Wirtschaft
anders denken.

Weg mit dem deutschen Auto

22.04.2022
Auf gelben Hintergrund steht das Cover des Buchs Kampf der Nationen, in dem es um europäischen Wettbewerb geht

Im europäischen Wettbewerb zählt Optimierung statt Innovation. Rezension von »Kampf der Nationen«.

Im Jahre 2026 hat sich die Grand Nation prächtig entwickelt. Mit ein bisschen mehr Protektionismus, als sich die EU wünscht, brachte Wirtschaftsminister Bruno Juge den Industriestandort Frankreich zurück. Die nationale Autoindustrie triumphiert über die deutsche Konkurrenz und verdrängt diese gar aus dem Luxusbereich. Die hohen Arbeitslosenzahlen sind egal, der Wirtschaft geht es gut. Mit dieser Zukunftsvision zeichnet Michel Houellebecq in seinem jüngsten Roman »Vernichten« eine mögliche wirtschaftlichen Entwicklung Frankreichs.

Das ist nur ein Buch. Doch die Erzählung des kontroversen Autors analysiert die Verwerfungen zwischen Nationen in der internationalen Konkurrenz, die meist lieber Wettbewerb genannt wird. Houellebecq erkennt die wirtschaftliche Symbolik des Automobils in Europa und den darunterliegenden Konflikt der Bundesrepublik mit den französischen Fahrzeugherstellern. Er greift diese Vision nicht aus dem luftleeren Raum. Die Verhärtung des protektionistischen Kurses in Zeiten unsicherer Weltwirtschaft ist im Bereich des Möglichen – wenn nicht schon Realität. Der vielgelobte Wettbewerb bringt weniger Innovation hervor, wird jedoch zu einem Unterbietungskampf um die günstigeren Produktionsfaktoren, die soziale Standards unterlaufen. Das zeigen aktuelle Untersuchungen zum wirtschaftlichen Wettbewerb.

So führt auch Entwicklungsökonom Patrick Kaczmarczyk in seinem neuen Buch »Kampf der Nationen« das Beispiel der Autoindustrie an. Er vergleicht – wie Houellebecq, nur wissenschaftlich – die wirtschaftliche Entwicklung des Sektors in Deutschland und Frankreich. An den Unterschieden zwischen den Nationen und vor allem der Konkurrenz der Produzenten lässt sich die vorherrschende Form des Wettbewerbs aufzeigen.

Zählt in der Bundesrepublik die Automobilindustrie zu den Schlüsselsektoren auf dem aufsteigenden Ast, kränkeln die französischen Autobauer besonders seit der Finanzkrise. Mit nicht ausgelasteten Werken und fehlenden Outsourcing-Potenzialen ins osteuropäische Ausland kommen sie nicht an die Kostenersparnisse der Deutschen heran. Die Inlandsproduktion geht im Gegensatz zu Deutschland kontinuierlich zurück. Ein Grund hierfür ist wohl auch die Agenda 2010. Mit den Arbeitsmarktreformen ergatterten die deutschen Großmarken wie Volkswagen oder Daimler kostengünstigere Produktionsbedingungen beim Lohn. Der Standortzwang hat Gewerkschaften vor dem Kapital einknicken lassen und dem Optimierungsdruck bei den Kosten stattgegeben – zulasten des inländischen Konsums und mit der Folge immer weiter sinkender Preisen bei den deutschen Fahrzeugen.

Noch drastischer fällt der Unterschied bei den Finanzierungsmöglichkeiten aus. Mehr als die Hälfte des Absatzes werden in der Bundesrepublik durch die eigene Autobank finanziert. Es drängt sich die Frage auf, ob deutsche Autokonzerne Fahrzeugproduzenten mit eigener Leasing-Abteilung sind oder Banken mit angeschlossener Autoproduktion. Die deutschen Konzerne haben jedenfalls günstigere Bedingungen zur Finanzierung dieser Autokredite aufgrund der hierzulande Staatsanleihen mit niedrigen Zinsen. Sie geben den Akteur:innen auf dem Finanzmarkt einen niedrigen Korridor vor, der die Ausgabe von Krediten attraktiver macht. Autokredite werden billiger.

Hierbei bestehen Unterschiede zwischen den europäischen Nationen. Aufgrund der relativen Stärke der deutschen Wirtschaft im Vergleich zu Frankreich würde sich die nationale Währung eigentlich anpassen. Mit dem europäischen Euro geht das nicht, dieser bezieht sich auf alle Euroländer. Die Deutschen können davon profitieren. Schwacher Euro bei gleichzeitiger wirtschaftlicher Stärke.

Zugleich ist der Ruf um das technisch überlegende deutsche Auto wohl mehr Schein als Sein. Auch die Kosten für Forschung und Entwicklung werden in Wolfsburg, Stuttgart oder Ingolstadt gedrückt. Das zeigt Kaczmarczyk anhand vieler Indikatoren. »Wirkliche Innovation sieht anders aus«, schlussfolgert er. Optimierung statt Innovation, lautet das Motto. Deutsche Firmen senken Kosten, wo sie können, um den Preis zu drücken, vernachlässigen auch nicht unbedingt den technischen Fortschritt, Investitionen in Innovation bleibt jedoch auf dem nötigen Niveau, um mitzuhalten. Währenddessen sind Manger, die zu französischen Herstellern wechseln, überrascht vom technischen Vorsprung der Firmen. Wahrer Vorsprung durch Technik. Unter ungleichen finanziellen Voraussetzungen bringt das jedoch kaum etwas.

Was Kaczmarczyk in Interviews mit Expert:innen der Branchen, die immer wieder auch zitiert werden, herausfindet, sollte auch Marktgläubige überzeugen, dass ihr Wettbewerb um jeden Preis – im wahrsten Sinne des Wortes – nicht funktioniert. Die Interviewten wissen das. Die gesamtgesellschaftliche Innovationsfähigkeit wird im Preiskampf von den Firmen nicht betrachtet. Dabei würde genau diese Entwicklung der Innovation Grundlage eines schumpeterianischen Wettbewerbs sein, der nicht im kostendrückenden Überlebenskampf endet, sondern Unternehmen zu neuen innovativen Höchstleistungen antreibt. Das bedeutet nicht, dass es keinen Wettbewerb mehr unter den Firmen gibt, aber besonders viel hat das mit der momentanen Situation auch nicht zu tun. Eine von dem Entwicklungsökonom vertretene Wettbewerbstheorie mit Fokus auf die Makroökonomie zielt auf nationale Kooperation. In diesem Sinne muss man wohl Kaczmarczyks Forderung auf dem Buchrücken lesen: »Weniger Wettbewerb, mehr Kooperation!«

Kaczmarczyk, Patrick: »Kampf der Nationen«, Frankfurt (Main), Westend Verlag 2022

Geschrieben von:

Philip Blees

OXI-Redakteur

Hinweis

Guter Journalismus ist nicht umsonst…

Die Inhalte auf oxiblog.de sind grundsätzlich kostenlos. Aber auch wir brauchen finanzielle Ressourcen, um oxiblog.de mit journalistischen Inhalten zu füllen. Unterstützen Sie OXI und machen Sie unabhängigen, linken Wirtschaftsjournalismus möglich.

Zahlungsmethode

Betrag