Wirtschaft
anders denken.

Welche Infrastruktur wollen wir und wofür? Plädoyer für die Rückeroberung des Öffentlichen

29.09.2018
unsplash/Ishan Seefromthesky

In Infrastruktur spiegeln sich die real existierenden Verhältnisse – aber auch die Optionen wirklicher Veränderung. Infrastrukturen können zum Hebel progressiver Politik werden. Wie man sie finanzieren und weiterentwickeln möchte, sind grundlegende Entscheidungen, die auch die Richtung des Fortschritts betreffen. Ein Text aus der OXI-Printausgabe September.

Der Bundeshaushalt weist Milliardenüberschüsse aus, eine Folge der vergleichsweise guten ökonomischen Lage und der damit zusammenhängenden größeren staatlichen Einnahmen. Politisch wird hierzulande auf solche Bilanzen gern mit dem leistungsideologisch motivierten Ruf reagiert, »den Steuerzahler« zu entlasten. Womit dann meist jene gemeint sind, die ohnehin schon eher gute Einkommen haben. Und auch die Rufe nach Schuldenabbau verstummen nicht, die jahrzehntelange Konsolidierungspropaganda wirkt.

Seit zudem der schlechte Zustand der Infrastruktur öffentlich eine größere Rolle spielt, wird angesichts der finanziellen Möglichkeiten auch nach mehr und schnelleren Investitionen gerufen. Die ziehen aber nur langsam an, während die Substanz des Öffentlichen erodiert. Das ist kein verzerrtes Schreckensbild, sondern das Ergebnis einer so simplen wie folgenreichen Rechnung: Wenn die öffentliche Hand weniger Geld in Straßen, Schulen, Verwaltungsgebäude steckt, als für deren Erhalt nötig ist, regnet es irgendwann durch. Vor allem die kommunale Investitionslücke hat erschreckende Ausmaße angenommen.

Wenn das linksdemokratische Lager nach einem Punkt sucht, an dem jener berühmte Hebel angesetzt werden könnte, mit dem man die Welt aus den Angeln hieven, das heißt: eine andere möglich machen könnte, sollte das Thema Infrastruktur ins Zentrum gestellt werden. 

Nicht bloß betonierte Gegenwart

Es geht dabei nicht bloß um den technischen Unterbau einer Volkswirtschaft, nicht bloß um betonierte Gegenwart. Es geht darum, was wir in welcher Qualität als öffentliche Angelegenheiten für uns beanspruchen; darum, wer wie viel zu dieser res publica beiträgt, wer von ihr profitiert und in welcher Richtung wir sie weiterentwickeln wollen. Es geht, kurzum, um das Öffentliche, also um uns selbst.

Politisch kreuzen sich hier zentrale Konfliktlinien. Wer über den Zustand der Infrastrukturen klagt, kann über Austeritätspolitik, Schuldenbremse und Privatisierungskurs nicht schweigen. Jahrelang haben nicht zuletzt die Lautsprecher der Unternehmensinteressen nach einem »schlanken Staat« gerufen, weil das weniger Steuerlast hieß. Es waren jene, die den Aberglauben förderten, Unternehmen könnten öffentliche Angelegenheiten besser, billiger anbieten. Jetzt, da nicht einmal die Möglichkeiten neuer Investitionen ausgeschöpft werden können, weil es nach jahrelanger Kürzungspolitik an Leuten in der Verwaltung fehlt, bangen die gleichen Lobbyvertreter um die Grundlage ihres wirtschaftlichen Erfolgs: gute Infrastrukturen. 

Was »gut« ist, hängt also von den ökonomischen Interessen ab. Wem es um eine ökologische Mobilität geht, der wird nicht einfach nach neuen Straßen und Autobahnbrücken rufen wollen, mit denen ein fragwürdiger Individualverkehr auf Jahre betoniert wird. 

Hebelpunkt progressiver Politik

Wer die Investitionslücke in Städten und Gemeinden schließen will, muss angesichts der nötigen Milliarden auch etwas über die Finanzierung sagen, bloß ein bisschen Umleitung von Überschüssen wird da nicht reichen. Hier stößt dann der Wunsch nach mehr Geld für das Öffentliche schnell mit politisch dauerhaften Konstruktionen wie der Schuldenbremse zusammen. Mehrheiten für radikalere, in diesem Fall heißt das: vernünftigere Umverteilung sind schwer zu erreichen. 

Und gerade deshalb liegt hier der Hebelpunkt progressiver Politik. In Infrastrukturen spiegeln sich die real existierenden Verhältnisse wie auch die Optionen wirklicher Veränderung. Wie man sie finanzieren und weiterentwickeln möchte, sind grundlegende Entscheidungen, die auch die Richtung des Fortschritts betreffen. Im Umgang mit Infrastrukturen werden Fragen der Reichtumsverteilung, der Chancen, auch des Selbstverständnisses von Gesellschaften beantwortet. 

Und nicht zuletzt geht es um das demokratische Moment: Über Infrastrukturen muss entschieden werden, die Gesellschaft muss sich hier gegenüber privaten Ansprüchen und Interessen besser durchsetzen können. Dies gilt nicht zuletzt mit Blick auf die EU, wo Regelungen erfunden wurden, die einem Ausbau des Öffentlichen entgegenstehen. So wird jede Diskussion über den Ausbau eines städtischen Funktionsnetzes zugleich auch eine über das Europa, das wir anstreben.

Debatte über einen »gesellschaftlichen Fonds«

Natürlich muss es auch um das Heute gehen. Die Lage ist dafür nicht eben einfach. Wolfgang Streeck, der mit der Internetbewegung »Aufstehen« sympathisiert, hat einen Vorschlag gemacht, »ein durch Kredit finanzierter nationaler Infrastrukturfonds« solle »dafür sorgen, dass es in Schulen nicht mehr durch das Dach regnet und Brücken und Straßen nicht zerbröseln«. Linksparteichef Bernd Riexinger plädierte schon vor Jahren für einen Investitionsfonds, mit dem der Ausbau »einer öffentlichen, sozialen und bedarfsorientierten Infrastruktur für gute Bildung, Gesundheitsversorgung, Pflege, Mobilität, Energieversorgung und Wohnen für alle« gefördert und zugleich Pflöcke »einer solidarischen Zukunftswirtschaft« eingeschlagen werden könnten. Aus grüner und sozialdemokratischer Ecke sind ähnliche Ideen formuliert worden – mal mit Betonung ökologischer Ziele, mal mit einem stärker transnationalen Blick.

Eine Debatte über einen »gesellschaftlichen Fonds«, darüber, wie er gefüllt und wofür er verwendet wird, könnte dem linksdemokratischen Lager guttun. Es würde wieder über Lösungen gestritten, nicht über Vorbehalte. Ob man das Ganze dann Infrastruktursozialismus nennt oder als demokratische Rückeroberung des Öffentlichen bezeichnet, ist nicht so entscheidend. Wichtiger ist es, die zeitpolitische Dimension von Infrastrukturpolitik mitzudenken: Was immer in Beton gegossen, in Stahl verbaut, als Glasfaser verlegt oder als öffentliche Dienstleistung angeboten wird – es wirkt längerfristig, es ist Arbeit an der Zukunft. Sie beginnt heute.

Geschrieben von:

Tom Strohschneider

Journalist

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