Wirtschaft
anders denken.

»Wir haben immer noch die Wahl«

31.05.2019

Paul Mason glaubt an eine »klare, lichte Zukunft der Menschheit«. Trotz alledem. Sein neues Buch plädiert für eine »radikale Verteidigung des Humanismus« gegen einen autoritären Technokapitalismus. Über eine Karte der Optionen, auf der auch die Gefahren und Risiken eingezeichnet sind.

Am 6. Juni diskutiert Paul Mason im Berliner Kino Babylon ab 20.30 Uhr mit der Linkspartei-Vorsitzenden Katja Kipping darüber, »wie es uns gelingen könnte, trotz einer sich zunehmend neuen Schemen folgenden Weltsicht vieler Menschen, einem Rückzug auf nationalistische Enge und dem Ausgeliefertsein gegenüber digitalen Algorithmen, die vortäuschen zu wissen, was uns Not tut – die Werte der Aufklärung zurückzuerobern und in eine klare lichte Zukunft zu retten«. Mehr Infos dazu hier. Weitere Termine mit Mason u.a. in Wien, Zürich und Köln finden sich hier.

I.

Um Paul Mason brennt gerade eine ziemlich heftige Debatte; es geht um die Position von Labour zum festgefahrenen Brexitchaos, um die Frage eines zweiten Referendums, um das katastrophale Wahlergebnis vom vergangenen Sonntag und darum, was einige aus dem engsten Kreis um Jeremy Corbyn falsch gemacht haben – und so dann auch der Parteiführer selbst. 

Masons Nachwahl-Kritik im »Guardian« ist aus dem Umfeld derer, die sich da  angesprochen fühlen durften, als »Angriff« verurteilt worden. Von »Anschuldigen« ist die Rede, von einer »Schande«, davon, dass Mason, einer der bekanntesten linken Journalisten in Großbritannien und darüber hinaus, »implodiert«. Mason würde sich gegenüber Teilen der »alten Arbeiterklasse« abfällig verhalten, heißt es – was eine ziemliche Verdrehung darstellt, wenn man bedenkt, dass es ihm darum ging, gegen verhängnisvolle falsche Rücksichtnahmen von Linken auf Rassismus, Frauenfeindlichkeit und Homophobie zu argumentieren.

Die Reaktionen auf Mason bezeugen vor allem eines: die Nervosität der britischen Linken in einer Situation, aus der ein Ausweg seit Monaten nicht gelingt. Mit dem Lavieren in der Brexit-Frage hat die Partei sich geschadet, so Masons Argument: die Remainer sehen bei Labour vor allem das Festhalten am irrsinnigen Ausstiegskurs – und wer diesen befürwortet, muss die Sozialdemokraten für unsichere Kantonisten halten, die vielleicht doch den Brexit noch stoppen. Aber Unklarheit bringt keine Zustimmung, Labour stürzte bei der Europawahl auf knapp 14 Prozent, stark wurden die Parteien, die eine klare Ansage zur EU-Frage machten.

Mason hat Corbyn in Zeiten unterstützt, als das eine immer größere politische Geduld erforderte. Es geht ihm auch jetzt nicht darum, gegen Corbyn zu schießen – sondern eine Perspektive für Labour zu eröffnen, die über die gegenwärtige Selbstblockade, über die Krise hinausweist. Masons Punkt lautet, Labour habe nur eine Chance, wenn es sich um eine klare Strategie versammelt: Stopp des Ausstiegs, linkes Wiederaufbauprogramm für Großbritannien. Unter dieser Fahne könne auch das Wahlbündnis zwischen der »fortschrittlichen Jugend, den Angestellten der Großstädte und den progressiven Wählern der Arbeiterklasse in den ehemaligen Industriestädten« erneuert werden.

II.

Und was hat das nun mit dem neuen Buch von Mason zu tun, um das es hier eigentlich gehen soll? Man kann den Autor, der vor ein paar Jahren mit »Postkapitalismus« international bekannt wurde, besser verstehen, wenn man sich seine aktivistische Rolle vor Augen führt. Mason ist keiner dieser linken Bücherschreiber, die mit einer mäßigen, aber steilen These nur durch die Medien tingeln und es bei Haltungsnoten von der Seitenlinie belassen. Mason sieht sich und ist immer »mittendrin«. Was wohl auch daran liegt, dass er als trotzkistischer Aktivist zu Zeiten der britischen Bergarbeiterstreiks gegen den Kurs von Margaret Thatcher in den 1980er Jahren groß geworden ist. Das merkt man bisweilen heute noch. 

Sein neues Buch beginnt denn auch mit einer Referenz: »Meine Lebenserfahrungen haben meinen Glauben an die klare, lichte Zukunft der Menschheit nicht zerstört, sondern im Gegenteil gefestigt«, zitiert er da Trotzki – auch der Titel beruft sich darauf. Der Satz passt in doppeltem Sinne auf Mason. 

Denn seine »radikale Verteidigung des Humanismus« ist einerseits aus der Erfahrung linker Schwäche und Irrtümer geschrieben, aus der er die Schlussfolgerung »Trotz alledem« zieht. »Klare, lichte Zukunft« ist eine mit dem Ziel des Mut-machens geschriebene Grand Tour durch eine politische Wirklichkeit, die nun ganz und gar nicht nach Stärkung postkapitalistischer Alternativen aussieht, sondern nach Rechtsruck, Regression und Radikalisierung eines autoritären Kapitalismus. 

Das neue Buch ist zweitens das Ergebnis der Auseinandersetzung mit der Kritik an dem Vorgängerwerk, auch aus dieser Erfahrung hat Mason also gelernt. In »Postkapitalismus« dominierte noch Optimismus, dass in einer Welt enormer Produktivkraftentfaltung durch Informationstechnologie und Automatisierung eine alternative Produktionsweise immer näher rücke und sich in den Spalten und Verwerfungen des real existierenden Kapitalismus mit Hilfe der Technik, der Maschinen schon das Neue, Postkapitalistische auf wachsenden Inseln des Zukünftigen entsteht. 

Das hat Mason nicht ganz unbegründet den Vorwurf eines Kurzschlusses zwischen Technologie und Emanzipation eingebracht. Sein geschichtsphilosophisch grundierter Fortschrittsglaube übersehe zudem, so wurde gegen »Postkapitalismus« ins Feld geführt, dass sich auf diesen Inseln der stumme Zwang der ökonomischen Verhältnisse nicht einfach erledigen würde. Manche haben die operaistisch inspirierte Generalkritik an der Maschine als mit der kapitalistischen Akkumulation unauflöslich verbundenes Unterjochungsinstrument reaktiviert.

Auch in »Klare, lichte Zukunft« rückt Mason zwar nicht von der Überzeugung ab, der Kapitalismus komme durch die technische Entwicklung an die Grenzen seiner Anpassungsfähigkeit – und dort liege dann eine technologisch getriebene Möglichkeit für progressive neue Wege. Aber er gründet seine alternative Perspektive nun weit gründlicher auch auf eine kritische Auseinandersetzung mit »der Maschine«, mit dem Verhältnis von Technologie, Information, Kapitalismus und menschlichen Selbstansprüchen. 

Ob technischer Fortschritt diesen Namen auch verdient, ist eine politisch zu beantwortende Frage, eine danach, wie Automaten und von wem unter welchen gesellschaftlichen Kräfteverhältnissen wofür genutzt werden. Wo steht diese Auseinandersetzung aktuell?

Mason beschreibt ausführlich den geistigen Boden, auf dem sich die heutigen Claqueure und Profiteure eines Maschinen-basierten Autoritarismus breit machen. Er »will den Menschen gegen Algorithmen verteidigen, die unsere Konsumentscheidungen, unser Wahlverhalten und unsere sexuellen Vorlieben voraussagen und diktieren«. Er macht sich auf, den Humanismus gegen die Zugriffe und Zurichtungen von »Kleptokraten und Milliardären« in Schutz zu nehmen, deren »posthumanistische« Ideologie die Maschine über den Menschen stellt, letzteren zu einem bloßen Faktor technologisch verfeinerter, marktkompatibler Berechnungen atomisiert.

Nun ist Kritik an einem Kapitalismus, der von einer Front aus rechtslibertären Investoren und Politikern in eine Art vollautomatisierte Nicht-Gesellschaft transformiert werden soll, nicht ganz neu. Das trifft auch viele andere Aspekte in Masons Denken zu: Er beschreibt, wie sich »autoritäre Regierungen und rechtsextreme Bewegungen auf dem Informationskrieg in den Köpfen der vernetzten Individuen« konzentrieren; er leuchtet aus, welche Folgen der von ihm als »nationaler Neorealismus« bezeichnete um sich greifende Wirtschaftsnationalismus hat; er analysiert ein autoritäres Maschinendenken, das um persönlichen Reichtum, Macht und Kontrolle oszilliert, und damit progressive Werte und gesellschaftliche Interessen unter sich begräbt. Mason kritisiert damit auch eine daraus entspringende politische Realität, ganz egal, ob diese nun die Fratze eines Donald Trump trägt, den Namen Wladimir Putin oder den den chinesischen Präsidenten Xi Jinping.

III.

Mason wäre aber nicht Mason, würde die Auseinandersetzung mit dem Ist-Zustand nicht auch in das Plädoyer für eine andere Welt münden. Denn »wir haben immer noch die Wahl. Wenn wir die Kontrolle über die technologischen Möglichkeiten erlangen wollen, müssen wir den angestrebten Endzustand beschreiben und Schritte unternehmen, um die Hindernisse aus dem Weg zu räumen.« Mason nennt das »Wiederherstellung der Zukunft«, es ist die Antwort auf eine von ihm diagnostizierte schwere »Krise progressiven Denkens«, die nicht zuletzt vom Fehlen utopischer Vorstellungskraft gekennzeichnet sei. 

»Der Endzustand, den wir anstreben sollten, ist der technologische Überfluss: eine Welt, in der die Maschinen den größten Teil der Arbeit leisten und sogar den Großteil der Innovationen bewerkstelligen, in der uns unsere deutlich größere Freizeit ein kulturell erfülltes Leben ermöglicht und in der unsere wirtschaftliche Aktivität in Einklang mit den natürlichen Rhythmen der Erde steht.« Auf dem Weg dorthin sollen nach Masons Auffassung »vier strategische Projekte« Orientierung geben, die sich nach der Lektüre der ersten 300 Seiten fast schon bescheiden ausnehmen. Es geht Mason hier um Eingriffe in die Marktmacht von Unternehmen, um die Stärkung des Faktors Arbeit gegen die private Aneignungslogik und um die Abkoppelung von Lebenssicherheit von der Lohnarbeit, um nahezu kostenfreie, steuerfinanzierte Grundversorgung sowie die Verwandlung von Daten in öffentliche Güter und vollständige demokratische Transparenz. 

Es tauchen dann auch wieder politische Schlagwörter wie das Grundeinkommen auf. Ebenso Masons Überzeugung, dass die andere, bessere Welt nicht durch einen aktivistischen Sprung erreichen lässt, man die »klare, lichte Zukunft« nicht einfach unter den Trümmern des Kapitalismus findet. 

Masons Ansatz ist der eines evolutionären Sozialismus: »Der Übergang wird nur langsam stattfinden, denn die Kräfte des Postkapitalismus müssen sich in den Überresten des kapitalistischen Systems entfalten«. Das ist gut mit Marx gedacht, wobei die Freunde der Schriften des Alten aus Trier an anderen Stellen in Masons Werk wohl auch Widerspruch anmelden dürften. Die historische Herleitung des Antihumanismus, die Skizze seiner Genese durch Mason, wird wohl ebenfalls nicht unwidersprochen bleiben.

Und ebenso dürfte es mit den politischen Pointen sein. Die von Mason läuft auf eine Art Marktsozialismus mit hoher Technikaffinität hinaus, er schlägt eine Planung vor, die »eine ganz andere Form annehmen« müsste als im autoritären Staatssozialismus oder im real existierenden Kapitalismus. Das wichtigste Instrument soll dabei »ein komplexes digitales Modell von Wirtschaft, Gesellschaft und Ökosphäre auf lokaler, nationaler und globaler Ebene sein«, fähig, »die Komplexität, die Rückkoppelungsschleifen, die Auswirkungen von staatlichen Entscheidungen oder Industriestrategien auf Gesellschaft und Umwelt« vorwegzunehmen »und derart klare Planungsergebnisse« zu liefern, »dass die Bürger gestützt auf solide Informationen ihre Regierungen wählen können«. 

So mächtig, so technisch – und doch viel demokratischer? Darüber lässt sich diskutieren. Nein, darüber muss diskutiert werden. Masons Plädoyer für eine wertebasierte, auf die Entwicklung der Produktivkräfte gegründete Strategie der Überwindung von Verhältnissen, über deren Unzumutbarkeit man ebensowenig schweigen kann, wie man die in ihnen gefesselten Möglichkeiten für die Menschheit nicht unterschlagen darf, kann dabei helfen. Auch wenn Vieles vage bleibt, ist das Motiv doch ganz das Richtige: »Reflexe zu beschreiben, zu denen wir einander gegenseitig ermutigen können«, darum geht es Mason. »Klare, lichte Zukunft« ist ein Appell gegen den verständlichen Fatalismus in Zeiten, in denen die Nachrichten wenig progressiven Mut machen. Man wird die richtigen Wege erst beim Gehen finden, und doch braucht man ein grobes Ziel, eine Richtung, eine Karte der Optionen, auf der auch die Gefahren und Risiken eingezeichnet sind.

Paul Mason: «Klare, lichte Zukunft. Eine radikale Verteidigung des Humanismus». Suhrkamp Verlag. Frankfurt am Main 2019. 415 Seiten, 28 Euro.

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