Wie Städte in soziale Zonen auseinanderfallen: OXI-Überblick zu einer neuen Studie über Segregation
In deutschen Städten bleiben Arme immer mehr unter sich – natürlich nicht freiwillig, sondern aufgrund von sozialem und ökonomischem Druck. Das ist das Ergebnis einer neuen Studie. Die soziale Entmischung betrifft vor allem Familien mit Kindern. Und auch die unterschiedlichen Altersgruppen ballen sich immer stärker.
»Segregation« ist ein hässliches Wort, es bezeichnet in den Sozialwissenschaften »den Vorgang der Entmischung von unterschiedlichen Elementen in einem Beobachtungsgebiet«, also eine Entwicklung, bei der Arme, Migranten und bestimmte Altersgruppen immer stärker unter sich bleiben – nicht als Ergebnis freiwilliger Entscheidung, sondern aufgrund von sozialem und ökonomischem Druck.
Jetzt haben Stefanie Jähnen und Marcel Helbig die räumlich ungleiche Verteilung der Wohnstandorte verschiedener Bevölkerungsgruppen in 74 bundesdeutschen Städten unter die Lupe genommen. »Die Studie ist damit die umfangreichste, die die soziale Segregation mit amtlichen Daten untersucht«, heißt es von den beiden Autoren, die am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung arbeiten. Und sie verweisen auch gleich auf ein Problem der Forschung zur »Entmischung«, die man auch »soziale Spaltung« nennen könnte: »Wir messen sie als Armutssegregation, weil in Deutschland keine Daten zur räumlichen Verteilung von Reichen verfügbar sind.«
»Wie brüchig ist die soziale Architektur unserer Städte?«, ist die Untersuchung über »Trends und Analysen der Segregation« überschrieben – das Ergebnis fällt deutlich aus und bestätigt, was in der Diskussion über Verdrängung in Städten schon oft angemerkt wurde: Erstens, »dass die Segregation der Armen ab Mitte der 1990er Jahre bis 2004 zugenommen hat« und sich diese Entwicklung »auch nach der Hartz-IV-Reform des Jahres 2005 fortsetzt«. Die beiden Forscher: »In vielen deutschen Städten ballen sich Personen«, die Sozialleistungen beziehen »zunehmend in bestimmten Stadtteilen. Besonders hat sich die Situation in den meisten ostdeutschen Städten verschärft.« Es bestünden aber zwischen den Städten und Regionen auch »erhebliche Unterschiede hinsichtlich der Entwicklung und dem aktuellen Ausmaß sozialer Segregation«.
Quartiere, in denen über 50 Prozent aller Kinder von Hartz leben
Dieser Prozess des ganz praktischen Auseinanderfallens von Städten in soziale Zonen ist zudem »bei Kindern bzw. Familien mit Kindern stärker ausgeprägt als bei der Gesamtbevölkerung«. Dies fällt vor allem auf, wenn man sich ansieht, wo Kinder bzw. Familien mit Kindern wohnen, die von Hartz-Leistungen leben müssen. Die Studie dazu: »Trotz des Wirtschaftsaufschwungs im letzten Jahrzehnt gibt es mittlerweile in 36 der untersuchten Städte Quartiere, in denen mehr als 50 Prozent aller Kinder von Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch II leben«. Und das bleibt nicht ohne Folgen: Wie die Literatur zu Nachbarschaftseffekten zeigt, »hat diese Konzentration sozial benachteiligter Kinder das Potenzial, sich negativ auf die Lebenschancen der jungen Bewohner in diesen Quartieren auszuwirken«.
Ein drittes Ergebnis der Untersuchung: Die »ungleiche Verteilung von Ausländern in den deutschen Städten« habe abgenommen. »War die Segregation der Armen lange Zeit geringer als die von Personen ohne deutschen Pass, so ist es mittlerweile umgekehrt.« Allerdings nimmt die Studie nur Daten bis 2014 in den Blick, es bleibe also eine offene Frage, wie sich die gestiegen Zahl von Flüchtlingen ab Sommer 2015 auf diese Entwicklung womöglich ausgewirkt hat.
Zunehmende Segregation nach Altersgruppen
Interessant ist ein bisher eher unbeachteter Aspekt, auf den die Studie hinweist: Es komme in Städten »zu einer zunehmenden Segregation nach Altersgruppen. Genauer gesagt ballen sich sowohl die 15- bis 29-Jährigen als auch die ab 65-Jährigen immer stärker in bestimmten Stadtteilen.« Die Indexwerte – eine Art Maßeinheit für die soziale Spaltung – sei zwar hier noch »weit entfernt vom Niveau der sozialen und ethnischen Segregation. Allerdings ist nicht absehbar, dass sich die Entwicklung bei den genannten Altersgruppen abschwächt.« Also könnte auch das Auseinanderdriften der Wohnorte zwischen Alt und Jung noch weiter zunehmen.
Der zweite Teil der Untersuchung ist der Nahaufnahme gewidmet, es geht hier dann um Fragen wie die, ob und wie die soziale Spaltung dort stärker wächst, »wo mehr Familien mit kleinen Kindern leben«, wie sich der Anteil der Hartz-Bezieher auswirkt oder die Existenz von privaten Grundschulen, die »sozial bessergestellte Eltern« dazu bringen, »seltener aus benachteiligten Quartieren wegziehen«. Es handelt sich hier allerdings um eine Art Seitwärtsbewegung: »Im Gegenzug ist davon auszugehen, dass die soziale Trennlinie dann zwar weniger zwischen den Wohnquartieren, aber stärker zwischen öffentlichen und privaten Grundschulen verläuft.«
Welchen Effekt haben Miete und Sozialwohnungsbau?
Die Studie nimmt auch in den Blick, welcher Zusammenhang zum Beispiel mit der Wohnungsfrage besteht. Hierzu schreiben Stefanie Jähnen und Marcel Helbig, »die Höhe der Mieten hat entgegen unserer Annahme keinen verstärkenden Einfluss auf die soziale Segregation in einer Stadt«. Dagegen steige die Armutssegregation »überraschenderweise … mit dem Anteil von Sozialwohnungen«. Erklärung: »Das bedeutet aber nicht, dass der soziale Wohnungsbau die soziale Segregation nicht wirkungsvoll eindämmen kann. Vielmehr weisen die Ergebnisse darauf hin, dass sich Sozialwohnungen in den Gebieten konzentrieren, wo ohnehin schon die meisten Armen wohnen«.
Für Ostdeutschland belegt die Studie, »dass Magdeburg und Dresden im Unterschied zu den anderen ostdeutschen Städten eine relativ geringe soziale Segregation aufweisen« – was die Autoren sozusagen historisch begründen: Wegen der starken Kriegszerstörung seien dort »andere städtebauliche Pfade« beschritten worden. Dies fällt vor allem im Vergleich zu anderen ostdeutschen Städten auf: »In Rostock, Erfurt, Potsdam, Weimar oder Halle ergab sich durch die sozialistischen Plattenbauten am Rande der Städte und die nach der Wende ›blühenden Landschaften‹ in Form von Innenstadtsanierung und Suburbanisierung eine enorme architektonische Schere.« Dies habe auch »die soziale Schere« größer werden lassen: »In den Plattenbaugebieten leben vergleichsweise viele SGB-II-Bezieher.«
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