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»Wir wollen nicht mehr nur demonstrieren«: zum Frauen*streik 2019

09.02.2019
Foto: Comet Photo AG, ETH, Wikimedia, ,Lizenz: CC BY-SA 4.0Frauenstreiktag in der Schweiz 1991

In einem Monat ist Frauen*streik, kurz vorher will sich die bundesweite Bewegung noch einmal in Berlin treffen. Ein kleiner Überblick über den Stand der Dinge hierzulande sowie streikende Frauen und Queers* in aller Welt.

Nächste Woche beginnt sozusagen der Endspurt vor dem Frauen*streik – vom 15. bis 17. Februar will sich die »bundesweite Bewegung in Berlin treffen, diskutieren, voneinander lernen und uns gemeinsam auf den Streik am 8. März einstimmen«. Die Versammlung ist offen »auch für diejenigen, die jetzt noch dazustoßen wollen«. Es wird Debatten »mit internationalen Gästen« geben, Workshops zu Streikformen sind angekündigt – und am Sonntag »wollen wir gemeinsam auf die Straße gehen«, sozusagen als Vorgeschmack auf den 8. März. Mehr dazu bei frauenstreik.orghier

Was hat das mit dem Streik auf sich?

»Der Frauen*streik ist letztlich ein politischer Streik. Es geht uns um ein anderes Verständnis von Streik und Arbeit. Wir wollen nicht nur einen altbekannten Arbeitskampf am Arbeitsplatz führen. Sondern wir wollen alle Arbeit bestreiken, das heißt Pflegearbeit, Hausarbeit, Reproduktionsarbeit, emotionale Arbeit, die unsichtbar gemacht wird und so weiter. Wir wollen damit auch in die öffentliche Debatte eingreifen und deutlich machen, was für Arbeit wir jeden Tag leisten. Und ich würde noch hinzufügen, dass das Besondere die Praxisform ist. Dass wir deutlich sagen ›Wir streiken!‹, das finde ich ansprechender und ausdrucksstärker als die Demonstrationen, die in den letzten Jahren um den Frauen*kampftag um den 8. März herum stattgefunden haben. Diese waren wichtig, aber wir haben beschlossen: Wir wollen nicht mehr nur demonstrieren, sondern wir streiken, weil es uns reicht. Für mich zeigt der Begriff und die Praxis des Streiks, dass Frauen* von ihrer Stellung in der Gesellschaft her Macht haben, und dass wir diese auch nutzen sollten. Dafür müssen wir uns nur zusammenschließen.« Gespräch mit Jenny und Anthea vom Berliner Frauen*streik-Komiteehier

Was ist bisher passiert?

»Von Hamburg bis München und von Freiburg bis Rostock haben sich inzwischen 20 Streikkomitees und Netzwerke gegründet, fast wöchentlich kommen neue hinzu. In Berlin beteiligten sich an der letzten Streikversammlung 140 Frauen*. Zum ersten bundesweiten Vernetzungstreffen in Göttingen kamen rund 400 Frauen*. Am Ende stand ein im Konsens verabschiedeter Aufruf zum Streik.« Text von Kerstin Wolter und Alex Wischnewskihier

Worum geht es eigentlich?

»›Um das klarzustellen: Kein Streik war jemals ein Generalstreik. Wenn die Hälfte der Bevölkerung zu Hause in der Küche ist, während die anderen streiken, ist das kein Generalstreik. Wir haben noch nie einen Generalstreik erlebt. Wir haben nur Männer gesehen, vor allem Männer aus großen Fabriken, die auf die Straßen gehen, während ihre Ehefrauen, Töchter, Schwestern, Mütter weiter in der Küche gekocht haben’, so beendet Mariarosa Dalla Costa 1974 ihre Rede über den Generalstreik am Internationalen Frauentag in Mestre, Italien im Rahmen der globalen Kampagne ›Lohn für Hausarbeit‹. Auch 45 Jahre später hat es diesen vollständigen Streik noch nicht gegeben, aber die Zahl streikender Frauen nimmt zu.« Hintergrund von Torsten Bewernitz über Dienstleistisierung, Prekarisierung, Feminisierunghier

»Schon seit über 100 Jahren streiken, streiten und kämpfen wir für unsere Rechte und gegen jede Unterdrückung. Über die Welt breitet sich eine Bewegung von streikenden Frauen und Queers* aus, von Polen bis Argentinien, von New York bis Hongkong, von Spanien über Nigeria bis Australien. Auch wir sehen Grund zum Streik und sagen: Es reicht! Lasst uns am 8. März zusammen streiken!« Aus dem Aufruf zum Frauen*streikhier

Welche globale Bewegung ist da gemeint?

»Angefangen hatte alles in Lateinamerika. Die Streikbewegung hängt eng zusammen mit den Protesten der lateinamerikanischen, insbesondere der argentinischen Frauen* gegen die Ermordung ihrer Schwestern, die sie unter dem Slogan Ni Una Menos (Nicht eine weniger!) anprangern. Nach der brutalen Ermordung der 16-jährigen Lucía Pérez 2016 rief Ni Una Menos in Argentinien zum ersten feministischen Massenstreik auf. Der internationale Frauen*tag 2018 stand dem des Vorjahrs in keiner Weise nach: So legten beispielsweise in Spanien fünf Millionen Frauen* jeden Alters und sozialer Herkunft ihre Arbeit nieder und damit das Land lahm, um zu zeigen: „Wenn wir streiken steht die Welt still“. Für den kommenden 8. März geht der transnationale Frauen*streik in die dritte Runde.« Hintergrund von Susanne Hentschel beim mosaik-blog.at – hier

Was war da in Spanien?

»Am 8. März 2018 probten Frauen in Spanien nicht nur den Aufstand, sondern auch den Stillstand. Blockierte Straßen und Züge, leere Redaktionsräume, Schulen, die geschlossen geblieben: Spanierinnen waren dazu aufgerufen, sich einem feministischen Streik anzuschließen und für 24 Stunden die Arbeit niederzulegen. Nicht nur die Lohnarbeit, sondern auch jene Tätigkeiten, die Frauen tagtäglich unbezahlt im Privaten erledigen. Quer durch das Land hängten Frauen Schürzen aus den Fenstern, um ihren Streik am Herd und an der Waschmaschine sichtbar zu machen. Hunderttausende demonstrierten auf zentralen Plätzen zwischen Bilbao und Sevilla und zeigten Gesicht gegen den Machismo, gegen sexualisierte Gewalt und ökonomische Ausbeutung, die Gewerkschaften vermeldeten eine Beteiligung von 5,3 Millionen Menschen, die zumindest für zwei Stunden ihre Lohnarbeit bestreikt hätten. Der Streik machte als lebendiges und kraftvolles Zeichen der spanischen Frauenbewegung auch international Eindruck.« Hintergrund im »Standard«hier

2018 war also ein wichtiges Jahr?

Kann man sagen: »Wir Frauen, Lesben, Transvestiten und Trans verfolgen das gleiche Ziel und es führt kein Weg zurück. Auf die Feminisierung der Arbeit antworten wir: Feminisierung der Widerstände! Und wir erobern die Straßen am Internationalen Frauenkampftag und Internationalen Streiktag der Arbeiterinnen. Wenn wir alle streiken, bewegt sich die Welt. Die Arbeiterinnen: Indigene, Migrantinnen, Alte, Mädchen, Jugendliche, Zapatistinnen, feministische Guerilleras, Schwarze, Geflüchtete, Studierende, politische Gefangene, Kriminalisierte, Mütter, Frauen mit Behinderung, Hausfrauen, Hausangestellte, (Kranken-)Pflegerinnen, Sexarbeiterinnen, Rentnerinnen, Dozentinnen, Ärztinnen, Beamtinnen, Gewerkschafterinnen, Arbeiterinnen der informellen Wirtschaft, Kämpferinnen, Arbeitslose, Prekarisierte, Verschwundene, Künstlerinnen, Taxifahrerinnen, Klempnerinnen und eine nicht enden wollende Liste der unterschiedlichsten Frauen: Wir stehen auf von Alaska bis Patagonien.« Manifest des Internationalen Frauenstreiks 2018hier

»Der 8. März 2018 wird ein Tag des Feminismus für die 99 Prozent sein: ein Tag der Mobilisierung von schwarzen und braunen Frauen, Frauen jeglichen Geschlechts, armen Frauen und solchen mit geringem Einkommen, von Arbeiterinnen in unbezahlten Pflegediensten, Sexarbeiterinnen und Migrantinnen.« Aufruf von Angela Davis, Cinzia Arruzza, Nancy Fraser und anderenhier

Gab es früher schon solche Aktionen?

Ja gab es, zum Beispiel diese: »Am 14. Juni 1991 beteiligten sich eine halbe Million Frauen am ersten Frauenstreik der Schweiz. Für ein Land, das Streiks eher aus den Geschichtsbüchern als aus der politischen Praxis kennt, sind das erstaunliche Zahlen… Die grössten Auswirkungen hatte der Frauenstreik im Kanton Zürich und in der übrigen Schweiz in den Jahren danach beim Gesundheitspersonal… Dieser Frauenstreik hat in der Gesellschaft und in den Gewerkschaften extrem viel bewirkt.« Interview auf sozialismus.chhier

Oder hier: Am 24. Oktober 1975 legten anlässlich des Internationalen Jahres der Frau etwa 90 Prozent der weiblichen Bevölkerung Islands ihre Arbeit für einen Tag nieder. Es ging um mehr Gleichheit, eine gerechtere Bezahlung und eine bessere Kinderbetreuung.  Hinweis auf Wikipediahier

Wie laufen die Diskussionen?

»Doch wie immer in feministischen Organisierungen gibt es auch Konflikte und Kritiken. Kritik am Aufruf und seiner fehlenden Zuspitzung auf wenige zentrale Forderungen, Kritik am Prozess und der Unsichtbarkeit bestimmter Gruppen, Kritik an der Zusammensetzung der Organisator*innen: zu weiß, zu akademisch, zu wenig queer.« Text von Kerstin Wolter und Alex Wischnewskihier

Das Bündnis erhält seit seiner Gründung Anfang des Jahres 2018 erfreulich viel mediale Aufmerksamkeit, und die hohe TeilnehmerInnenzahl bei dem Bündnistreffen lässt Großes hoffen. Jedoch scheint mir, dass hier eine Chance vertan wird, dem eigenen Anspruch gerecht zu werden, breite gesellschaftliche Bündnisse aufzubauen und über die queerfeministische Szene und die radikale Linke hinaus zu wirken…Wenn also der Beitrag zu einem kämpferischen Internationalen Frauen*tag 2019 nicht eine verbal-radikalere Version der Vorjahre sein soll – gepaart mit gehöriger Frustration über ›die DGB-Gewerkschaften‹ – dann braucht es mehr. Es bräuchte eine langfristig angelegte organisierende Kampagne, die nicht aus den eigenen feministischen Reihen von dem ausgeht, was da ist, sondern aktiv versucht Mehrheiten zu gewinnen. Dies bedeutet (im Vorfeld) mühsame und langfristige Bündnisarbeit und es müsste klar sein, dass lohnabhängige Frauen in ihrer Sache selbst führen. Debattenbeitrag von Yanira Wolf im »express« – hier

Können Männer auch mitmachen?

Beim Netzwerk Frauen*streik heißt es, die Debatte »zu einer möglichen Beteiligung von cis-Männern beim Frauen*streik ist noch nicht abgeschlossen. (›cis‹ wird als Gegenbegriff zu ›trans‹ verwendet, um Menschen zu bezeichnen, deren Identität mit ihrem bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht übereinstimmt.) Trotzdem gibt es auch jetzt schon Möglichkeiten und Optionen, sich als Mann solidarisch mit dem Streik zu zeigen und die Strukturen zu unterstützen.« Zum Beispiel gibt es einen Email-Verteiler, über den Unterstützungsanfragen rausgehen; zudem könnten Männer den Frauen*streik dadurch supporten, dass sie Betreuungsalternativen anbieten. Mehr Infos dazu – hier

Und was hat es mit dem Sternchen auf sich?

»Das Sternchen soll verdeutlichen, dass es sich bei Geschlecht um ein Spektrum vielfältigster Geschlechtsidentitäten, Körperlichkeiten und Ausrucksweisen handelt. Wenn also von ›Frauen*‹ die Rede ist, sind nicht nur cis-Frauen gemeint, also Frauen, bei denen Geschlechtsidentität und bei der Geburt zugewiesenes Geschlecht übereinstimmen. Das Sternchen dient der Inklusion diverser Geschlechtsidentitäten, welche jedoch als ›Frauen‹ behandelt werden.« So wird es bei frauenstreik.org erklärthier

Foto: Frauenstreiktag in der Schweiz 1991
Comet Photo AG, ETH, Wikimedia, CC BY-SA 4.0

Geschrieben von:

OXI Redaktion

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