Wirtschaft
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Weniger Arme, mehr Ungleichheit: China und die soziale Entwicklung – der OXI-Überblick

22.10.2017
Gemeinfrei

China hat enorme Fortschritte bei der Bekämpfung der Armut gemacht. Allerdings hat sich auch die soziale Spaltung gravierend vertieft. Ein Überblick über Einkommen, Arbeitslosenquote, Vermögensverteilung und soziale Absicherung.

In Peking geht der Parteitag der Kommunistischen Partei weiter, in den offiziellen Medien läuft Generalsekretär Xi Jinping rauf und runter – immer wieder mit dem Hinweis, »den Sozialismus chinesischer Prägung für ein neues Zeitalter voranzutreiben« und dabei die »Evolution des Hauptwiderspruchs, vor dem die chinesische Gesellschaft steht« im Blick zu behalten: den »zwischen der unausgewogenen und unzureichenden Entwicklung und den ständig wachsenden Bedürfnissen der Bevölkerung nach einem schönen Leben«, wie es Xi Jinping bereits zu Beginn des Parteitags formuliert hatte.

Bisher sah die KP Chinas das Land in der Phase des Hauptwiderspruch »zwischen den wachsenden materiellen und kulturellen Bedürfnissen des Volkes und der rückständigen gesellschaftlichen Produktion«. Die Festlegung eines während einer bestimmten Phase gültigen »Hauptwiderspruchs« ist so etwas wie die politische Leitnorm der herrschenden Partei, die bisherige Phase dauerte seit 1978 an, nun also eine neue Etappe, die laut Xi Jinping »eine historische Verschiebung« bedeutet, »welche die ganze Landschaft beeinflusst«.

UN: »China hat Hunderte Millionen Menschen aus der Armut befreit«

Man kann die Rhetorik der Parteiführung belächeln oder als formelhafte Staffage für eine mit harter Hand betriebene Politik von oben nach unten ansehen. Zur Kenntnis genommen werden sollten aber auch die hinter solchen Begriffen stehenden empirischen Fakten. Chinas Bruttoinlandsprodukt betrug 2007 noch rund 3.571 Milliarden US-Dollar, dieses Jahr werden es nach jetzigen Schätzungen 11.795 Milliarden US-Dollar sein, vielleicht auch etwas mehr. »Die vergleichsweise gute wirtschaftliche Lage verschafft der Partei Bedingungen, um ihr Reformprogramm umzusetzen«, heißt es in der Zeitschrift »Sozialismus«. Diese »beinhalten eine Mischung aus staatlicher Lenkung auf der einen Seite, bei deutlichen Deregulierungen auf der anderen Seite«. Eine wiederkehrende Zielsetzung ist auch, die Armut zu besiegen und allen Bürgern einen bescheidenen Wohlstand zu sichern.

Was lässt sich darüber sagen: Der Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen für extreme Armut und Menschenrechte, Philip Alston, bilanzierte 2016, China habe enorme Fortschritte bei der Armutsbekämpfung gemacht, die Erfolge bei der »Verwirklichung sehr ehrgeiziger Ziele zur Verbesserung des sozialen Wohlergehens waren außergewöhnlich«. In Zahlen: In den vergangenen drei Jahrzehnten und vor allem in der jüngeren Vergangenheit habe »China Hunderte Millionen Menschen aus der Armut befreit«. Allerdings sei »es überraschend schwierig, die Zahlen genau anzugeben«. Alston verwies auf unterschiedliche Berechnungsgrundlagen in der Vergangenheit und wechselnde Quellen.

Die offiziell angegebenen Zahlen der Armen variieren laut Alston-Bericht zwischen 500 bis 767 Millionen – abhängig auch von der Grenze, die mal bei zwei US-Dollar verfügbares Einkommen pro Tag liegt, mal bei 1,90 US-Dollar. »Ebenso beeindruckend ist die Tatsache, dass nicht nur bei der Bekämpfung der einkommensbedingten Armut Fortschritte erzielt wurden, sondern auch bei der Verwirklichung vielfältiger sozialer Ziele«, hieß es 2016 in Alstons Bericht.

Aufgeführt werden unter anderem die Ausweitung der Krankenversicherung – 2003 waren rund 10 Prozent der Chinesen krankenversichert, 2016 waren es 95 Prozent, »darunter die Bevölkerung in den meisten armen ländlichen Gebieten und gefährdete städtische Gruppen«. 2009 waren 240 Millionen Chinesen in einem Altersversorgungssystem versichert, 58 Millionen erhielten tatsächlich Renten. 2014 betrug die Deckung bereits bis zu 842 Millionen, die Zahl der tatsächlichen Empfänger sei auf bis zu 229 Millionen gewachsen. Alstons Bericht verweist zudem auf Sozialhilfeprogramme wie Wubao für ältere Menschen, Menschen mit Behinderungen und Jugendliche sowie Dibao für arme Haushalte unterhalb von lokal definierten Armutsgrenze, die Bargeld oder Sachleistungen beanspruchen können. Weitere Zahlen: Zwischen 2000 und 2012 sank die Säuglingssterblichkeit um 60 Prozent und die Müttersterblichkeit um 49 Prozent. Die Lebenserwartung bei der Geburt sei von 1990 bis 2012 von 69 auf 75 Jahre gestiegen.

China ist aber auch eines der ungleichsten Länder der Erde

Allerdings hat sich auch die soziale Spaltung gravierend vertieft. »Chinas große Fortschritte bei der Armutsbekämpfung gehen mit dem Entstehen sehr hoher Ungleichheiten einher«, so der Alston-Bericht. Auch wenn Daten über die Verteilung der Einkommen schwer zu beurteilen seien oder fehlten, stehe »China nach wie vor unter den 30 Ländern mit der höchsten Einkommensverteilung«. Zwischen 1981 und 2007 sei der Gini-Koeffizient, der Ausdruck der Verteilung des Netto-Haushaltseinkommens ist, von 0,28 auf 0,49 an. Die jüngste amtliche Zahl weise einen Gini-Koeffizienten von 0,462 im Jahr 2015 aus. Der Bericht verweist auf unabhängige Daten, laut denen China im Jahr 2010 einen Gini von 0,61 und 2014 von 0,6 erreicht haben soll, »was es zu einem der ungleichsten Länder der Erde machen würde«.

Die reichsten 1 Prozent der Haushalte würden ein Drittel des Gesamtvermögens besitzen, die ärmsten 25 Prozent dagegen nur 1 Prozent. Starke Unterschiede gibt es zwischen ländlichen und urbanen Gebieten. »Das Verhältnis von städtischem zu ländlichem Familieneinkommen lag 2007 bei 4 zu 1. Es ist auf 2,53 zu 1 im Jahr 2014 gesunken.«

Vor wenigen Tagen veröffentlichte die offizielle Nachrichtenagentur Xinhua aktuelle Zahlen zum verfügbaren Einkommen der Chinesen und zu den Wanderarbeitern vom Land. Das durchschnittliche verfügbare Pro-Kopf-Einkommen ist danach auf 19.342 Yuan im Jahr gewachsen, das entspricht etwa 2.930 US-Dollar. Gegenüber dem Vorjahreszeitraum wurde ein inflationsbereinigter Anstieg um 7,5 Prozent angegeben, das ist ein schnelleres Wachstum als das des Bruttoinlandsproduktes (6,9 Prozent). Laut dem Nationalen Statistikbüro NBS ist das verfügbare Pro-Kopf-Einkommen in ländlichen Gebieten um 0,9 Prozentpunkte mehr gestiegen als das in den Städten, was auf ein langsamen Schließen der Ungleichheit zwischen Stadt und Land hindeutet. Landbewohner haben nach den offiziellen Daten ein verfügbares Einkommen von im Schnitt 9.778 Yuan erreicht, das der Stadtbewohner liegt im Schnitt bei 27.430 Yuan.

Gefälle zwischen Land und Stadt ist weiterhin groß

Die Unterschiede spiegeln sich auch weiterhin in den Daten Abwanderung aus dem Land. »In den ersten drei Quartalen verließen mehr ländliche Arbeiter ihre Heimatorte«, so Xinhua. Danach hätten mit Stand September rund 179,7 Millionen ländliche Arbeiter außerhalb ihrer Heimatorte eine Beschäftigung gehabt, das sind 3,2 Millionen mehr als vor einem Jahr. »Ihr durchschnittliches monatliches Einkommen wuchs im dritten Quartal um 7,0 Prozent auf 3.459 Yuan«, so die offiziellen Daten.

Am Sonntag hat nun auch das Arbeitsministerium neue Zahlen zur Erwerbslosigkeit vorgelegt. Die Quote ist auf den niedrigsten Stand seit etwa 16 Jahren gesunken, heißt es in Berichten. Sie liegt nun den offiziellen Angaben zufolge bei 3,95 Prozent. Von Januar bis September seien in China 10,97 Millionen neue Stellen geschaffen worden, 300.000 mehr als 2016. Arbeitsminister Yin Weimin wird bei Reuters allerdings mit den Worten zitiert, es bleibe bei anhaltenden Schwierigkeiten, so müssten etwa 15 Millionen Stellen im Jahr geschaffen werden. Allein über acht Millionen Universitätsabsolventen drängten jedes Jahr auf den Arbeitsmarkt. Zugleich werden weiterhin Kapazitäten in Sektoren mit Überproduktion heruntergefahren. Reuters merkt zu den Daten an, dass Experten zu bedenken geben, »dass die offizielle Quote das Ausmaß der Beschäftigung nicht genau widerspiegelt, da darin die Millionen Wanderarbeiter in der Volksrepublik nicht berücksichtigt werden«.

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