Wirtschaft
anders denken.

Wie die Regierung 25 Milliarden durch heruntergerechnete Regelsätze bei Hartz IV spart

17.05.2018
Bernd Schwabe , Lizenz: CC BY-SA 3.0

Die Hartz-Regelsätze sind zu niedrig, weil es politisch so gewollt ist. Der Hebel ist ein fragwürdiges Berechnungsverfahren, und einer der Gründe liegt ganz woanders: bei drohenden Einbußen bei der Einkommensteuer. Ausblick auf eine Monitor-Sendung.

Wie die Schwarze Null und die düsteren Lebensaussichten von Hartz-Empfängern zusammenhängen? Darauf wirft nun abermals das Politmagazin Monitor ein Schlaglicht: »Die Bundesregierung hat in den letzten Jahren den Regelsatz für Hartz IV-Empfänger systematisch nach unten gerechnet – mit weitreichenden Folgen auch für Rentner und Einkommenssteuerzahler«, heißt es in einer Mitteilung zu der Sendung. Um wie viel es geht? Die Regierung spare »damit insgesamt 25 Milliarden Euro pro Jahr«.

Mit den gültigen Regelsätzen, so die ARD-Kollegen, werde den wenigsten Empfängern auch »ein Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben« ermöglicht, wie es das Bundesverfassungsgericht eigentlich fordert. Zitiert wird dazu unter anderem der ehemalige Vorsitzende am Landessozialgericht Hessen, Jürgen Borchert, mit den Worten: »Das ist mit den Regelsätzen, die wir jetzt haben, mit Sicherheit nicht mehr der Fall.«

Insgesamt würden sich die Einbußen für Hartz IV-Empfänger und Rentner auf rund 10 Milliarden Euro jährlich belaufen, so die ARD – »wenn man den Betrag von 571 Euro mit dem derzeit gültigen Satz von derzeit 416 Euro monatlich vergleicht«. Die Bundesregierung erklärte dazu, die Frage der Höhe des Regelbedarfs und des soziokulturellen Existenzminimums sei »nicht vorrangig eine Frage des Berechnungsverfahrens – sie muss politisch beantwortet werden«.

Die Höhe des Regelsatzes kommt also nicht von ungefähr, sie ist politisch gewollt so niedrig. Der Hebel ist die Methode, die zur Berechnung angesetzt wird: »Ursprünglich galten als Grundlage für die Hartz-IV-Sätze die Ausgaben der einkommensschwächsten 20 Prozent der Gesellschaft«, so Monitor. Dies zur Grundlage genommen, »käme man auf einen Regelsatz von 571 Euro monatlich. Allerdings wurde die Berechnungsgrundlage schon 2011 verändert: Statt der unteren 20 Prozent gelten heute nur noch die Ausgaben der unteren 15 Prozent der Bevölkerung als Grundlage für die Berechnung des Regelsatzes für Erwachsene. Außerdem werden zahlreiche Ausgaben nachträglich nicht anerkannt und entweder ganz oder teilweise gestrichen. Dies betrifft vor allem die statistischen Ausgaben für Verkehrsmittel, Gaststättenbesuche, Reisen, Tabak oder Alkohol.«

Wie die Bundesregierung gegenüber Monitor reagierte? Mit einer erstaunlichen Aussage, wie die ARD mitteilt. Demnach müssten nicht »alle zur Verfügung stehenden Daten vollständig verwendet werden«, die bei der Erhebung gewonnen werden. Das ist nach Ansicht von Irene Becker, einer Expertin für Verteilungsforschung, »methodisch unsauber«. Das Ziel, das Existenzminimum zu errechnen, werde durch die Kürzungen systematisch unterlaufen. Auch weil so genannte »verdeckt Arme« bei den Berechnungen nicht herausgerechnet werden. »Verdeckt Arme« sind Menschen, die eigentlich ein Anrecht auf Sozialleistungen haben, aber keine beantragen – immerhin rund 40 Prozent aller Menschen, die derartige Ansprüche geltend machen könnten. Durch solche Rechentricks werde der Regelbedarf weiter abgesenkt.

Das Magazin zitiert auch den Sozialexperten Stefan Sell von der Hochschule Koblenz. Er verweist in der Sendung noch darauf, dass die Bundesregierung  die Regelsätze versucht niedrigzuhalten, weil Einbußen bei der Einkommensteuer drohen. Monitor: »Der Grundfreibetrag, also der Betrag, bis zu dem keine Einkommensteuer gezahlt werden muss, leitet sich nämlich aus dem Hartz IV-Satz ab. Dementsprechend würde sich der Freibetrag bei jedem Einkommensteuerpflichtigen schlagartig deutlich erhöhen: 155 Euro monatlich mehr Hartz IV hießen 1.860 Euro pro Jahr mehr Freibetrag für jeden Steuerzahler.« Der Fiskus würde dann nach ARD-Berechnungen 15 Milliarden Euro im Jahr verlieren. Stefan Sell halte »dies für den zentralen Grund, ›warum die Politik eine Anhebung der Hartz IV-Sätze scheut wie der Teufel das Weihwasser‹.«

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