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Wer fährt schon gerne Auto? Zu viele?

10.07.2016
Foto: Mercedes-Benz FotodienstLange ist es her: Das Patent zum motorisierten Fortbewegungsmittel.

Autos sind langweilig, unvernünftig, das Abbild von Freiheit, verbindend und vieles mehr. An E-Mobilen und autonomen Fahren werden wir in Zukunft nicht vorbei kommen. Eine Antwort auf Wolfgang Storz.

Das Auto ist in Deutschland mit Leidenschaften besetzt, nicht weniger, nur anders als der Fußball. Das Auto ist daher keinesfalls eines der »langweiligsten und zugleich unvernünftigsten Produkte dieser Welt«, wie Wolfgang Storz hier konstatierte. Ich kann dieses Statement nur als subjektive Wertung sehen, der wohl viele Leser dieses Blogs zustimmen werden. Was dem Thema wenig nutzt. Große Mehrheiten in automobilen Ländern werden dem nicht zustimmen. Mitglieder dieser Mehrheiten werden etwas Ähnliches wie dies sagen: »Autos sind echt anmachend. Da dürfen sie auch unvernünftig sein. Ohne Unvernunft macht das Leben keinen Spaß.« (So einer muss nicht einmal zur Hardcore-Fraktion der sogenannten »Petrolheads« oder »Benzin-Afficionados« zählen. Jeder Vorort-Häuschen Besitzer mit Garageneinfahrt-Waschplatz für sein geliebtes Stück wird das abnicken.)

Es gibt Menschen, die Autos langweilig oder unvernünftig oder beides finden. Dafür gibt es sehr gute Gründe. Wer in wirklich großen Städten lebt, hasst das Auto sogar oftmals. Es ist dort unpraktisch, zeitraubend, kostentreibend, luftverdreckend und behindert seinen Nutzer beim Leben. Deshalb haben die großen europäischen Städte schon sehr lange ein ausgebautes U-Bahn-Netz. Was das Auto in New York, Berlin oder Paris dennoch nicht hat aussterben lässt.

Wer also für die Abschaffung des Autos in industrialisierten Gesellschaften plädiert, kann seine persönliche Wertung nicht als allgemein gültige unterstellen. Das ist entweder unrealistisch oder idealistisch oder ideologisch. Oder von allem ein bisschen.

Persönliche Freiheit vs. Effizienz und Kollektiveigentum

Wer industrialisierte Länder verkehrslogistisch zivilisieren will, muss gegen das privat genutzte und privat besessene Auto etwas tun. Aber was auch getan werden kann, es muss einrechnen, dass seit der ersten Werbung für ein Automobil im Jahr 1888 die Hersteller ihre Produkte hoch erfolgreich als Vehikel persönlicher Freiheit vermarktet haben.

Zugespitzt: Menschen wollen mit einem Auto seit fast 130 Jahren ihre Individualität stärker empfinden. Ob das dumm, gar neurotisch oder nur ein Zeichen von durchschnittlicher Ichschwäche ist, können wir hier nicht diskutieren. Die hinter dem Autokauf meist steckenden Bedürfnis- und Motivlagen dürfen aber nicht unterschlagen werden.

Zu Märkten gehört die Vermarktung von Images. Wirtschaft nutzt also Soziologie und Psychologie. Wer Märkte kritisiert und umbauen will, darf hinter diesen Stand nicht zurückfallen. Eine links-ökologische Kritik, die das Auto als solches umbewerten will (»langweilig«, »unvernünftig«), sollte wissen, wen die Botschaft erreicht (die eh abnicken) und wen sie nicht erreicht (die es nötig haben).

Wer den erreichen will, der sein Auto innig liebt, darf ihm nicht »auf einen Schlag« alles nehmen wollen. Sondern muss einen produktstrategischen Kompromiss finden, mit dem der Auto-Affektierte gelockt werden kann. Alles andere wäre autoritär, wenn nicht totalitär. Dieser Kompromiss zeichnet sich durch die technologische Evolution ab.

Wir leben Autos

Bisher standen der autonome, individualistische Privat-PKW dem an seine Strecken gefesselte und »kollektivistische« Nahverkehr einander gegenüber. Dahinter stehen – oft unausgesprochen – auch Antagonismen wie »egozentrisch – sozial«, »Luxus – Armut«, »verschwenderisch – ökologisch«. Alle sorgen für Zündstoff, der sich nebenbei auch in der zunehmenden Aggressivität zwischen Autofahrern hier, Radfahrern und Fußgängern dort manifestiert.

Diese Trennung der Systeme und die daran gekoppelten sozialen Antagonismen werden durch Technologie tendenziell aufhebbar. Basis ist allerdings ein grundsätzlich fahrerloses, digital gesteuertes Elektromobil, das unterschiedlich groß sein und nicht privat erworben werden kann. Warum soll es in 20 Jahren in den Metropolen keine bus-großen E-Mobile geben, die sich streng, aber nicht ganz unflexibel an eine Streckenführung und einen Fahrplan halten? Und warum soll es als »Zwischengröße« nicht Tausende von Ollis geben, jene Kleinbusse für ein Dutzend Passagiere, deren Strecken sich nach den Wünschen der Passagiere richten? Und die alle so miteinander vernetzt sind, dass alle Kleinbusse miteinander die besten Streckenführungen verabreden, um zugleich Energie und die Zeit der Fahrgäste zu sparen. Und warum soll es als »Missing Link« zum dann hoffentlich langsam aussterbenden Privat-PKW keine 4- bis 6-Sitzer geben, die sowohl autonom, als auch klassisch durch einen Fahrer gelenkt werden können? Solche Fahrzeuge könnten flexibel gebucht werden, für eine Fahrt, einen Tag oder einen beliebig längeren Zeitraum. Irgendetwas zwischen Mietwagen- und Carsharing-Modell wäre das. Wer es sich leisten will oder muss, soll diese Variante mit höherer individueller Autonomie nicht missen müssen. Immerhin gäbe es »weiche« Übergänge zwischen den Transportsystemen. Und auch einen psychologisch weicheren Übergang für den durch private Autos verwöhnten Menschen.

Autonomes Fahren

Ob der digitale, e-mobile Nahverkehr mit größeren Fahrzeugen noch Fahrer oder nur »Kontrolleure« an Bord hat, muss nicht heute entschieden werden. Das kann flexibel mit der Leistungsfähigkeit digitaler Steuerung angepasst werden. Eine langsame Reduzierung von offiziellen Fahrern wäre nebenbei auch arbeitspolitisch der bessere Weg. Ohne Fahrersitz und Lenkung werden auch E-Mobile der Zukunft nicht auskommen. Die Sicherheit der autonomen Fahrzeuge nimmt jedenfalls sehr schnell zu und wird bald statistische Werte erreichen, die weniger Risiken bergen, als die Fehleranfälligkeit eines menschlichen Fahrers. Spektakulär aufgemotzte Berichte über Auffahrunfälle von Google-Cars, die dem medialen Sensation-Seeking frönen, ändern daran auch nichts.

Auch das Bedrohungsszenario durch Auto-Hacker, die ferngesteuert Entführungen durchziehen, sollte als positiver Teil der Weiterentwicklung gesehen werden. Wer jetzt Test-Hacker angreifen lässt, steigert die Sicherheit seiner zukünftigen Systeme.

Der Verbund von (teil-)autonomen E-Mobilen wäre eine Ebene höher immer noch mit dem Nah- und Fernverkehr auf Schienen gekoppelt. Denn je länger die Strecke, desto weniger Streckenflexibilität eines Fahrzeugs ist nötig. Erst an den Schnittstellen zum individuellen Ziel spielt der heutige PKW seine Stärke aus, die ein intelligentes E-Mobil-System fast genau so perfekt, aber ökonomisch und ökologisch rationaler ausfüllen könnte.

Private PKWs könnten in der Tat irgendwann »langweilig« werden, wenn es schick ist, seinem Kollegen zu erzählen, wie schnell und clever der E-Minibus einen heute zu seiner Arbeitsstelle gebracht hat und wie unterhaltsam der digitale Fahrer sich derweil mit mehreren Fahrgästen zugleich unterhalten hat.

Geschrieben von:

Jo Wüllner

freier Journalist

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