Weltreport von Piketty und Co: Ungleichheit wächst überall – müsste dies aber nicht
Der erste »Weltreport über Ungleichheit« aus dem Umfeld von Thomas Piketty zeigt: Die Einkommen driften weltweit auseinander, allerdings unterschiedlich krass. Und: Es ist kein Naturgesetz, die Politik könnte etwas daran ändern. Der Report soll zur Debatte darüber beitragen.
Wissenschaftler um den französischem Ökonomen Thomas Piketty haben sich mit dem ersten »Weltreport über Ungleichheit« zurückgemeldet. Die Studie fasst Befunde zusammen, die inzwischen kaum mehr überraschen können, über die man aber wieder und wieder reden muss: Seit etwa den 1980er Jahren hat die Ungleichheit der Einkommen fast überall auf der Welt zugenommen – allerdings mit unterschiedlicher Geschwindigkeit.
Das hat Gründe und ist zugleich Anlass, nicht den Kopf in den umverteilungspolitischen Sand zu stecken: »Dass die Ungleichheit im Ländervergleich so unterschiedlich stark ausgeprägt ist – selbst bei Ländern, die ein ähnliches Entwicklungsniveau aufweisen – unterstreicht die bedeutende Rolle, die nationale Politik und Institutionen bei der Ausformung der Ungleichheit einnehmen«, schreiben die Autorinnen und Autoren der Studie.
Mit ihrem Bericht wollen sie »zu einer besser informierten, weltweiten demokratischen Debatte zur ökonomischen Ungleichheit beitragen, indem neueste und umfassende Daten für die öffentliche Diskussion bereitgestellt werden«. Hier werden methodische und andere Kritiken sicher nicht lange auf sich warten lassen, die Debatte über die Datengrundlage von Pikettys Bestseller »Das Kapital im 21. Jahrhundert« hält immer noch an. Und zum Teil dürfte es auch politisch gewollt sein, die Befunde großer und wachsender Ungleichheit zu relativieren.
Ungleichheit kann zu sozialen, politischen Katastrophen führen
»Unser Ziel ist nicht, einen gesellschaftlichen Konsens zum Thema Ungleichheit herzustellen«, heißt es in dem Report. Dies sei ohnehin nicht möglich, »einfach weil es kein wissenschaftlich erwiesenes Idealmaß an Ungleichheit gibt und erst recht keine allseits akzeptierte Mischung aus politischen Maßnahmen und Institutionen zum Erreichen dieses Maßes.«
Heißt auch: Die Autorinnen und Autoren des Reports sehen ökonomische Ungleichheit »bis zu einem gewissen Grad« als unvermeidbar an – verweisen aber darauf, dass immer weiter wachsende Ungleichheit »sofern sie nicht adäquat beobachtet und angegangen wird, zu verschiedenen politischen, wirtschaftlichen und sozialen Katastrophen führen kann«.
In den letzten Jahrzehnten habe »die Einkommensungleichheit in fast allen Ländern zugenommen, jedoch mit unterschiedlicher Geschwindigkeit«, so die Autorinnen und Autoren. seit 1980 ist die Einkommensungleichheit in Nordamerika, China, Indien und Russland rasant gestiegen – allerdings auch in unterschiedlichen Formen. »In Russland wuchs die Ungleichheit besonders abrupt, in China moderat und in Indien relativ langsam – ein Spiegelbild der unterschiedlichen Deregulierungs- und Öffnungspraktiken, die in diesen Ländern in den letzten Jahrzehnten verfolgt wurden«, so der Report.
Deutschland »heute so ungleich wie vor 100 Jahren«
In Europa sei der Anstieg der ökonomischen Ungleichheit »moderat« verlaufen. Historisch betrachtet markiert der Anstieg seit den 1980er Jahren »das Ende eines egalitären Nachkriegsregimes, das in diesen Regionen jeweils unterschiedlich ausgeprägt war«. Auch der heterogene Verlauf danach zeige, »dass die Dynamik der Einkommensungleichheit durch verschiedene nationale, institutionelle und politische Kontexte geprägt ist«.
Es gebe auch Ausnahmen zu dem »allgemeinen Muster«. Im Nahen Osten, im Subsahara-Afrika und in Brasilien sei die Einkommensungleichheit »relativ stabil« geblieben – aber auf einem »extrem hohen Niveau«. Der Report dazu: »Da diese Regionen niemals das egalitäre Nachkriegsregime durchlaufen haben, geben sie das weltweite ›Ungleichheitsmaximum‹ vor«. Hier stellt sich allerdings auch die Frage, inwieweit die ökonomischen Bedingungen für »das egalitäre Nachkriegsregime« eine Sonderperiode des Kapitalismus darstellen und mit welchen Problemen eine stärkere Umverteilung heute konfrontiert wäre.
Zu Deutschland liegt ein Sonderreport von Charlotte Bartels vor. Ergebnis: Hierzulande ist es »heute so ungleich wie vor 100 Jahren«, so formuliert es jedenfalls die »Süddeurtsche Zeitung«. 1913 seien auf die obersten zehn Prozent der Haushalte etwa 40 Prozent aller Einkommen entfallen – dieser Anteil ist heute wieder etwa genauso groß. Zu Zeiten des »Wirtschaftswunders« seien die Einkommen egalitärer verteilt worden, seit den 1970er Jahren geht die Schere wieder auseinander. Die »Süddeutsche«: Hatte die untere Hälfte der Gesellschaft ihren Anteil an allen Einkommen bis dahin auf ein Drittel ausgedehnt, halbierte er sich bis heute.
Zwei Prognosen
Die Ergebnisse des Reports in Kurzform: »Die Kombination aus umfangreicher Privatisierung und wachsender Einkommensungleichheit innerhalb der Länder hat den Anstieg von Vermögensungleichheit unter Individuen verstärkt. In Russland und den USA gab es einen extremen Anstieg der Vermögensungleichheit; in Europa hingegen verlief er gemäßigter. Noch hat die Vermögensungleichheit in den reichen Ländern allerdings nicht wieder das extrem hohe Niveau des frühen 20. Jahrhunderts erreicht.«
Die Aussichten: »Wir prognostizieren Einkommens- und Vermögensungleichheit bis 2050 mithilfe verschiedener Szenarien. In einer Zukunft, die von ›Business as usual‹ geprägt ist, wird die weltweite Ungleichheit weiter wachsen. Folgen dagegen alle Länder dem moderaten Ungleichheitsverlauf, wie er in den letzten Jahrzehnten für Europa typisch war, kann die globale Einkommensungleichheit verringert werden – in diesem Fall kann es auch substanzielle Fortschritte bei der Beseitigung der weltweiten Armut geben.«
Und wie soll das möglich werden? »Der weltweiten Einkommens- und Vermögensungleichheit etwas entgegenzusetzen erfordert wichtige Änderungen in der nationalen und globalen Steuerpolitik. Bildungspolitik, Unternehmensführung und Lohnpolitik müssen in vielen Ländern neu bewertet werden. Datentransparenz ist ebenfalls von zentraler Bedeutung.«
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