Wenn Hartz angeblich happy macht: Grundeinkommens-Befürworter stecken hinter Kampagne
Update 16 Uhr: Hinter der Kampagne, die mit der Behauptung Schlagzeilen machte, Hartz sei besser als sein Ruf, steckt laut dem Deutschlandfunk eine Grundeinkommens-Initiative.
Laut dem Deutschlandfunk steckt eine Initiative für ein bedingungsloses Grundeinkommen hinter der Happy-Hartz-Kampagne. Der Verein »Mein Grundeinkommen« sammelt per Crowdfunding Geld für Bedingungslose Grundeinkommen, einer der Initiatoren Michael Bohmeyer sorgte vor einigen Jahren mit dem Projekt für Schlagzeilen. Der Rundfunksender spricht von einer »zynischen Werbekampagne«, Sandro Schroeder allerdings, der Autor der Geschichte, sieht es positiv: Das Thema komme so in die Debatte.
Eine bisher anonyme Kampagne behauptet, Hartz sei besser als sein Ruf – und will angeblich Werbung »für eine pragmatische Sozialpolitik« machen. Derweil wird gerätselt, wer hinter »mein-jobcenter.com« steckt und was das Ganze soll.
Im Internet macht eine merkwürdige Kampagne die Runde: Ohne dass bisher klar wäre, wer dahinter steckt, sieht das Ganze zunächst einmal nach Werbung für das umstrittene Hartz-System aus. Vorgestellt werden in kleinen Videos Menschen, »die happy sind, happy mit Hartz 4«, wie es heißt. »Denn Hartz 4 ist besser als sein Ruf. Hartz 4 gibt Menschen Sicherheit in schwierigen Lebenslagen, eröffnet Chancen bei Neuorientierung und hilft jungen Menschen beim Einstieg in die Berufswelt.« Dazu treten drei Menschen in kleinen Videos auf, die Website fordert dazu auf, »uns deine Geschichte« zu senden, wenn man ebenfalls glücklich und zufrieden mit dem Arbeitslosengeld II ist. Und damit es nicht vergessen wird, prangt noch einmal wie ein Leitspruch dort: »Sicherheit, Unterstützung und lebenslanges Lernen – das ist Hartz 4.«
Die »Frankfurter Allgemeine« spricht von einer »ominösen Kampagne«, die »für den Sozialstaat« werbe, und fragt sich, wer dahintersteckt. Netzpolitik.org schreibt, es sei unklar, ob sie ernst gemeint ist. »Autorisierte Medienvertreter bekommen auf schriftliche Nachfrage selbstverständlich Auskunft zu den Hintergründen der Kampagne«, steht auf der Website. Angegeben ist eine PR-Agentur in Berlin, die sich an »Persönlichkeiten aus Wirtschaft, Wissenschaft und Politik« richtet. »Wir sorgen dafür, dass Sie mit gesellschaftlich relevanten Themen, die Ihnen am Herzen liegen, in der Öffentlichkeit Resonanz finden.«
Die Bundesagentur für Arbeit weiß nichts
Die findet die Aktion inzwischen, ein angeblich zu früh geklebtes Plakat auf einem Berliner U-Bahnhof dürfte dazu ebenso beitragen wie ganz überhaupt die Rätselhaftigkeit der Kampagne. Es handele sich um »echte Hartz-Bezieher«, heißt es bei der PR-Agentur, so schreibt es die »Frankfurter Allgemeine«. Die Bundesagentur für Arbeit wisse dagegen »nicht, wer hinter der Aktion steckt und wie es zum Beispiel mit dem Datenschutz aussieht«.
Es soll sich auch nicht um eine parteipolitische Initiative oder die eines Lobbyverbandes handeln, sondern um Personen aus Wirtschaft und Wissenschaft, die sich um den Ruf der Agenda 2010 sorgen. Es bleiben Zweifel, auch der »Frankfurter Allgemeinen« ist aufgefallen, dass hier alles »schrecklich aufgesetzt und überzogen« wirkt – also vielleicht doch bissige Satire oder genau das Gegenteil von Hartz-Jubelei?
Zur Erläuterung der Idee von »mein-jobceter.com« heißt es, die Initiatoren verbinde »das Anliegen, die soziale Marktwirtschaft in Deutschland zu erhalten und den robusten Arbeitsmarkt weiter zu stärken. Deswegen engagieren wir uns für eine pragmatische Sozialpolitik.« Als pragmatisch wird hierzulande gern verklärt, was das verteilungspolitische Pendel zu Lasten derer verschiebt, die auf Transferleistungen angewiesen sind. Hartz IV ist sozusagen der konkreteste Ausdruck davon. Die Kampagne bedient sich denn auch einer der üblichen Argumentationen, derzufolge die Bundesrepublik durch die Agenda-Reformen vom »kranken Mann Europas« zum wettbewerbsfähigen Zugpferd geworden sei. Zitat: »Das soll so bleiben! Uns geht es um die Sache, nicht um Parteien oder Personen. Deshalb haben wir uns entschieden, anonym zu bleiben.«
So oder so: Guter Anlass, die Hartz-Realität kritisch zum Thema zu machen
Was dann doch wieder die Skepsis anfeuert, es könnte sich bei dem Ganzen nicht um eine Kampagne für das Harzt-System handeln, sondern um den Startschuss für eine öffentliche Aktion, der es um etwas ganz anderes geht. Noch einmal die »Frankfurter Allgemeine«: Es werde nicht nur »in Werberkreisen« heftig spekuliert. »Handelt es sich um Befürworter des bedingungslosen Grundeinkommens, die dem aus ihrer Sicht menschenverachtenden Hartz-System ein Ende bereiten wollen? Sind darunter Betroffene, die mit beißendem Zynismus auf ihre Lage aufmerksam machen wollen? Oder sind es tatsächlich Befürworter des deutschen Wohlfahrtsstaates, die auf eher eigenwillige Weise dessen hohe Leistungsfähigkeit in den Vordergrund rücken wollen?«
Man könnte nun hier eine Wette abschließen. Oder man nimmt es, wie es ist: So oder so kann die Aktion dazu beitragen, dass über die Realität des Hartz-Systems in einer Zeit debattiert wird, in der eine Regierungsbildung ansteht, in der grassierende Ungleichheit und betonharte Armutsbiografien Thema sein sollten, und in der es grundlegende Debatten um die mittlere Zukunft der Sozialsysteme in einer sich technologischen wandelnden Welt geht.
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