Wirtschaft
anders denken.

Wer Arme entlastet, beschenkt auch Reiche

07.09.2016

Bei der Debatte um die steuerliche Entlastung niedriger und mittlerer Einkommen wird gern verschwiegen, dass vor allem Reiche profitieren. Wer das nicht will, muss sich etwas überlegen.

Wolfgang Storz hat in seinem Text »Steuern – Geld der Gesellschaft« einen zentralen Punkt nicht berücksichtigt. Sicher spricht einiges dafür, auch ArbeitnehmerInnen und Haushalte mit einem mittleren Einkommen steuerlich zu entlasten. Jedoch muss dabei unbedingt folgender Zusammenhang berücksichtigt werden: Wer niedrige und mittlere Einkommen entlastet, begünstigt im jetzigen Steuersystem zwangsläufig die Wohlhabenden und Reichen.

Wer wird wie besteuert?

Denn der Einkommensteuertarif ist so gestaltet: Es gibt einen Grundfreibetrag (8.652 Euro) plus weitere Freibeträge. Bis zu diesem Gesamtfreibetrag müssen auf alle Einkommen, die regulär der Steuer unterliegen, faktisch keine Steuern bezahlt werden. Dann beginnt es mit einem Eingangssteuersatz von 14 Prozent. Von dem Einkommen wird die Summe, die den Freibetrag übersteigt, mit 14 Prozent besteuert; das muss dann als Steuer bezahlt werden. Auf den Eingangssteuersatz folgt eine progressive Steuerzone. Diese reicht bis zu einem Grenzsteuer- oder Spitzensteuersatz von insgesamt 42 Prozent; dieser Spitzensteuersatz muss ab einem Jahreseinkommen von 53.000 Euro bezahlt werden. Für Verheiratete gelten generell die doppelten Beträge. Danach kommt ab einem Jahreseinkommen von knapp 255.000 Euro die sogenannte Reichensteuer mit einem Satz von 45 Prozent. Dieser Satz ist als der eigentliche Spitzensteuersatz anzusehen.

Zu beachten ist: Dieser Satz von 45 Prozent wird nur für die Summe erhoben, die (bei einem Alleinverdienenden) über diesen knapp 255.000 Euro liegt. Beispiel: Hat jemand ein Jahreseinkommen von 300.000 Euro, dann muss der Spitzensteuersatz nicht auf die gesamte Summe bezahlt werden, sondern nur auf den »überschießenden« Teil in Höhe von 45.000 Euro. Das heißt auch: Der durchschnittliche Steuersatz, den diese Person mit 300.000 Euro Jahreseinkommen entrichten muss, ist deutlich niedriger als dieser Spitzensteuersatz; der Reichensteuer genannt wird. Noch niedriger ist der effektive Steuersatz, weil es viele (legale) Möglichkeiten der »Steuergestaltung« und »Steueroptimierung« gibt; darauf spezialisierte Steueranwälte helfen den Leuten mit hohen Einkommen, auch alle Schlupflöcher zu finden.

Warum profitieren Reiche besonders?

Wenn also beispielsweise Grundfreibeträge und Kinderfreibeträge erhöht oder der Eingangssteuersatz von 14 Prozent gesenkt werden, um niedrige Einkommen zu entlasten, wird automatisch die gesamte Progression abgeflacht. Die Folge: Auch die hohen Einkommen werden entlastet. In unserem obigen Beispiel muss dann der Alleinverdiener beispielsweise nicht auf 45.000 Euro, sondern eventuell nur noch auf 30.000 Euro den Spitzensteuersatz bezahlen. Was noch hinzukommt: In absoluten Beträgen ist die Entlastung der hohen Einkommen immer höher als die der unteren und mittleren Einkommen, müssen sie doch einen niedrigeren Teil ihres gesamten Einkommens mit dem Spitzensatz versteuern als zuvor. Und das hat Wolfgang Storz bei seiner Argumentation nicht beachtet: Werden die niedrigen und mittleren Einkommen entlastet, gilt dies zugleich auch für die hohen und höchsten Einkommen. In der öffentlichen Diskussion wird dieser entscheidende Punkt meist verschwiegen.

Die Konsequenz: Werden, was sinnvoll ist, die niedrigen Einkommen steuerlich entlastet, dann muss automatisch der Spitzensteuersatz für hohe Einkommen mindestens so stark erhöht werden, dass der Steuerausfall ausgeglichen wird, der aufgrund der Steuersenkungen im unteren Bereich entsteht.

Geschrieben von:

Michael Wendl
Michael Wendl

Mitherausgeber von »Sozialismus«

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