Wirtschaft
anders denken.

Von wem fühlt sich Putin verstanden?

08.04.2022
Donald Trump hebt die rechte FaustFoto: Gerd Altmann

Von Peking im Osten und Rechtsextremisten im Westen. Ein Zwischenruf vom Blog bruchstücke.

Wer weiß schon, was in den Kremlbunker vordringt, was dort wie gewichtet, was lächerlich gemacht und was ernst genommen wird. Schon deshalb empfiehlt es sich, eilige Engführungen der politischen Debatte nicht einfach mitzumachen. Der Mainstream, dafür gibt es ihn, weiß Bescheid. Aber »Augen geradeaus« lässt den Horizont schrumpfen. In viele Richtungen zu schauen und zu denken, kann den Realitätsgehalt der Wahrnehmungen verbessern.

Wenn ein amerikanischer Präsident, der seine Wahlniederlage nicht anerkennen will, zum gewaltbereiten Sturm auf das Kapitol animiert,
wenn ein Technologie-Papst wie Peter Thiel der Demokratie eine klare Absage und deren aggressivsten Gegnern massive finanzielle Unterstützung erteilt,
wenn die Unabhängigkeit der Justiz und die Freiheit der Presse von Ungarn bis Texas rechtspopulistischen Angriffen ausgesetzt sind,
wenn rechtsextreme Terrortrupps Jagd auf Migranten und politische Gegner machen
– sind das Signale, die dem Kreml sagen: Du bist isoliert, denn niemand kann verstehen, dass du deine politischen Kritiker unterdrückst und ausschaltest; du stehst alleine, denn niemand außer dir findet Herren-Mentalität und Freund-Feind-Denken gut; du bist der einzige, der offene Gewalt für ein Mittel der Politik, Brutalität für notwendige Abschreckung und kriegerische Aggression unter Umständen für legitim hält?

Eine eingängige Erzählung, aber…

Als vorherrschende öffentliche Meinung hat sich festgesetzt, dass es die dialogorientierte, kooperationsbereite und ökonomisch interessierte Politik westlicher Regierungen war, die das Kremlregime zu dem kriegerischen Überfall auf die Ukraine geradezu eingeladen habe. Weil europäische Länder, allen voran Deutschland, friedliche Koexistenz mit Russland zum beiderseitigen Nutzen praktizierten und davon nicht lassen wollten, habe es die Kremldiktatur wagen können, ihre großrussischen Rache- und Expansionsgelüste in immer schlimmere Taten umzusetzen. Das alte russische Rezept, demokratiefeindliche Unterdrückung nach innen und gewalttätige Angriffe nach außen, das hätte man doch sehen müssen, hat in Putin einen Chefkoch gefunden, vergleichbar dem mit Hitler paktierenden Stalin, usw. usw… Eine eingängige Erzählung, aber wie realitätstüchtig ist sie?

Die klassische rechtspopulistische Methode, am Mainstream anzuknüpfen und ihn – garniert mit treuherzig-perfider Entrüstung »das wird man doch noch sagen dürfen« – auf niederträchtige Weise zuzuspitzen, der gefeuerte Bild-Chefmacho Julian Reichelt beherrscht sie noch: »Während die Ukraine im Horror von Angriffskrieg und Völkermord versinkt, schlendert Angela Merkel, Architektin dieses Wahnsinns, ganz entspannt mit Frau Schavan, die sie immer gut versorgt hat, durch Florenz.« Kein Zweifel, er hat nichts verlernt. Hat er schon getwittert, dass die Ostermarschierer den Weg gebahnt haben für den russischen Einmarsch in die Ukraine, oder kommt es erst noch?

Reichlich Kapital und eine mafiöse Moral

Die Zeitgeschichte der politischen Demokratien des Westens ist nicht nur von individuellen Freiheiten und menschenfreundlicher Pluralität geprägt, sondern auch von einer wirtschaftlich getriebenen Globalisierung, gestützt auf die ursprüngliche Akkumulation ökologischer Blindheit und sozialer Ungerechtigkeit. Vor allem aber haben – mindestens seit den Krisen des Finanzsystems, des Klimas und der Migration, aber auch schon in der strukturellen Arbeitsmarktkrise am Ende des 20. Jahrhunderts – rechtsextreme Weltbilder viel mehr Aufmerksamkeit und verstärkten politischen Zulauf bekommen. Das braune Erwachen betrifft führende Nationen wie die USA, Frankreich, England, Deutschland und viele andere, selbst skandinavische Länder. In der Nachbarschaft, in der Öffentlichkeit, in Parlamenten, sogar in Regierungen haben antidemokratisches Reden, frauenfeindliches Schwadronieren, rassistisches Verhalten, braunes Organisieren und nationalistische Hasskriminalität bis hin zu Morden nachweisbar zugenommen.

Die Frage stellt sich, wie viel Bestätigung die Kremldiktatur daraus ableitet, dass in den USA und in Europa genau die Abkehr von Humanismus und Aufklärung vermehrt Anziehungskraft ausübt, die in das eigene Weltbild und zu den eigenen politischen Handlungsweisen des Kreml passt?
Warum spielt im öffentlichen Diskurs die Frage keine Rolle, wie viel Motivationsschub für die Kremldiktatur davon ausgeht, dass im Westen bis in die Spitze führender Konzerne und bis in höchste politische Ämter hinein Brüder im demokratiefeindlichen, nationalistischen, rassistischen, gewalttätigen Geiste auftreten?
Wie sehr stärkt es Putin, dass er sein Verständnis von Politik – als Kumpanei zwischen Kerlen mit keinerlei Skrupel, reichlich Kapital und einer mafiösen Moral, immer auf der Jagd nach Selbstbedingungsgelegenheiten und auf der Hut vor Verrätern – in westlichen Ländern auf der Überholspur sieht? Es sind Peking im Osten und der Rechtsextremismus im Westen, die dem Krieg des Kreml Rückendeckung geben.

Geschrieben von:

Hans-Jürgen Arlt

Professor für strategische Organisationskommunikation

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