dann doch bescheidene Zahl von insgesamt 16.375 öffentlichen Frei- und Hallenbädern gegenüber, die sich die Kommunen leisten können.

Pools sind angesagt, wirbt die Branche, und das sei nicht erst seit Beginn der Pandemie so, aber die Pandemie habe noch mal ordentlich was draufgelegt.

Luxus ist eine Frage der Betrachtung. Ganz gewiss ist ein Swimmingpool Luxus. Im Vergleich zu jenen Ländern und Regionen, in denen Menschen überhaupt keinen Zugang zu sauberem Wasser haben, ist die Tatsache, dass in Deutschland fast überall bedenkenlos das Wasser aus der Leitung getrunken werden kann, Luxus. Dass wir pro Kopf rund 15.000 Liter jährlich nur dafür verwenden, unsere Fäkalien wegspülen zu können, ist Luxus. Und dass wir den Ratschlägen der Virologen folgen können und uns mit möglichst warmem Wasser möglichst lange und möglichst oft am Tag die Hände waschen dürfen, ist Luxus. Dass in Flaschen abgefülltes Wasser einst ein Luxusgut war und es heute nicht mehr ist: Luxus. Rund 125 Liter täglicher Wasserverbrauch pro Person …

Prognostiziert wird ein Krieg um Wasser. Die Unesco mahnte bereits zu Beginn dieses Jahrtausends: »Von allen Krisen hinsichtlich der sozialen und natürlichen Ressourcen, mit denen wir Menschen konfrontiert sind, ist die Wasserkrise diejenige, die unser Überleben und das unseres Planeten Erde am meisten bedroht.« Wasserdeprivation (Entzug, Entbehrung, Verlust) ist vielen Menschen auf der Welt Alltag und Todesursache. Und wie alle Krisen unterscheidet auch die Wasserkrise, egal ob sie sich in fehlendem Trinkwasser, nicht vorhandenen Sanitäranlagen, krankmachendem Schmutzwasser, Überschwemmungen oder Dürren manifestiert, zwischen Arm und Reich.

Nur aus 29.000 Kilometer Entfernung sieht es aus, als lebten alle auf dem gleichen, hübschen Planeten.

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