Wirtschaft
anders denken.

Wolfgang Scholz, die Investitionen und der Wertverlust der Infrastruktur

02.05.2018
Jörg Blobelt ,Lizenz: CC BY-SA 4.0

Investitionen bilden für die SPD einen zentralen Pfeiler ihrer Wirtschaftspolitik. Behaupten die Sozialdemokraten jedenfalls. Ihr Finanzminister macht das Gegenteil. Das Institut IMK warnt vor den Folgen – und fordert eine vom Konsolidierungsirrsinn befreite Debatte darüber, was die Gesellschaft braucht und wie das finanziert wird. 

Das Wort »Investitionen« taucht 27 Mal im Koalitionsvertrag von Union und SPD auf. Vor allem die Sozialdemokraten hatten auf diesen Punkt gedrängt – auf dem jüngsten Parteitag wurde noch einmal daran erinnert, dass man in der Regierung »ganz konkrete Verbesserungen erzielen« könnte, »die den Alltag der Bürgerinnen und Bürger besser machen«; worauf als erster politischer Hebel gleich danach genannt wird: »durch staatliche Investitionen«. 

Diese bilden auch einen Pfeiler der von der SPD hochgehaltenen Wirtschaftspolitik, als deren Ziel ein »inklusives Wachstum« genannt wird, also ein Kurs der Ermöglichung ökonomischer Erfolge, die aber mehr Leuten als bisher zugute kommen sollen. Wie die SPD das erreichen will? »Der Staat muss mit Investitionen in Bildung und Qualifizierung, Infrastruktur und Forschung wichtige Veränderungsprozesse wie die Energiewende, die Mobilitätswende oder die Digitalisierung vorantreiben und Innovationen zum Durchbruch verhelfen. Investitionen müssen in der gesamten Fläche des Landes wirken und für alle Menschen dazu beitragen, eine lebenswerte Heimat zu schaffen oder zu erhalten und in sozialer Sicherheit zu leben.« 

Soweit die Beschlusslage der Partei. Der Rest hat damit nur noch bedingt zu tun. Denn nicht nur das »Handelsblatt« meldet, »aus dem Haushaltsentwurf 2018 und der Finanzplanung bis 2022, die das Bundeskabinett am Mittwoch beschließen wird und die dem Handelsblatt vorliegen, geht das glatte Gegenteil hervor: Demnach werden die Investitionen bis 2022 sinken – von derzeit 37 auf dann 33,5 Milliarden Euro.«

Diese Zahlen, so die Zeitung, dürften Bundesfinanzminister Olaf Scholz »in Erklärungsnot bringen«. Angemerkt wird, dass der Hanseat unter Sozialdemokraten bereits »Wolfgang Scholz« genannt werde – weil er in praktisch allen Fragen kaum eine Gelegenheit auslässt, sich in die Tradition von Vorgänger Wolfgang Schäuble zu stellen. Heißt: Schwarze Null, Austerität, Konsolidierungsstaat. Und zu wenig Investitionen in das Öffentliche, die Res publica. »Die Kritiker dürften sich durch die neuen Zahlen zu den Investitionen nun bestätigt fühlen.«

In der Tat, denn die Kritiker haben sich auch sofort zu Wort gemeldet – zum Beispiel das Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung, das am Mittwoch seine Steuerschätzung vorgelegt hat – Ergebnis: Dank guter Konjunktur »sprudeln« 2018 und in den Folgejahren die Einnahmen des Staates sogar stärker als bisher prognostiziert.

Doch dann kommt ein doppeltes großes »Aber«: Die Koalition habe »keinen Plan für den Ernstfall, dass sich die Konjunktur spürbar eintrübt, etwa in Folge eines weltweiten Handelskonflikts«. Da stattdessen weiter an der »Schwarzen Null« festgehalten wird, könne sehr schnell »bis 2022 ein Kürzungsbedarf von bis zu 55 Milliarden Euro« entstehen, was dann heißt: Entweder die Regierung kann ihre »prioritären Maßnahmen« nicht mehr bezahlen, dabei geht es um die im Koalitionsvertrag verabredeten Ausgaben über rund »46 Milliarden Euro etwa für Bildung, Kindergeld, Rente oder regionale Strukturpolitik und der Einnahmeausfall durch die geplante Soli-Abschaffung«. Oder sie streicht an anderer Stelle öffentliche Ausgaben zusammen.

»Kann oder will der Bund nicht mehr investieren?«, fragt sich IMK-Chef Gustav A. Horn eher rhetorisch – denn natürlich könnte er, es ist am Ende eine politische Frage. »Eine sichere Basis für notwendige Investitionen sei in der gegenwärtigen Situation weitaus wichtiger als die unnötige Festlegung auf einen ausgeglichenen Haushalt«, mahnt sein Institut. »Bereits die Schuldenbremse würde den Spielraum beschränken, allerdings eher moderat.« Schwerer wiegt der Kurs von Scholz, der den Schäuble gibt. Stattdessen wäre eine »nicht von Schuldenbremsen, Steuertabus oder der Schwarzen Null« verstellte »Debatte um die gesellschaftlichen Bedarfe an zentralen Zukunftsinvestitionen und ihre langfristige sichere und gerechte Finanzierung« dringend nötig, so das IMK.

Wie nötig, das hat der Ökonom André Kühnlenz immer wieder mit entsprechenden Grafiken auf Twitter verdeutlicht. Er verweist auf den »amtlichen Wertverlust« der Infrastruktur »von aktuell 83 Milliarden Euro« – und vor diesem Hintergrund sind dann auch die »prioritären Maßnahmen« der Bundesregierung allenfalls ein Tropfen auf den heißen Stein. Kühnlenz sarkastisch: »Eine Wahnsinnsinvestitionsoffensive des Bundes steht uns bevor.« Auch Marcel Fratzscher vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung spricht von »enttäuschend schwachen Investitionen«, die Koalition müsse »vor allem den schwachen Kommunen mehr helfen um Lücken bei Investitionen zu schließen«. 

Wie groß der Wahnsinn ist, von dem Kühnlenz spricht, wird unter anderem am Zustand von Schulen, der Finanzierung von Krankenhäusern, den überfälligen Maßnahmen für eine soziale, ökologische Wende bei Mobilität und Energie sichtbar. Aber was ist das schon, wenn eine Regierung trotzdem zum Konsolidierungsweltmeister werden kann?!

Geschrieben von:

OXI Redaktion

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