Wirtschaft
anders denken.

Wenn kein starker Arm mehr will

04.09.2017
Foto: Monster4711, CC0Andere Zeiten: Demo vor dem Kölner Pressehaus beim Druckerstreik 1973

Warum steigen in Zeiten guter Konjunktur und Arbeitsmarktlage eigentlich die Löhne nicht stärker? Wegen der Schwäche der Gewerkschaften und der immer weiter abnehmenden Tarifbindung. Neue Zahlen geben Grund zu Pessimismus.

Seit einigen Wochen nimmt die Schlagzahl von Berichten über und von Analysen zum Lohnparadoxon zu – gemeint ist, dass trotz auf den ersten Blick guter Voraussetzungen die Einkommen aus abhängiger Arbeit nicht deutlicher steigen: »Je höher die Arbeitslosigkeit, desto niedriger die Löhne, je besser die Beschäftigung, desto höher die Löhne: So lautet eines der ehernen Gesetze der Ökonomie«, hieß es in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung mit Blick auf die vom britischen Statistiker Alban Philips 1958 geprägte berühmte »Philips-Kurve«. Und weiter: »Jetzt scheint das Gesetz plötzlich außer Kraft gesetzt.«

Und also fragt die FAZ »Warum steigen unsere Löhne nicht mehr?«, um an anderer Stelle das ganze in eine Antwort zu kleiden: »Warum die Löhne nicht stärker steigen«. Warum also? Gründe sind unter anderem, dass der Beschäftigungszuwachs vorrangig im Niedriglohnbereich stattfand, der Trend zum Teilzeitjob, mehr Stellen in der Dienstleistungsbranche, wo vergleichsweise schlechter bezahlt wird – und, auch das wird immer wieder angemerkt: die Schwäche der Gewerkschaften, mit der eine immer weiter abnehmende Tarifbindung korrespondiert.

Der gewerkschaftliche Organiationsgrad sinkt

Dazu liegen nun neue Zahlen  des IW Köln vor, außerdem hat Spiegel online eine Reihe von Daten zusammengetragen, welche diese Entwicklung in grellen Farben illustrieren: »Der sogenannte Organisationsgrad ist von rund 27 Prozent im Jahr 1994 bis Mitte der Nullerjahre auf rund 20 Prozent gesunken, blieb dann lange relativ stabil, sackte aber zuletzt erneut deutlich auf rund 17 Prozent ab«, heißt es da unter anderem. Auch die Tarifbindung erodiert immer weiter – galt ein Flächentarifvertrag im Westen 1996 noch für 70 von 100 Beschäftigte, waren es dort 2016 nur noch 51 von 100; im Osten ging die Tarifbindung sogar von einem ohnehin geringeren Niveau noch weiter zurück: Dort galten 1996 Flächentarifverträge noch für 56 von 100 Beschäftigten, 2016 waren es nur noch 36 von 100.

Gustav A. Horn vom gewerkschaftsnahen Institut IMK sieht in den Zahlen einen wesentlichen Grund für  prekäre  Beschäftigung und Ungleichheit. Hinzu kommt gewissermaßen ein Rückkoppelungseffekt: Jahrzehntelang wurden unter neoliberaler Lufthoheit über den Stammtischen die Gewerkschaften als Traditionskompanien des Ewiggestrigen verspottet. Zugleich machte man ihnen das Leben, vor allem aber das Kämpfen schwer. Die Bedeutung tariflicher Auseinandersetzungen und die Chancen solidarischer Regelwerke zur Einhegung des Kapital-Arbeit-Widerspruchs wurden somit geschwächt, was auch die Attraktivität der Beschäftigtenorganisationen untergrub. Und inzwischen droht eine »demografische Zeitbombe«, den Mitgliederverlust noch zu verstärken.

Natürlich sind die Gewerkschaften nicht frei von eigener Verantwortung für ihre Misere – es gab und gibt auch gravierende politische Fehler unter dem Dach des DGB. Aber das ist kein Grund zu einer, bisweilen auch bis in die gesellschaftliche Linke reichenden Geringschätzung der »alten sozialen Bewegung«. Denn unter dem Strich sind Organisationsgrad und Tarifbindung auch Indikatoren sozialer Moderation, ökonomischer – und letzten Endes auch von individueller Emanzipation.

Die Gewerkschaften haben ein Zukunftsproblem

»Eine Analyse der Altersstruktur von Gewerkschaften in 16 europäischen Ländern zeigt, dass jüngere Arbeitnehmer seltener Mitglied einer Gewerkschaft sind als ältere. Damit droht sich der vielfach beobachtbare Mitgliederschwund in den nächsten Jahren fortzusetzen«, bilanziert nun das der Unternehmerlobby nahestehende IW Köln, das natürlich von Arbeitnehmern spricht, wo es jene meint, die in Wahrheit die Arbeit geben, von welcher sich andere dann einen Großteil der Früchte aneignen. Dennoch wirft die Studie ein Schlaglicht auf ein Zukunftsproblem der Gewerkschaften, das praktisch schon jetzt breite Spuren hinterlässt. Und zwar in ganz Europa.

»Das zeigen die Organisationsgrade nach Altersklassen«, so das IW Köln. »So sind jüngere Arbeitnehmer im Alter von 16 bis 30 Jahren seltener tarifgebunden als die Arbeitnehmer anderer Altersgruppen. In Schweden ist etwas mehr als jeder Dritte unter den 16- bis 30-Jährigen Gewerkschaftsmitglied, aber mehr als drei von vier Arbeitnehmern zwischen 51 und 65 Jahren. Im Vereinigten Königreich ist bei den Jüngeren jeder achte, bei den Älteren aber fast jeder vierte Arbeitnehmer organisiert, in Deutschland etwa jeder zehnte bei Jüngeren und etwas mehr als jeder fünfte bei den Älteren. Bleibt die Mitgliedschaftsneigung einer Alterskohorte im Zeitablauf konstant, kommt auf die Gewerkschaften ein strukturelles Problem zu. Wenn die älteren Kohorten sukzessive aus dem Erwerbsleben ausscheiden, geht der Organisationsgrad zurück. Damit dürfte sich der negative Mitgliedertrend bei den Gewerkschaften auch in den nächsten Jahren fortsetzen. Dies schwächt die Durchsetzungsfähigkeit der Gewerkschaften und könnte dazu führen, dass sich immer weniger Betriebe dafür entscheiden, Tarifverträge anzuwenden.«

Geschrieben von:

Vincent Körner

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