Wirtschaft
anders denken.

Wer schafft hier was?

28.08.2023
Foto: pxfuel Sozialer Mehrwert ohne Markt: Der Sozialwohnungsbau in Österreich produziert bewohnbaren Lebensraum für alle Einkommenschichten.

Wer gibt Arbeit, und wer nimmt sie? Über begriffliche Ver(w)irrungen und gesellschaftliche Betriebslizenzen

Begriffe und soziale Wirklichkeit sind eng verwoben. Einerseits ist Sprache Ausdruck vorherrschender gesellschaftlicher Verhältnisse (z.B. Klassen- oder Geschlechterverhältnisse), trägt andererseits aber auch dazu bei, diese Verhältnisse zu reproduzieren oder zu verändern. Sprachliche Praktiken beeinflussen, wie Wirklichkeit wahrgenommen wird und welche Handlungsoptionen sich dadurch ergeben. Die Problematisierung sprachlicher Praktiken bedeutet in diesem Sinne, nicht-reflektierte Sprach- und Denkweisen, auf denen bestimmte gesellschaftliche Praktiken beruhen, zu hinterfragen. Es ist der Versuch zu zeigen, dass die Dinge nicht so selbstverständlich sind, wie man meint, und sie statdessen als veränderbar zu erkennen.

Eine dieser »Selbstverständlichkeiten« bildet das Begriffspaar von Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Arbeitgebende sind im allgemeinen Sprachgebrauch vor allem Unternehmen, und Arbeitnehmende sind Angestellte und Arbeiter:innen. Doch wer gibt denn eigentlich Arbeit, und wer nimmt sie? Sind es nicht die arbeitenden Menschen, die Arbeit geben, das heißt, zur Verfügung stellen? Und sind es nicht die Unternehmen, die diese Arbeit entgegennehmen, um Güter und Dienstleistungen zu produzieren, Mehrwerte abzuschöpfen und Profite zu erzielen?

Dass dies heute nicht als selbstverständlich gilt, ist Ausdruck eines gesellschaftlichen Kräfteverhältnisses zwischen Arbeit und Kapitel zugunsten des letzteren, in dem Staaten und Regionen um die Gunst von Unternehmen weteifern, zum Beispiel durch steuerliche Anreize oder provisorische Sondergenehmigungen trotz massiver Umweltbedenken (wie im Fall des neuen Tesla-Werks in Brandenburg). Demnach ist die Gesellschaft den Unternehmen (die in manch wirren Fällen gar mit »der Wirtschaft« gleichgesetzt werden) zu Dank verpflichtet, denn sie »geben« uns Arbeit. Im O-Ton der ehemaligen österreichischen Arbeitsministerin Hartinger-Klein: »Wer schafft die Arbeit? Die Wirtschaft schafft die Arbeit!«.

Gälte es im Gegenteil als selbstverständlich, dass arbeitende Menschen Arbeit geben, die von Unternehmen entgegengenommen wird, um Profite zu erzielen – in der kapitalistischen Produktionsweise ist das Produzieren von Gütern und Dienstleistungen immer Mitel zum Zweck der Profitmaximierung, nicht der Bedürfnisbefriedigung – dann wäre auch eine andere soziale Wirklichkeit denkbar. Im Zentrum stünde dann die Einsicht, dass Gesellschaften Unternehmen produktive Kapazitäten zur Verfügung stellen, zum Beispiel Arbeitskraft, natürliche Ressourcen und Infrastrukturen, die zur Produktion von Waren und Dienstleistungen genutzt werden können. Dies ist ein Privileg, denn produktive Kapazitäten sind begrenzt. Werden sie für eine bestimmte Verwendung zur Verfügung gestellt, dann auf Kosten anderer Verwendungsmöglichkeiten.

Für dieses Privileg müssten Unternehmen als Gegenleistung gesellschaftliche Verpflichtungen wahrnehmen: Geben und Nehmen (quid pro quo). So können sogenannte gesellschaftliche Betriebslizenzen die Sozialpflichtigkeit des Eigentums sicherstellen und die Leistungserbringung an die Einhaltung allgemeinwohlorientierter Kriterien binden, zum Beispiel bezüglich Qualität und Preis, angemessener Entlohnung, demokratischer Mitbestimmung, einer Beschränkung von Dividendenausschütung sowie Ressourcenschonung und Dekarbonisierung. Ansätze in diese Richtung gibt bereits heute: In Österreich fallen zum Beispiel gemeinnützige Bauträger unter das Wohngemeinnützigkeitsgesetz, welches sie verpflichtet, leistbaren Wohnraum zu schaffen, nur beschränkten Gewinn zu erzielen und diesen wieder in soziale Wohnbaumaßnahmen im Inland zu investieren. Es kann gewinnorientierten Unternehmen auch untersagt sein, in bestimmten Wirtschaftsbereichen tätig zu sein. So ist es im Burgenland nur gemeinnützigen Unternehmen erlaubt, Pflegedienstleistungen anzubieten. Dieses Prinzip gesellschaftlicher Betriebslizenzen, das heute die Ausnahme einer profitmaximierenden Regel ist, gilt es zu vertiefen und auszuweiten – es muss als allgemeingültiges Wirtschaftsprinzip selbstverständlich werden. Erfüllen Unternehmen solche Kriterien nicht, dann können Betriebslizenzen entzogen und produktive Kapazitäten in gesellschaftlich nützliche Bereiche verlagert werden. So würde auch eine Wirtschaft denkbar, in der es nicht länger notwendig wäre, Dinge zu produzieren, die wir nicht brauchen (und uns ökologisch auch nicht länger »leisten« können), um durch die Besteuerung dieser Produktion, die (öffentliche) Produktion von gesellschaftlich notwendigen Dingen zu finanzieren. Wer schafft die Arbeit? Gesellschaften schaffen Arbeit.

Richard Bärnthaler ist Universitätsassistent am Institute for Multi-Level Governance and Development an der Wirtschaftsuniversität Wien, Mitglied des wissenschaftlichen Beirats des Kompetenzzentrums für Alltagsökonomie und Mitorganisator der 6. Alltagsökonomiekonferenz »Exploring the Foundational Economy for a Just Transition«, die vom 14. bis 16. September 2023 in Wien stattfindet und sich u.a. auch dem Thema gesellschaftlicher Betriebslizenzen widmet. Das gesamte Konferenzprogram findet sich hier. Die Anmeldung zur Konferenz ist kostenlos bis zum 5. September 2023 möglich: https://www.conftool.net/fec23/

Geschrieben von:

Richard Bärnthaler

Interdisziplinärer Sozialwissenschaftler

Hinweis

Guter Journalismus ist nicht umsonst…

Die Inhalte auf oxiblog.de sind grundsätzlich kostenlos. Aber auch wir brauchen finanzielle Ressourcen, um oxiblog.de mit journalistischen Inhalten zu füllen. Unterstützen Sie OXI und machen Sie unabhängigen, linken Wirtschaftsjournalismus möglich.

Zahlungsmethode

Betrag