Wirtschaft
anders denken.

Wie hängen Ungleichheit und Wachstum zusammen? Der OXI-Überblick

01.11.2017
Sebastian Grünwald, Lizenz: CC BY-SA 3.0

Die frühere CDU-Politikerin Kristina Schröder fordert mehr »Akzeptanz von Ungleichheit«, weil diese »Triebfeder der Marktwirtschaft« sei – und unter dem Strich den Staat wohlhabender macht und also allen zugute kommt. Studien widersprechen dieser Sichtweise.

Kristina Schröder war einmal Familienministerin für die CDU, nun ist sie Kolumnistin bei der »Welt« – und hat in ihrem Autorinnenaufschlag dort mehr »Akzeptanz von Ungleichheit« gefordert. Diese sei »die zentrale Triebfeder der Marktwirtschaft. Durch sie lohnt es sich, sich anzustrengen, etwas zu leisten. Und durch die Summe aller Anstrengungen wird ein Staat dann oft so wohlhabend, dass er auch den Ärmsten ein deutlich besseres Leben bieten kann als in einer stark egalitären Gesellschaft«, so Schröder. Die Ex-Politikerin hat sich übrigens seinerzeit mit einer Studie über »Gerechtigkeit als Gleichheit« in Politikwissenschaften promoviert.

Einmal von der Rhetorik abgesehen, die Schröder in Stellung bringt, und in der eine deutliche Abneigung gegen den »ewigen Sound der sozialen Gerechtigkeit« erkennbar wird, wäre zu fragen: Stimmt es denn überhaupt, dass Ungleichheit die »zentrale Triebfeder der Marktwirtschaft« ist, vor allem: dass sie unter dem Strich dazu führt, dass der Staat »so wohlhabend« wird, dass auch umverteilungspolitisch etwas an jene fließen kann, die geringe Einkommen, kein Vermögen, die also vor allem Sorgen und Nöte haben?

Ungleichheit drosselt Wachstum, sagen OECD, DIW, IWF

Nicht wenige Experten sehen das anders. 2014 hatte eine OECD-Studie für Aufmerksamkeit gesorgt, in der wegen der gewachsenen Einkommensungleichheit »ein merklich« negativer Einfluss auf das Wirtschaftswachstum attestiert wurde. In der Bundesrepublik hätte das inflationsbereinigte Bruttoinlandsprodukt pro Kopf zwischen 1990 und 2010 um »fast sechs Prozentpunkte höher ausfallen können«, wenn die Ungleichheit nicht gewachsen wäre, so die OECD-Experten.

2016 ermittelte das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung DIW im Auftrag der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung, wie stark Ungleichheit die Wirtschaftsleistung hierzulande drosselt: »Das Wachstum der deutschen Wirtschaft wäre seit der Wiedervereinigung kumuliert um rund zwei Prozentpunkte höher gewesen, wenn die Einkommensungleichheit konstant geblieben wäre«, so das DIW unter Berufung auf Simulationsrechnungen. »Das reale Bruttoinlandsprodukt hätte im Jahr 2015 gut 40 Milliarden Euro über seinem tatsächlichen Wert gelegen.«

Das unternehmensnahe IW Köln sagt dagegen: »nicht haltbar«

Das unternehmensnahe Institut der deutschen Wirtschaft in Köln hielt damals dagegen: Der Befund des DIW sei »nicht haltbar«. Eigene Berechnungen zeigten »zwar, dass die Ungleichheit einen negativen Einfluss auf das Wachstum haben könnte. Allerdings nicht generell, sondern in Volkswirtschaften mit einem geringen Bruttoinlandsprodukt«. Für »Industrienationen wie Deutschland« sei dieser Zusammenhang »wenn überhaupt nachweisbar, eher positiv, weil Ungleichheit die Anreize für Unternehmertum und Innovationen steigert«. So sieht es auch Kristina Schröder. Das IW Köln verwies darauf, dass seiner Meinung nach erst »ab einem Gini-Koeffizienten von etwa 0,35 wahrscheinlicher wird, dass Ungleichheit das Wirtschaftswachstum hemmt«. Der Gini-Koeffizient liege aber hierzulande bei 0,29 – anders als in den USA, wo der Wert knapp 0,40 betrage, es als »tatsächlich nicht so rosig« aussehe.

Vor nicht allzu langer Zeit schaltete sich auch die gewerkschaftsnahe Hans-Böckler-Stiftung in die Debatte ein. »Wie sich Ungleichheit auf die wirtschaftliche Entwicklung auswirkt, ist in der Forschung umstritten«, hieß es in einer Übersicht über Studien. »In jüngster Zeit vertreten Wissenschaftler häufiger die Position, dass zunehmende Einkommensungleichheit einen negativen Einfluss hat.«

Wie Chancen- und Ergebnisgleichheit zusammenhängen

Bei der Beurteilung solcher Studien sei »zwar Vorsicht geboten, da ein geringes Wirtschaftswachstum in einzelnen Ländern ebenfalls zum Anstieg der Ungleichheit beigetragen hat – die Wirkungsrichtung ist hier also umgekehrt. Gegenwärtig erscheint es jedoch wahrscheinlich, dass zunehmende Ungleichheit zu einem schwächeren gesamtwirtschaftlichen Wachstum führt«, so die Böckler-Stiftung. Verwiesen wurde dabei unter anderem auf eine Analyse des Internationalen Währungsfonds, die herausgefunden hätten, »that income inequality negatively affects growth and its sustainability«.

»Es gibt in unserem Land eine tiefe Sehnsucht nach Gleichheit. Und zwar nicht nur nach Chancengleichheit, sondern auch nach Ergebnisgleichheit«, schreibt Schröder – und es soll als Kritik am Streben nach letzterer verstanden werden. Eine Kritik, die Schröder mit einem abenteuerlichen Bild von der »Nivellierung nach unten« und einem »Trockenbrot für alle« zu illustrieren sucht.

Dass beide – Chancengleichheit und Ergebnisgleichheit – direkt miteinander zu tun haben, kann beim britischen Ökonom Anthony B. Atkinson nachgelesen werden. In seinem letzten Buch »Ungleichheit. Was wir dagegen tun können«, heißt es unter anderem: »Wenn es uns um künftige Chancengleichheit geht, müssen wir uns mit der gegenwärtigen Ergebnisungleichheit beschäftigen… Folglich ist die Verringerung der Ergebnisungleichheit auch für all jene von Bedeutung, denen es letztlich um Chancengleichheit geht.«

Zum Weiterlesen

Hanne Albig u.a.: Wie steigende Einkommensungleichheit das Wirtschaftswachstum in Deutschland beeinflusst, DIW Wochenbericht Nr. 10, März 2017

Jan Behringer, Thomas Theobald, Till van Treeck: Ungleichheit und makroökonomische Instabilität: Eine Bestandsaufnahme, WISO Diskurs, FES, 2016

Federico Cingano: Trends in Income Inequality and its Impact on Economic Growth, OECD Social, Employment and Migration Papers No. 163, 2014

Era Dabla-Norris u.a.: Causes and Consequences of Income Inequality: A Global Perspective, IMF Staff Discussion Note, Juni 2015

OECD: In It Together – Why Less Inequality Benefits All, Mai 2015

Jonathan D. Ostry, Andrew Berg, Charalambos G. Tsangarides: Redistribution, In­equality, and Growth, IMF Staff Discussion Note, Februar 2014

Geschrieben von:

OXI Redaktion

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