Wirtschaft
anders denken.

Was passiert, wenn das Bargeld abgeschafft wird?

Die Tage des 500-Euro-Scheins sind gezählt. Geht es bald auch den anderen Banknoten an den Kragen? Hermann Adam über Vor- und Nachteile des bargeldlosen Wirtschaftens.

12.04.2016
Professor Hermann Adam lehrt Politikwissenschaft am Otto-Suhr-Institut der Freien Universität Berlin. Der Diplom-Volkswirt und Politikwissenschaftler arbeitete in den 1970iger Jahren beim Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut des Deutschen Gewerkschaftsbundes (WSI) und danach beim Deutschen Sparkassen- und Giroverband. Sein Einführungswerk »Bausteine der Wirtschaft« ist eines der erfolgreichsten Ökonomielehrbücher jenseits des wirtschaftswissenschaftlichen Mainstreams.

Ob mit einem Zehn-Euro-Schein oder mit Karte bezahlt: Wo ist da der Unterschied?

Adam: Wenn ich mit Bargeld zahle, muss ich etwas hergeben. Der Verlust ist für mich spürbar. Kartenzahlung ist unmerklich. Man vergisst schnell, wie viel Geld man schon ausgegeben hat.

Warum kommt das Thema der bargeldlosen Wirtschaft gerade jetzt auf?

Da kommen mehrere Punkte zusammen. Die Finanzminister der großen Industriestaaten wollen in letzter Zeit ernsthaft Geldwäsche und Steuerflucht bekämpfen. Die Abschaffung des Bargelds würde da helfen. Auch Schwarzarbeit wäre nicht mehr so einfach möglich. Außerdem soll der Europäischen Zentralbank ermöglicht werden, ihre Negativzinspolitik zu verschärfen. Wenn demnächst nicht nur die Banken bei der EZB, sondern auch Bürger und Unternehmen Strafzinsen auf ihre Guthaben bei Kreditinstituten zahlen müssten, würden die Konten leergeräumt und Bargeld in Tresoren oder zu Hause unter der Matratze gehortet. Um das zu verhindern, muss Bargeld als Zahlungsmittel abgeschafft werden.

Woher kommt die Initiative?

Der amerikanische Ökonomieprofessor und Nobelpreisträger Kenneth Rogoff hat das Thema Ende 2014 auf einer Veranstaltung des Münchner Ifo-Instituts ins Gespräch gebracht. Seitdem wird das auch in Deutschland diskutiert. Das Bundesfinanzministerium plant die Abschaffung des 500-Euro-Scheins. Das könnte man als einen allerersten kleinen Schritt zur bargeldlosen Gesellschaft ansehen.

Wem nützt eine bargeldlose Gesellschaft?

Zunächst wäre es für alle ganz praktisch, wenn sie ein Brötchen, eine Tageszeitung oder eine Kugel Eis mit Karte bezahlen könnten. Wenn es gelingt, damit Geldwäsche, Steuerhinterziehung, Drogenhandel und Kriminalität zu bekämpfen oder zumindest einzudämmen, würden alle ehrlichen Bürger davon profitieren. Für die Branche, die den kompletten bargeldlosen Zahlungsverkehr abwickelt, wäre es ein Riesengeschäft. Das müssen nicht zwingend und allein die Banken sein, weil es auch andere Dienstleister gibt, die das technisch abwickeln können.

Wem schadet sie?

Wenn Bargeld nicht mehr als Zahlungsmittel akzeptiert wird und jeder ein Konto haben muss, sind wir alle vollkommen in der Hand der Banken. Höhere Kontoführungsgebühren wären dann wahrscheinlich, vor allem wenn die EZB noch höhere Negativzinsen beschließt. Damit will sie ja folgendes erreichen: Die privaten Haushalte sollen ihr Geld schneller ausgeben und die Unternehmen mehr investieren, damit die Wirtschaft auch in den südeuropäischen Ländern besser läuft. Ob Negativzinsen so wirken, wissen wir heute noch nicht. Es gibt keine Erfahrungen.

Wie lässt sich verhindern, dass Normalbürger Negativzinsen für ihr Erspartes zahlen müssen und so real Vermögen verlieren?

Um Negativzinsen zu verhindern, müsste die EU die Sparauflagen für die südeuropäischen Länder beenden und stattdessen ein öffentliches Investitionsprogramm auflegen. Auch öffentlich geförderte Arbeitsplätze für arbeitslose Jugendliche wären sinnvoll. Die Niedrigzinspolitik der EZB alleine wird die Krisenländer nicht aus ihrer desolaten Lage herausführen. Wenn die Konjunktur dann in diesen Ländern wieder anspringt, könnte die EZB auch die Zinsen wieder moderat erhöhen und Strafzinsen wären überflüssig.

Es gibt den Vorhalt, eine Politik, die das Bargeld abschaffe, sei nicht nur illiberal, sondern auch antirepublikanisch. Denn die Münzen bekräftigten täglich mit ihren eingeprägten Symbolen den Bezug zur jeweiligen Gesellschaft und zeigten, dass die Ökonomie politisch verankert sei. Die Kreditkarte tue das nicht. Ist dieser Vorhalt berechtigt und überhaupt von Bedeutung?

Geld, egal in welcher Form, erhält seinen Wert durch das Vertrauen und die Gewissheit, dass es von jedem als Zahlungsmittel anerkannt wird. Das wird bei Karten genauso der Fall sein. Gegebenenfalls ließe sich auch auf die Karten ein Staatssymbol drucken.

Gibt es bereits Gesellschaften, die ohne Bargeld auskommen?

Schweden ist Vorreiter auf dem Gebiet des bargeldlosen Zahlungsverkehrs. Dort zahlen die Bürger bereits Kleinstbeträge mit Karte. Selbst in den Kirchen hat schon ein Kartenlesegerät den Klingelbeutel ersetzt. Mit dem bei uns von Daten- und Verbraucherschützern befürchteten »gläsernen Menschen«, dessen Kauf- und Sparverhalten komplett überprüft werden kann, haben die Schweden kein Problem. Warum auch? In diesem Land kann jeder sogar den Steuerbescheid seines Nachbarn einsehen. Wer nichts zu verbergen hat und seine Steuern korrekt zahlt, hat auch nichts zu befürchten.

Aber mit der bargeldlosen Gesellschaft verschwindet die Privatsphäre, und der Bürger kann nur hoffen, dass die Unternehmen, die seine Daten bündeln und speichern, ihr Wissen nicht zu seinen Lasten missbrauchen.

Was heißt denn »zu seinen Lasten missbrauchen«? Wenn ich bei einem Versandhaus etwas kaufe, bekomme ich anschließend regelmäßig einen Katalog zugeschickt oder eine Email mit neuen Angeboten. Habe ich ein Ferienhotel gebucht, schickt es mir auch künftig Prospekte und fragt, ob ich meinen nächsten Urlaub nicht wieder dort verbringen möchte. Ist mein Auto drei Jahre alt, ruft mich mein Verkäufer an und erkundigt sich, wann ich beabsichtige, ein neues zu kaufen. Ich sehe darin keinen Missbrauch. Wer sich belästigt fühlt, kann sich ja aus dem Verteiler streichen lassen. Der Bäcker, der Friseur, der Zeitschriftenhändler dürfte meine Daten, wenn er sie demnächst auch hat, kaum für Werbezwecke nutzen.

Sie sagten vorher selbst: Dann wären wir alle in der Hand der Banken. Überwiegen nun die Vor- oder die Nachteile?

Für mich überwiegen die Vorteile. Sollten die Banken demnächst horrende Gebühren für ihre Dienstleistungen verlangen, weil es kein Bargeld mehr gibt, werden die Verbraucherschützer sicher nicht locker lassen, bis der Gesetzgeber eingreift.

Das Interview führte:

Wolfgang Storz

Kommunikationsberater

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