Zulasten des Faktors Arbeit, zugunsten des Faktors Kapital: ein OXI-Überblick zur Lohnquote
Die Lohnquote liegt heute mit knapp 68 Prozent deutlich unter den Werten vergangener Jahrzehnte. Die gestiegenen Unternehmens- und Vermögenseinkommen zeigen deren verteilungspolitischen Terraingewinn an. Allerdings ist der Indikator auch nicht unumstritten.
Die Beschäftigten in der Bundesrepublik haben 2017 knapp 68 Prozent des so genannten Volkseinkommens als Entgelte bezogen. Die Lohnquote lag damit etwa auf dem Niveau der vergangenen Jahre. Als Indikator für die Verteilung, mit dem gezeigt werden kann, wie hoch der Anteil der Entgelte der Beschäftigten am Wertprodukt ist, ist jedoch vor allem die längerfristige Betrachtung interessant. Eine Antwort der Bundesregierung auf Anfrage der Linksfraktion bietet dazu nun wieder aktuelle Zahlen.
Der Anteil des variablen Kapitals am Neuwert liegt heute einerseits etwas höher als in den Jahren 2005 bis 2008; andererseits aber auch klar unter dem Niveau der Zeit zwischen Anfang der 1990er Jahre und 2003. Wenn das Gesamtniveau der Entgelte der Beschäftigten niedriger ist, müssen andere mehr haben: die Unternehmens- und Vermögenseinkommen machen im Verhältnis heute einen höheren Anteil aus.
»Negative Veränderungen der Lohnquote über die Zeit deuten in der Regel auf eine wachsende Umverteilung zu Lasten der Einkommen aus abhängiger Beschäftigung hin«, heißt es bei der Linksfraktion. »Die steigende Umverteilung des Volkseinkommens zu Lasten der Beschäftigten wiederum ist in der Regel ein wichtiger Indikator für die wachsende soziale wie ökonomische Spaltung in der Gesellschaft.«
Als die Lohnquote noch 10 Prozentpunkte höher lag
In absoluten Zahlen sieht die Sache aktuell so aus: Bei einem Volkseinkommen von insgesamt gut 2.456 Milliarden Euro entfielen auf die Entgelte der Beschäftigten fast 1.669 Milliarden Euro und auf die Unternehmens- und Vermögenseinkommen knapp 788 Milliarden Euro.
Zum Vergleich: 1981 entfielen bei einem Volkseinkommen von 635 Milliarden Euro knapp 468 Milliarden auf die Entgelte der Beschäftigten, knapp 168 Milliarden Euro auf die Einkommen der Unternehmer und aus Vermögen. Die Lohnquote lag damals bei 73,6 Prozent. Seither hat sich das Verhältnis in einer Spannbreite zwischen diesem Wert und dem bisherigen Tiefststand der Lohnquote im Jahr 2007 von 63,6 Prozent immer einmal wieder verschoben.
Was beeinflusst die Lohnquote?
In der Tendenz geht es mit der Lohnquote aber deutlich in eine Richtung: zu Lasten des Faktors Arbeit, zugunsten der Faktors Kapital. »Die Entwicklung der Lohnquote wird von einer Reihe von Faktoren beeinflusst, auf die sich ein Mindestlohn unterschiedlich auswirken kann«, schreibt die Bundesregierung in der Antwort auf die Anfrage; es seien ihr aber »keine Schätzungen bekannt, die einen entsprechenden aggregierten Effekt des Mindestlohns abbilden«. Auch die konjunkturelle Gesamtlage, die Stärke von Gewerkschaften bei Tarifauseinandersetzungen oder längerfristige Verschiebungen zwischen einzelnen Wirtschaftssektoren wirken sich aus.
Als Indikator ist die Lohnquote nicht unumstritten – von mehreren Seiten aus. Bei Karl Marx würde man sich anhören müssen, dass eine solche Darstellung des Lohnanteils an der Wertschöpfung »eine Art Aufteilung eines ›gemeinsam‹ erwirtschafteten Einkommens auf ›Arbeit‹ und ›Kapital‹ nahelegt«, wie es hier heißt. Marx hätte wohl mit der Mehrwertrate dagegengehalten, die das Verhältnis der Mehrarbeit zur notwendigen Arbeit anzeigt und damit den Exploitationsgrad der Lohnarbeit: Wie viel arbeitet der Beschäftigte »für sich selbst« und wie viel für das Kapital?
Zur Debatte um den Indikator Lohnquote
Auch aus der unternehmensnahen Perspektive wird die Lohnquote kritisch gesehen. Sie gelte zwar »als ein traditionelles Maß für die Einkommensposition des Faktors Arbeit«, heißt es in dieser Ausarbeitung von Michael Grömling für eine Veröffentlichung aus dem Institut der deutschen Wirtschaft Köln. Sie sei »allerdings seit jeher eine problematische Größe«.
Das hat einerseits mit statistischen Fragen zu tun, die Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung VGR sei »keine aussagefähige Gewinnstatistik«; zudem habe die Revision der VGR 2005 starke Verschiebungen verursacht: »Unternehmens- und Vermögenseinkommen fielen nach der Revision im Durchschnitt um 27 Milliarden höher aus. Dadurch kam es zu einem Rückgang der Lohnquote im Zeitraum 1991 bis 2004 um durchschnittlich 1,4 Prozentpunkte«. Auch die Korrektur anderer Daten führte zu Veränderungen in der Zahlenreihe; dies schlägt sich auch in der Antwort der Bundesregierung nieder: die Ergebnisse, heißt es dort, seien »über die gesamte Zeitreihe hinweg konzeptionell nicht voll vergleichbar«.
Es steckt allerdings auch eine gesellschaftliche Veränderung hinter der Skepsis gegenüber dem Indikator Lohnquote: Diese werde »dem Anteil des Produktionsfaktors Arbeit nicht gerecht, und sie erlaubt auch keinen Rückschluss auf die gesamte Einkommensposition der Arbeitnehmer eines Landes«, so Grömling. »Das liegt allein schon daran, dass die Arbeitnehmer auch Kapitaleinkommen in Form von Zinsen, Dividenden, Mieten und Pachten erhalten. Vor allem bei einer wachsenden Bedeutung von Kapitaleinkommen, was für viele entwickelte Volkswirtschaften zutrifft, verliert die Lohnquote an verteilungspolitischer Relevanz.«
Wenn Arbeiter Vermögenseinkommen beziehen
Diese Frage hatte sich unlängst auch Horst Kahrs von der Rosa-Luxemburg-Stiftung vorgenommen und darauf verwiesen, dass »substantielle Teile der Facharbeiter und -angestellten (mittlere Bildung, betriebliche Berufsbildung)« mit Blick »auf die eigene Alterssicherung und die Zukunft der Kinder über Wohneigentum und kapitalmarktgedeckte Altersvorsorgeprodukte« verfügten. Das wirkt sich unter anderem auf das »Bild von der eigenen Position in der Gesellschaft« aus, vor allem wenn es um Verteilungsfragen geht. Auch Grömling zu diesem Punkt: »Entscheidend ist jedenfalls, dass die privaten Haushalte in Deutschland einen zunehmenden Teil ihres primären und Verfügbaren Einkommens aus Unternehmens- und Vermögenseinkommen beziehen. Damit wird auch die Lohnquote immer weniger aussagekräftig, um die Einkommensposition der privaten Haushalte adäquat zu beschreiben.«
Vor nicht allzu langer Zeit hat sich auch Dieter Wermuth der Frage zugewandt, warum die Lohnquote ständig sinkt. Eine Antwort: dies habe »mit den rückläufigen relativen Preisen für Kapitalgüter zu tun. Der Output pro Maschine hat in der Vergangenheit rascher zugenommen als der Preis einer Maschine. Für Firmen lohnt es sich daher, Arbeit durch immer mehr Kapital zu ersetzen.«
Unter Berücksichtigung des »World Economic Outlook« des Internationalen Währungsfonds von 2017 verweist er im »Herdentrieb« auf den auch in anderen Ländern zu beobachtenden Trend. »Die Besitzer der Kapitalgüter befinden sich typischerweise auch an der Spitze der Einkommensskala. Insbesondere die Mitte der Arbeitnehmerschaft leidet unter diesen Tendenzen – dort wo routinemäßige Jobs durch Roboter ersetzt oder ins Ausland verlagert werden können, sinkt nicht nur die Beschäftigung, es lassen sich auch keine nennenswerten Lohnsteigerungen durchsetzen. Das führt zu sozialen Spannungen und bremst das Wirtschaftswachstum, schreibt der Internationale Währungsfonds.«
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