Wirtschaft
anders denken.

Wirre »Wirtschaftsweise« und ein Amoklauf

03.09.2017
Turnier auf dem Düsseldorf Marktplatz Düsseldorf Marktplatz im Jahre 1585 aus "Fußturnier auf dem Marktplatz", 1585, Kupferstich von Franz Hogenburg

Vier Wirtschaftsweise machen gegen Peter Bofinger Front. Der sitzt auch im Sachverständigenrat und hat nun geantwortet – es geht um die Kultur der Auseinandersetzung in ökonomischen Fragen und um wirtschaftswissenschaftlichen Pluralismus.

Peter Bofinger, soviel steht fest, ist ein Ausbund an höflicher Zurückhaltung. In der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung hat der Würzburger Ökonom jetzt auf den seit einigen Wochen tobenden Streit um Positionen im Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung geantwortet. Und da passt der sonst so seltsam klingende Ausdruck »Weise« dann auch wirklich einmal: Bofinger ist weise genug, die scharfe Kritik seiner RatskollegInnen nur kurz zu streifen und vor allem auf Niklas Potrafke zu antworten – mit einer Kritik an dessen »wissenschaftlichen Amoklauf«.

Worum es geht? Nun, vor allem um die Kultur der Auseinandersetzung in ökonomischen Fragen, um den Stellenwert von Minderheitenpositionen in einer politisch vermachteten Konstellation wie der des Sachverständigenrates und um wirtschaftswissenschaftlichen Pluralismus. Es geht nicht zuletzt um die seltsame Balance zwischen Positionen der »Arbeitgeber« und »Arbeitnehmer«, denn ein Sachverständiger kommt auf Gewerkschaftsticket in den Rat, einer auf Empfehlung der Konzernlobby. Und es geht um die Frage Staat und/oder Markt.

Was war eigentlich das Streitthema?

Der Streit hatte sich an Bofingers Forderung »Mehr Zentralismus wagen!« entzündet, in dem der einer »aktiven Innovations- und Industriepolitik« das Wort redet, »die dem Staat eine Schlüsselrolle einräumt« – das schaffe politischen Handlungsspielraum bei gesellschaftlich wichtige Weichenstellungen (Energiewende) und ohnehin seien technologischer Fortschritt und öffentliche Förderung schon immer eng miteinander verquickt. Indirekt wirft letzteres die Frage auf, wie demokratisch darüber mitbestimmt wird. Dass der Streit vor dem Hintergrund illegaler Machenschaften der Autokonzerne entbrannte, die hier und da Erinnerung an den Begriff Stamokap aufkommen ließen, ist sicher auch kein Zufall.

Die anderen vier vom Sachverständigenrat hatten Bofinger in einer gemeinsamen und schon dadurch außergewöhnlichen, weil tribunalhaft erscheinenden Entgegnung inhaltlich nicht viel entgegenzusetzen als das, was schon in einem älteren Jahresgutachten stand: Innovationspolitik müsse vor allem darauf setzen, »die kreativen Kräfte des Wettbewerbs so gut wie möglich zu entfesseln«. Überschrift: »Vertraut dem Markt!« Von seiner »marktwirtschaftlichen Wirtschaftsordnung«, so Lars P. Feld, Christoph M. Schmidt, Isabel Schnabel und Volker Wieland, sollte sich die Bundesrepublik »daher nicht abwenden«. Was Bofinger auch gar nicht gefordert hatte.

Es geht aber in dem Streit nicht vorderhand um ökonomische Glaubensfragen darüber, ob und was »der Markt« alles richten könne – auch wenn die Vier gegen Bofinger ins Feld führen, der könne doch nicht nach China verweisen, weil das unter anderem »die negativen Auswüchse des chinesischen Systems« etwa bei den Menschenrechten ausblende, während »marktwirtschaftliche Ordnungen … wie kein anderes System in der Lage« seien, »die Kreativität, Neugier und Leistungsbereitschaft der Menschen in Innovationen umzusetzen«.

Auf Empörung stieß neben solcherlei Bekenntnisrhetorik viel eher die persönlich werdende Kritik der Vier an Bofinger, die dann auch noch auf volkswirtschaftlich durchaus umstrittenen Positionen fundamentierte: Die empirische Evidenz von Bofingers Beispielen wurde etwa mit dem originellen Argument bestritten, »die exzessive Risikobereitschaft der Banken, die eine der zentralen Ursachen der jüngsten Finanzkrise darstellte, vor allem eine Konsequenz des staatlichen Schutzes vor den Folgen von Fehleinschätzungen«. In anderen Worten: Der Staat hat, weil er Schirme in Aussicht stellte, Schuld an der Finanzkrise – hätte der Markt allein »gewirkt«, wäre es zum Kladderadatsch nicht gekommen. Nun ja, und das nennt sich dann Sachverständigenrat.

Wenn Liebe blind macht

Dann kam ein Satz in der Replik der Vier auf Bofinger, der sicher später noch in Lehrbüchern zitiert wird: »Laien verwechseln häufig die Liebe von Ökonomen zum Markt mit einer Liebe zu einzelnen Marktakteuren. Einem Profi sollte das nicht passieren.« Das ist mehr als ein Tritt gegen das Schienenbein – allerdings einer, bei dem die Austeilenden selbst ins Straucheln kommen. Sie haben es nur nicht gemerkt.

Nachhilfe gibt es von Heiner Flassbeck, der daran erinnert, dass es Aufgabe der Sachverständigen ist, »unvoreingenommen die wirtschaftliche Lage zu analysieren und daraus im Rahmen ihres gesetzlichen Auftrages Schlussfolgerungen abzuleiten, die von der Politik mittelbar oder unmittelbar verwendet werden können«. Und weiter: »Wer verliebt ist, kann aber nicht unvoreingenommen sein. Wie können diese Ökonomen, wenn sie verliebt in das Marktsystem sind, der Aufgabe nachkommen«, fragt Flassbeck – und gibt die Antwort gleich selbst: »Wir haben es hier offensichtlich nicht mit Sozialwissenschaftlern zu tun, die mit wissenschaftlichen Methoden versuchen, die Welt angemessen zu deuten, sondern mit Verliebten, die ihre Gefühle nicht bändigen können und deswegen immer zum gleichen Ergebnis kommen, nämlich dem, dass der Markt immer recht hat.«

Zuvor hatte es bereits Reaktionen etwa vom linken Europaabgeordneten und Wirtschaftsexperten Fabio De Masi gegeben, der die Vier als »Taliban« bezeichnete, sie seien »keine Wissenschaftler und wären im Ausland irrelevant«. De Masi nannte die »Attacke auf Bofinger würdelos«. Auch auf dem Portal Nachdenkseiten wurde Bofinger verteidigt, »vier neoliberale Wirtschaftswissenschaftler wollen einen Kollegen zurechtweisen, finden dafür aber kein einziges inhaltliches Argument, sprechen ihm daher ganz einfach seine Profession ab«.

Das alles wurde gesagt und geschrieben noch bevor Potrafke in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung von 13. August das veröffentlichte, was Bofinger einen »wissenschaftlichen Amoklauf« nennt und in dem es unter anderem mit Blick auf den Sachverständigenrat so zugeht: »Der von den Gewerkschaften nominierte Weise ist gegen die Mehrheit seiner Kollegen im Rat. Die Öffentlichkeit sollte wissen, dass stets der Gewerkschaftsvertreter querschießt und dass er inhaltlich mit seinen wirtschaftspolitischen Ansichten alleine steht. Schließlich genießt der Gewerkschaftsvertreter eine außerordentlich große Medienaufmerksamkeit. Gerade weil viele Journalisten ihre Leser nicht langweilen wollen, finden auch noch so wirre Ideen immer wieder Gehör. Es scheint aber oft so, dass die Stimme des Gewerkschaftsvertreters nicht deshalb so oft gehört wird, weil die Ideen so klasse sind, sondern weil es schlichtweg etwas anderes als der vermeintliche Mainstream ist. Macht doch nichts, könnte man meinen. Das macht sehr wohl etwas, denn wenn das wirre Zeug nicht zurechtgerückt und permanent mit Pauken und Trompeten im Land verbreitet wird, dann müssen die Bürger davon ausgehen, dass viele Ökonomen so denken. Dann wird gar der größte Kokolores salonfähig.«

Minderheitsvoten und der Sachverständigenrat

Merke: Gewerkschaftsvertreter, querschießen, wirres Zeug, die BürgerInnen verblendender Kokolores. Potrafke will diesen Vierklang mit dem Hinweis auf seine eigenen Untersuchungen über »die Determinanten zum Abgeben der Minderheitsvoten« im Sachverständigenrat untermauern. Der Münchner Professor nimmt dann noch das letztjährige FAZ-Ökonomen-Ranking, um Bofinger mit dem Hinweis herabzusetzen, dieser stehe im wissenschaftlichen Zitationsranking schlecht da, O-Ton: Das sei »wenig schmeichelhaft für den Letztplazierten der Weisen«. Und dann kommt ein Satz, der schon fast an Niedertracht grenzt: Man müsse dabei bedenken, »dass Peter Bofinger der älteste der fünf Weisen ist und somit am meisten Zeit gehabt hätte, einschlägige wissenschaftliche Arbeiten zu schreiben, die zitiert werden«. Dass Bofinger im aktuellen Gesamtranking vor allen anderen Wirtschaftsweisen steht, wird Potrafke nicht groß interessieren, denn das liegt ja daran, »dass da einer daherkommt und den Leuten erzählt, dass im Himmel wieder Jahrmarkt ist«.

Bofinger bleibt locker, und nicht nur das – seine Antwort in dem Streit ist ein Plädoyer »für eine wissenschaftliche Auseinandersetzung über grundlegende Fragen der deutschen Wirtschaftspolitik«. Die ist nötig und sie ist ja auch längst im Gange, vielleicht knirscht es auch deshalb etwas lauter, weil eine Debatte mit neuen Akzenten hier im Raster alter Eingerichtetheiten geführt wird, die erst abgestreift werden müssen. Und Bofinger wirbt für mehr Widerspruch, von welcher Seite auch immer: Warum eigentlich haben die »Arbeitgebervertreter« im Sachverständigenrat so selten Minderheitsvoten abgegeben? Liegt es vielleicht daran, fragt Bofinger, dass deren »Interessen in Anbetracht der ›Liebe der Ökonomen zum Markt‹ bei der Mehrheit stets gut vertreten waren?«

Geschrieben von:

Tom Strohschneider

Journalist

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