Wirtschaft
anders denken.

Wir geben Ihrer Zukunft ein Zuhause

15.06.2018
Tim Tregenza , Lizenz: CC BY-SA 3.0

Im Bundestag gibt es einen Beirat für nachhaltige Entwicklung. Über den wird nicht oft berichtet. Das ist eigentlich schade, den es geht um unsere Zukunft. Über Globalisierung, Digitalisierung und Nachhaltigkeit als Transformationswellen – und Debatten, die schon André Gorz versucht hat anzustoßen.

»Vor dem Parlamentarischen Beirat für nachhaltige Entwicklung hat der Soziologe und Leiter des Instituts für transformative Nachhaltigkeitsforschung Potsdam (IASS), Professor Ortwin Renn, am Mittwochabend über ›Aktuelle Herausforderungen der Nachhaltigkeitspolitik‹ gesprochen. Die Entwicklung der Welt sei gegenwärtig von drei großen Transformationswellen geprägt, sagte Renn vor den Abgeordneten. Dies seien die Globalisierung, die Digitalisierung und die Nachhaltigkeit. Die drei Prozesse würden parallel laufen und vereinten in sich auch Brüche und Widersprüche. Beleg dafür seien unter anderen die Gegenbewegungen bei der Globalisierung.« So las sich eine Meldung des Kurznachrichtendienstes des Deutschen Bundestages am 14. Juni. 

Über den Parlamentarischen Beirat für nachhaltige Entwicklung (PBnE) wird nicht allzu viel berichtet. Was sich in gängigen Suchmaschinen finden lässt, ist im wesentlichen Hausmannskost des Bundestages. Die klingt beispielsweise so: »Seit mehr als zehn Jahren hat die Zukunft einen festen Platz im Deutschen Bundestag: Mit dem Parlamentarischen Beirat für nachhaltige Entwicklung wurde Nachhaltigkeit auf die Parlamentsebene geholt.« Unbeholfen also. 

Denn das die Zukunft einen festen Platz hat, dafür braucht sie den Bundestag nicht. Sie wird so oder so kommen – wie ein Naturgesetz geradezu und das war schon immer das Schöne an der Zukunft. Aber ja und immerhin: Vor zehn Jahren wurde sich das Parlament dessen bewusst, dass Nachhaltigkeit vielleicht ein Thema ist, dem man sich hin und wieder widmen sollte. Das soll auch nicht kleingeredet werden. 

Dem Beirat gehören 17 ordentliche Mitglieder an, sechs von der CDU/CSU, drei von der SPD und je zwei aus den Oppositionsfraktionen. Über Quotierung müssen wir nicht reden, die ist – vor allem bei der CDU/CSU – unter aller Würde. Bereits in der 15. Wahlperiode hat man sich entschlossen, im Beirat Beschlüsse nach Möglichkeit im Konsens zu fassen, um eine größere Wirkungsmächtigkeit gegenüber dem Parlament zu haben. Ob das angesichts einer Opposition, bestehend aus FDP, AfD, Grünen und Linken, zu halten ist, sei dahingestellt. Die Diskussion darüber könnte ganz interessant sein. 

Es ist anzunehmen, dass der Beirat sowohl dem Wunsch nach einem gefälligen Feigenblatt entspricht, als auch einem nicht mehrheitlichen, aber vorhandenem politischen Willen, sich dem Thema Nachhaltigkeit vielleicht etwas nachhaltiger zu widmen, als es allgemein der Fall ist. Was ja verhaltenem Optimismus Vorschub leisten könnte, angesichts jener Wachstumsprediger, die befinden, dass auch die Beseitigung besonders vieler durch Klimawandel beförderter Naturkatastrophen zur Steigerung des Bruttosozialprodukts beiträgt und somit nicht schlecht sein kann. 

Für das Feigenblatt spricht, dass der Beirat keine Deutungsmacht hat, stattdessen nur Empfehlungen abgeben kann.

Zitat Bundestag: »Im Parlament hat der Beirat eine ›Wachhund-Funktion‹. Es wird ›gebellt‹, sobald ein Vorhaben die Nationale Nachhaltigkeitsstrategie außer Acht lässt. Mit Anhörungen und Positionspapieren werden Debatten angestoßen. So ist der Beirat heute ein wichtiger und lebendiger Bestandteil des Parlaments.« 

Wichtig, lebendig, Debatten anstoßen sind Worthülsen, die so oder abgewandelt bei vielen Gremien und Einrichtungen angewandt werden, deren Handeln für das Parlament nur dann nicht folgenlos bleibt, wenn es das mehrheitlich will. Kinderkommission, Enquete-Kommissionen, sie alle folgen in der Rhetorik dem Versuch, das eigene Handeln, dem es an wirklichem Spielraum mangelt, aufzuwerten. Die Wachhund-Metapher ist einfach nur unglücklich, das hat selbst dieser Beirat nicht verdient. 

Kurz zurück zum Soziologen Ortwin Renn, der am 14. Juni vor dem Beirat für nachhaltige Entwicklung reden durfte und mit Globalisierung, Digitalisierung und Nachhaltigkeit drei große Transformationswellen in der gegenwärtigen Entwicklung ausmacht. Er selbst sagt, diese drei Prozesse würden parallel laufen, was uns ängstigen sollte. Denn im Umkehrschluss heißt dies, weder die Globalisierung noch die Digitalisierung beinhalten Nachhaltigkeit, die nach dieser Beschreibung sozusagen ein eigener Prozess ist und somit den Dingen nicht immanent. Schlimm genug. 

Dass diese drei Prozesse laut Ortwin Renn in sich Brüche und Widersprüche vereinen, klingt erst mal sehr simpel, dass Renn als Beleg dafür die »Gegenbewegungen bei der Globalisierung« anführt, obwohl die Globalisierung der eigentliche Bruch und zugleich Widerspruch ist, ebenso stark vereinfachend. Der Leiter des Instituts für transformative Nachhaltigkeitsforschung Potsdam (IASS) war per Nachfrage durch Abgeordnete gebeten, auf den Begriff der Postwachstumsgesellschaft einzugehen und erklärte, dass die Wirtschaft erstens von Dynamik lebe, es zweitens schwer sei, auf ein Null-Wachstum zu steuern und im Übrigen Null-Wachstum auch nicht zwingend nachhaltig sei. 

Das sind interessante Aussagen und – zumindest in Bezug auf den Zusammenhang zwischen Null-Wachstum und Nachhaltigkeit – auch spannende Steilvorlagen. Darüber müsste und muss diskutiert werden. Ob sinkendes oder gar nicht mehr vorhandenes Wachstum per se einen Beitrag zur Nachhaltigkeit leistet oder nicht.

Eine sehr theoretische Frage angesichts der Tatsache, dass der Kapitalismus ohne Wachstum nicht denkbar und nicht lebensfähig ist. »Die gute Nachricht: Kapitalismus ohne Wachstum gibt es nicht«, schrieb die Ökonomin Friederike Habermann schon 2014 in einem Text über Degrowth und Postkapitalismus. Kapitalismus ist Wachstum, sagt die taz-Journalistin Ulrike Herrmann.

Die Diskussionen über die Grenzen des Wachstums und die Frage, ein Wirtschaftssystem, das diese Grenzen anerkennt, überhaupt noch Kapitalismus sein kann oder eben anders – bis heute unbeholfen »Postkapitalismus« – heißen muss, ist in vollem Gange, allerdings nicht in Parlamenten. Da gehört die Debatte auch nicht hin, allein deshalb, weil Parlamente damit überfordert sind und am Ende bei Sätzen landen, in denen die Zukunft ein Zuhause bekommt. 

Interessant – wenn auch geradezu in einem Nebensatz erwähnt: Renn spricht sich vor dem Hintergrund der mit der Digitalisierung verbunden erhöhten Wertschöpfung für ein gerechtes Steuersystem aus und nennt die sogenannte Maschinensteuer als eine Möglichkeit. Der Subtext besteht erstens in der Binsenweisheit, dass das vorhandene Steuersystem nicht gerecht ist (aber immer schön, das aus berufenem Munde zu hören) und zweitens stellt sich die Frage, ob ein Beirat, wie der PBnE sich tatsächlich eines so spannenden und natürlich umstrittenen Themas, wie der Maschinensteuer annähme. Guten Willens, auch hier einen Konsens zu erlangen, um mehr Druck auf das Parlament ausüben zu können. 

Die Debatte über die Maschinensteuer, die gern auch Robotersteuer genannt wird, ist da, sie ist ein zartes Pflänzchen, aber keine neue Diskussion.

Der Sozialphilosoph André Gorz beispielsweise hat sich in »Wege ins Paradies« und im Zusammenhang mit der Auseinandersetzung über bedingungsloses Grundeinkommen mit dem Thema auseinandergesetzt, weil er davon ausging, dass die Produktion aller notwendigen Güter irgendwann ein so kleines Quantum menschlicher Arbeit benötigen wird, dass niemand mehr wird dem dafür gezahlten Stundenlohn leben können. 

»Aus der Automatisierung der Produktion folgt notwendig das Erlöschen der Lohnarbeit, der Marktmechanismen und des Arbeitswertes; und es ist implizit mit der Idee einer Lebensarbeitszeit verbunden und in der Idee der Einkommensgarantie auf Lebenszeit enthalten. Sobald das Wesentliche der gesellschaftlichen Produktion nicht aus der Arbeit der Individuen, sondern aus der Leistungsfähigkeit der eingesetzten Mittel resultiert – Mittel, die selbst nur ein geringes Quantum direkter Arbeit erfordern – läßt sich das ›Recht auf Arbeit‹ nicht mehr mit dem Recht auf lohnabhängige Beschäftigung vermengen; es muß einerseits zum Recht des Bürgers auf ein lebenslängliches Einkommen werden, das dessen Anteil am gesellschaftlich produzierten Reichtum darstellt, und andererseits muß es das Recht des Zugangs zu denjenigen Mitteln sein, mit denen die gesellschaftlich nicht programmierbaren Güter entworfen und hergestellt werden – jene Güter, die man außerhalb des Marktes, auf der Ebene der basisgenossenschaftlichen Gemeinschaft oder Vereine benutzen, konsumieren, austauschen will. Dies ist der Bereich der autonomen Tätigkeiten.« (Das Blog www.neue-debatte.com hat sich mit Gorz im Rahmen einer 9-teiligen Debatte über die Automatisierung und deren Auswirkung auf die Gesellschaft lesenswert befasst.)

Die Besteuerung nicht-menschlicher Arbeit ist eine Diskussion, die seit langem geführt wird und erfüllte für Gorz zwei Aufgaben: Sie würde das Grundeinkommen, den Soziallohn, finanzieren und ersetzte den Marktpreis durch einen politischen Preis. 

Das alles sind interessante Debatten, mit denen sich der Parlamentarische Beirat für nachhaltige Entwicklung aber eher nicht befasst. Stattdessen ist sein Kompass die Nachhaltigkeitsstrategie der Bundesregierung, die in diesem Jahr fortgeschrieben werden soll. Von der wir wissen, dass es schon gut ist, sie zu haben, aber dass sie weit unter dem bleibt, was wirklich geboten wäre. So verwundert es nicht, dass die Kanzlerin von einem »zielführenden Kompass« (auch ein schönes Bild) redet und die Umweltverbände hochhausgroße Defizite festmachen, schon allein deshalb, weil die Strategie keinen Fahrplan für den Ausstieg aus der Kohle beinhaltet.

Die Nachhaltigkeitsstrategie fasst das Jahr 2030 ins Auge. Das ist morgen. Insofern hat die Zukunft in der Politik vielleicht doch kein Zuhause. 

Geschrieben von:

Kathrin Gerlof

OXI-Redakteurin

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